Sportmedizin
FALLBERICHT
SITUS INVERSUS BEI EINEM SPORTLER

Erstdiagnose eines situs inversus bei einem 12-jährigen Gewichtheber

Initial Diagnosis of situs inversus in a 12-year-old weightlifter

Universitätsklinikum Heidelberg, Medizinische Klinik, Sportmedizin, Sportmedizin

ZUSAMMENFASSUNG

Der situs inversus ist die Fehlrotation der inneren Organe in unterschiedlichen Ausprägungen, wobei fast immer eine Achsenrotation des Herzens besteht. Es besteht eine Assoziation zur primären ziliären Dyskinesie, so dass bei wiederholten Infekten der Atemwege das Vorliegen von Bronchiektasen ausgeschlossen werden sollte. Wenn vorhandene Bronchiektasen adäquat unter Anbindung an einen Pulmologen behandelt werden oder ein situs inversus ohne weitere damit verbundene Erkrankungen wie eine Transposition der grossen Gefässe oder komplexe Herzfehler, die echokardiographisch ausgeschlossen werden sollten, vorliegt, ist in den meisten Fällen die Lebenserwartung der Betroffenen normal. Die Diagnose wird zumeist in den ersten Kinderjahren gestellt – meist wegen eines ungewöhnlichen EKG- oder klinischen Untersuchungsbefundes. Besonders bei organspezifischen Symptomen, wie z. B. bei einer Gallenkolik oder Angina pectoris, macht die Unkenntnis etwaiger Achsenrotationen der betroffenen Organe das Management von akuten Beschwerden schwer, so dass eine frühzeitige Diagnose hilfreich ist. In diesem Artikel wird der Fall eines 12-jährigen Jungen geschildert, bei dem diese Diagnose anlässlich einer sportmedizinischen Routine - Untersuchung erstmals gestellt wurde. Das Krankheitsbild sowie die wichtigen klinischen Konsequenzen in der Untersuchung, hier vor allem die Interpretation und Vorgehensweise beim Ableiten eines 12 – Kanal – EKGs werden erläutert. Ausserdem wird das Patientenmanagment dargestellt, insbesondere in welchen Fällen zusätzliche Untersuchungen wie bildgebende Verfahren oder eine Bronchoskopie erforderlich sind.

Schlüsselwörter: Situs inversus, Kartagener-Syndrom, primäre ziliäre Dyskinesie

SUMMARY

Situs inversus is the mirror image of situs solitus, which describes the normal position of cardiac atria and viscera. Situs inversus is associated with primary ciliary dyskinesia. Therefore, bronchiectasia should be excluded by chest X-ray or computed tomography, if repeated respiratory infections are reported. With an adequate treatment of bronchiectasia and in the absence of any other associated illnesses, especially the transposition of the great vessels and complex congenital heart disease, who must be excluded by echocardiography, patients with situs inversus typically have a normal life expectancy. In most cases, diagnosis is made in children and adolescents caused by an atypical ECG or abnormalities in the clinical examination. Symptoms of a malpositioned internal organ can be misinterpreted, when situs is unknown. Therefore, an early diagnosis in life is helpful especially in case of an emergency. We report the case of a twelve-yearold weightlifter, in whom we first confirmed the diagnosis of situs inversus on the occasion of a check-up in our department of sports medicine. We discuss the clinical pattern as well as the consistencies in physical examination, such as the correct application and interpretation of the 12 – lead – ECG. Furthermore, we summarize the adequate management for patients with situs inversus and its associated illnesses.

Key Words: Situs inversus, Kartagener`s syndrome, primary ciliary dyskinesia

EINLEITUNG

Der situs inversus ist eine seltene angeborene Fehlanlage der inneren Organe. Die Erstbeschreibung einer Dextrokardie, also einer nach rechts zeigenden Längsachse der Ventrikel im Thorax, durch Marco Severino geht auf das Jahr 1643 zurück. Mehr als ein Jahrhundert später beschrieb Matthew Baillie erstmals einen situs inversus totalis, also die rotierte Seitenausprägung der thorakalen und abdominellen Organe. Die Kenntnis der Organrotation ist wichtig, um apparative Untersuchungen wie das EKG richtig interpretieren zu können. Zum anderen wird bei Vorliegen eines situs inversus mit Bronchiektasen und Sinusitiden, dem sogenannten KartagenerSyndrom, die frühzeitige Anbindung an einen Pulmonologen zum konsequenten Management der Bronchiektasen zur Vermeidung einer Mortalitäts- und Morbidititätserhöhung empfohlen.

FALLBERICHT

Ein 12-jähriger Gewichtheber aus dem Landeskader stellte sich zum ersten Mal zur sportmedizinischen Untersuchung vor. In der Eigen- und Fremdanamnese mit Hilfe des Vaters waren rezidivierende eitrige Bronchitiden bis vor etwa zwei Jahren, ein seit drei Jahren behandeltes allergisches Asthma bronchiale und ein ADHS, welches seit 5 Jahren mit Methylphenidat in niedriger Dosierung behandelt wurde, zu eruieren. Mit der zweimal täglichen Inhalation eines topischen Steroids traten auch unter Belastung keine asthmatischen Beschwerden mehr auf. Ansonsten sei er gesund, die Vorsorgeuntersuchungen im Kindesalter wurden wahrgenommen und fielen ohne Auffälligkeiten aus. Die körperliche Untersuchung zeigte reine, leise Herztöne an den klassischen Auskultationspunkten, über dem rechten Thorax spiegelbildlich zu diesen deutlich lautere ohne Geräusche und eine nach rechts verlagerte Klopfschalldämpfung des Herzens. Die Auskultation und Perkussion der Lunge war unauffällig. Im EKG war die Herzachse nach rechts rotiert im Sinne eines überdrehten Rechtstyps, in den Brustwandableitungen fehlte eine R-Progression bei kleiner werdenden Positivitäten von V1 bis V6 und RSR`– Konfiguration lateral (Abb. 1).

Nach Umtauschen der Armelektroden und spiegelbildlicher Ableitung der Brustwandelektroden nach rechts resultierte ein „normales“ EKG in einer Indifferenzlage (Abb. 2). Echokardiographisch war bis auf die Rotation des Herzens nach rechts ein Normalbefund zu erheben. Sonographisch war die Diagnose eines kompletten situs inversus mit seitenverkehrt angelegten inneren Organen zu stellen. Eine pulmonologische Abklärung ergab radiologisch ein unauffälliges Lungengerüst, laborchemisch eine allergische Sensibilisierung gegenüber Milben und Katzenepithelien, so dass die Diagnose einer exogenen Asthmaerkrankung als wahrscheinlich erachtet wurde. Bei unauffälliger Lungenfunktion und Radiologie sowie fehlenden klinischen und anamnestischen Hinweisen auf relevante Bronchiektasen bei gut eingestelltem exogen-allergischen Asthma bronchiale wurde die invasive Diagnose eines Kartagener-Syndroms zunächst nicht erzwungen, im Hinblick auf die Fertilität eine Gen analyse angeraten.

DISKUSSION

Situs inversus wird definiert als die nach rechts rotierte spiegelbildliche Anlage der inneren Organe. Hierbei sind beim häufigeren situs inversus totalis sowohl das Herz als auch die viszeralen Organe rotiert. In etwa 3- 5% der Fälle – bei allen Lebendgeborenen in etwa 1% – werden Herzfehler – am häufigsten die Transposition der großen Gefäße, ansonsten solche von komplexer Natur – beobachtet. Beim inkompletten situs inversus sind entweder das Herz oder die Organe spiegelbildlich zum „Normalen“ angelegt. Hier ist beim sehr seltenen situs inversus mit Levokardie fast immer eine angeborene Herzerkrankung zu beobachten. In seltenen Fällen kann die genaue Rotationsachse der Organe nicht angegeben werden – hier spricht man vom situs ambiguus (7).
Der situs inversus als kongenitale Fehlanlage hat in den Vereinigten Staaten von Amerika eine Prävalenz von 0.01%, Jungen und Mädchen sind gleichermassen betroffen (6). Rassenunterschiede sind nicht beschrieben. Die Lebenserwartung von Betroffenen ist normal. In etwa 20% ist der situs inversus assoziiert mit dem Kartagener-Syndrom, einer Untergruppe der meist autosomal-rezessiv vererbten Erkrankungsgruppe „Primäre ziliäre Dyskinesie“ (1), umgekehrt findet man bei der Hälfte der Patienten mit einer primären ziliären Dyskinesie einen situs inversus. Die Zilien im respiratorischen Epithel sind hierbei un- oder minderbeweglich, meist wegen fehlender oder irregulärer Dynein-Arme (4). Das 1933 von Manes Kartagener erstbeschriebene Kartagener-Syndrom (5) besteht aus Bronchiektasen, Sinusitis häufig mit einer polyposis nasi assoziiert und dem situs inversus (6). Bei rezidivierenden pulmonalen Infekten und Vorliegen eines durch embryonale Ziliendefekte verursachten situs inversus wird die Anbindung an einen Pulmonologen zur Diagnose respektive zum Ausschluss einer primären ziliären Dyskinesie und zum Ausschluss einer Mukoviszidose empfohlen (10). Bei regelrechtem Management der Bronchiektasen haben diese Betroffenen eine normale Lebenserwartung (3). In etwa 60% ist die Fertilität bei Männern beeinträchtigt (11). Bei der rezessiv vererbten primären ziliären Dyskinesie konnten Mutationen in verschiedenen Genen nachgewiesen werden (9), so dass die Diagnostik neben dem elektronen- oder hochauflösend immunfluoreszenzmikroskopischen und/oder direktmikroskopischen Nachweis des beeinträchtigten Zilienschlages in der bronchoskopisch gewonnenen Bronchialschleimhaut auch eine genetische Abklärung erfolgen kann.
Anhand der körperlichen Untersuchung mit leisen Herztönen an den klassischen Auskultationspunkten, lauter hörbaren Herztönen spiegelbildlich nach rechts und der nach rechts verlagerten Herzdämpfung kann bereits der hochgradige Verdacht auf einen situs inversus geäussert werden. Die nach rechts verlagerte elektrische Herzachse im Sinne einer Rechts- oder überdrehten Rechtslage kommt ansonsten nur bei schweren Rechtsherzbelastungen vor und ist bei ansonsten gesunden, jungen Patienten ein weiterer diagnostischer Hinweis auf eine Rechtsrotation des Herzens. Typisch sind im EKG negative P- und T-Wellen in I, in den Brustwandableitungen fehlen Q-Zacken, es fehlt ein R-Progress und die QRS-Komplexe werden von V1 bis 6 kleiner. Durch einfaches Vertauschen der Armelektroden und spiegelbildliches Aufsetzen der Brustwandelektroden nach rechts erhält man das „normale“ EKG (2). Die Diagnose der Dextrokardie kann durch die echokardiographische Untersuchung dann leicht gestellt werden (12). Zur genauen Lagebeschreibung der Bauchorgane kann die Sonographie herangezogen werden, wobei nur in speziellen Situationen wie etwa Operationsplanungen weitere hochauflösendere Verfahren wie Computer- oder Magnetresonanztomographie benötigt werden (13). Bei einer Anamnese von rezidivierenden Bronchitiden oder Sinusitiden können in der körperlichen Untersuchung feuchtblasige Rasselgeräusche vor allem über den mittleren bis unteren Lungenfeldern als Hinweis auf Bronchiektasen auffallen. Hier sollte ein konventionelles Röntgenbild und gegebenenfalls ergänzend ein hochauflösendes Computertomogramm des Thorax angefertigt werden.
Die Kenntnis der Organlage des Betroffenen ist u.a. wichtig, um organbezogene Symptome wie etwa einen linksseitigen Unterbauchschmerz als Zeichen für eine Appendizitis erkennen und chirurgische Fehleingriffe verhindern zu können. Ebenso kann die Interpretation des EKG in Unkenntnis der Herzrotation Schwierigkeiten bereiten und einen falschen klinischen Kontext erzeugen.

FAZIT

Die sportmedizinische Untersuchung von Kaderathleten kann durchaus bislang unerkannte und für den Sportler relevante Pathologien aufdecken. Eine ungewöhnliche elektrische Herzachse mit Rechts- oder überdrehter Rechtslage bei ansonsten Gesunden sollte mittels Echokardiographie die Dextrokardie als Teil eines situs inversus gesucht werden. Ist diese nachweisbar, so genügt meist eine Sonographie des Abdomens, um die intraabdominellen Lageverhältnisse zu klären. Diese Erkenntnisse können bei folgenden Arztkontakten insbesondere bei organbezogenen Symptomen für Patienten hilfreich sein. Ein „normales“ EKG erhält man durch Vertauschung der Armelektroden und spiegelbildlicher Anbringung der Brustwandableitungen nach rechts. Bei Vorliegen eines situs inversus und rezidivierenden pulmonalen Infekten oder anderen Symptomen einer Lungenerkrankung sollte fachärztlich auf eine primäre ziliäre Dyskinesie abgeklärt werden - zur Basisdiagnostik gehören Lungenfunktion und Röntgen Thorax zum Ausschluss von Bronchiektasen. Lungenfunktion und klinische Kontrolle beim Pulmonologen sollten bei diesen Patienten mindestens halbjährlich wiederholt werden.

Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Keine.

LITERATUR

  1. Afzelius BA Genetical and ultrastructural aspects of the immotile cilia syndrome. Am J Hum Gen 33(1981) 852-864.
  2. Blank R EKG bei situs inversus. Schweiz Med Forum 14(2002) 334.
  3. Ellerman A, Bisgaard H Longitudinal study of lung function in a cohort of primary ciliary dyskinesia. Eur Respir J 10(1997) 2376-2379.
  4. Gärtig S, Konietzko N Primäre ziliäre Dyskinesie. Pneumologe 3(2006) 364-371.
  5. Kartagener M Zur Pathologie der Bronchiektasien: Bronchiektasien bei situs viscerum inversus. Beitr Klein Tuberk 83(1933) 489-501.
  6. Kinney TB, DeLuca SA Kartagener's syndrome. Am Fam Physician 44(1991) 133-134.
  7. Lee SE, Kim HY, Jung SE, Lee SC, Park KW, Kim WK Situs anomalies and gastrointestinal abnormalities. J Pediatr Surg 41 (2006) 1237-1242.
  8. Mano Y, Adachi N, Murakami G, Yokoyama T, Dodo Y Human situs inversus of the thoracoabdominal structures. Anat Sci Int 81(2006) 7-20.
  9. Noone PG et al Mutations in DNAI (IC78) cause primary ciliary dyskinesia. Chest 121(2002, 3 Suppl): 97S.
  10. O'Callaghan C, Chilvers M, Hogg C, Bush A, Lucas J Diagnosing primary ciliary dyskinesia. Thorax 62(2007) 656-657.
  11. Omran H Diagnostik und Therapie der primären ziliären Dyskinesie. Kinder und Jugendmezin 3(2006) 171-178.
  12. Silverman NH An ultrasonic approach to the diagnosis of cardiac situs, connections, and malpositions. Cardiol Clin 1(1983) 473-86.
  13. Yoo SJ, Kim YM, Choe YH Magnetic resonance imaging of complex congenital heart disease.Int J Card Imaging 15(1999) 151-160.
Dr. med. Kai Schommer
Universitätsklinik Heidelberg, Medizinische Klinik,
Innere Medizin VII: Sportmedizin
Im Neuenheimer Feld 710
69120 Heidelberg
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