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Leserbrief/Stellungnahme

Leserbrief zu dem Editorial von Steinacker JM mit Einladung zu Diskursbeiträgen: „Good or bad? Fairness and Dilemma in Anti-Doping Fight“
Dtsch Z Sportmed 61 (2010) 3.

Neue Dilemmata im Anti-Doping-Kampf – derer gibt es leider noch viel mehr!

1) Herr Steinacker bezog sich mehrfach auf die durch Doping verletzte Chancengleichheit. Ob alle gelisteten Pharmaka ein Wettkampf-Ergebnis aufgrund eines pharmakologischen Effekts begünstigen, ist aber strittig. Der bei Arzneimitteln typische Doppelt-Blind-Versuch ist mit Spitzensportlern unter Wettkampfbedingungen gar nicht machbar. Hierauf wies bereits Donike (4) hin: „An die Aufnahme von Wirkstoffen in eine spezifizierte Dopingliste sind strenge Maßstäbe zu setzen“ (S. 403) und als wesentliches Kriterium: „Nachgewiesene Leistungssteigerung, die die Möglichkeit, Wettkampfergebnisse zu verfälschen, wahrscheinlich macht“. Wenige Seiten später geht es um Probleme, dies experimentell nachzuweisen – u. a. wegen des Placebo-Effekts (S. 404f) mit folgender Lösung: „Als Ausweg bietet sich hier der pharmakologische Vergleich“ … als „eines der wertvollsten Kriterien für die Entscheidung“ an „ob eine Substanz als Dopingmittel zu betrachten ist oder nicht“.

2) Die Abgrenzungsprobleme zum Placebo sind für viele Dopingsubstanzen (nicht alle) eklatant; hierzu u. a. Donike ab 1972 (4, 5). Kurz vor seinem Tod teilte er 1994 dem Kölner Stadtanzeiger in einem nachlesenswerten Interview mit: „Ein bitterer Schlangenextrakt kann ganz gute Dienste leisten“.

3) Herr Steinacker begründete den Anti-Doping-Kampf u.a. mit gesundheitsschädigenden Wirkungen des Dopens. Wenn Minderjährige von Betreuern oder fast immer beteiligten Sportärzten zum Dopen verführt werden, ist dieses Vorgehen zweifelsfrei zu ahnden, aber auch bei mündigen Erwachsenen? Teils schwere gesundheitliche Schäden werden von Spitzensportlern wissentlich in Kauf genommen; für den Gewinn einer Medaille würden sie sogar Lebensjahre aufs Spiel setzen. So erscheint die Sorge von Sportmedizinern um die Gesundheit gedopter, erwachsener Sportler einseitig: Viele Kliniken haben sich auf reichlich anfallende Sportverletzte spezialisiert (7), während Sportmediziner landauf, landab den hohen gesundheitlichen Wert des Sporttreibens verkünden. Auf der Homepage der DGSP ergab die Suche zu Sportkliniken, Sportunfälleund Unfallverhütunglediglich die Anzeige: „Ihre Suche ergab leider keine Treffer“. Unfallverhütung als Prävention beim Sport und „nil nocere“ gelten im Umfeld von no risk, no fun wohl nicht wie in der Arbeitsmedizin als Schwerpunktthema.

4) Anti-Doping-Maßnahmen ähneln einem asymmetrischen Kampf mit reichlich krimineller Energie, Scheinheiligkeit und Doppelbödigkeit (2). Sie richten sich gegen individuelles abweichendes Verhalten und gegen zugehörige Rahmenbedingungen (1, 2, 6, ): Aus ärztlicher Sicht des Autors eine „Krankheit“, die nicht mehr heilbar ist. Bei deren „Therapie“ werden zunehmend ethische Grundsätze als „Privatrecht“ fast kommentarlos höheren Zielen geopfert: UrinAbnahmen mit Sichtabstand von unter 1 m, Duldungspflicht bezüglich Hergabe von Körperzellen oder Blut sowie fast permanente Erreichbarkeit. Stillschweigendes Einverständnis oder nicht – ohne solch Einverständnis sind Spitzensportler-Karrieren unmöglich. Eine echte Freiwilligkeit liegt auch bezüglich des Grundrechts der Unverletzlichkeit der Wohnung (§ 13 GG) nicht vor.

5) Spätestens mit dem Gen-Doping fand im Spitzensport eine Grenzüberschreitung statt. Ist diese noch umkehrbar? Welch ein Dilemma!

6) Auf der Doping-Liste stehende Medikamente müssen dem Athleten entweder als Therapie vorenthalten oder „sport ärztlich“ genehmigt werden – Anlaß, Doping-Regeln zu unterlaufen.

7) Spezifität und Sensitivität, somit falsch positive und falsch negative Ergebnisse gehören zum Standard der Labormedizin. Pitsch (8) stellte hierzu fest: „Kennwerte der Doping-Testverfahren werden jedoch von der WADA nicht veröffentlicht“; eine entsprechende „Anfrage per E-Mail wurde abschlägig beschieden“ (S. 95). Falsch positive Testergebnisse sind aber unvermeidbar, zu vermuteter Häufigkeit sowie moralischen Bedenken siehe Pitsch (8).

Fazit:
Der Autor will das Dopen keineswegs rechtfertigen, allerdings der Aufzählung von Herrn Steinacker weitere Dilemmata hinzufügen, besonders hinsichtlich der Ethik von Doping-Kontrollen, und dies auch wegen der immensen Kosten gerade für ärmere Länder. Die gesamte Doping-Szene, vom dopenden Sportler bis zum Anti-Doping-Kampf, steckt in einem Teufelskreis-Dilemma, aus dem der Autor kein Entrinnen und leider auch keinen Lösungsweg sieht. Ganz gleich, ob man das Dopen für Erwachsene freigeben oder weiter wie bisher verfahren würde: Glaubwürdigkeit und Vorbildfunktion des Sports werden weiterhin betroffen sein.

Literatur

  1. Bette KH: Doping im Leistungssport – zwischen individueller Schuld und kollektiver Verantwortung. Dtsch Z Sportmed 59 (2008) 5- 11.
  2. Bette KH, Schimank U: Doping im Hochleistungssport. Anpassung durch Abweichung. Frankfurt am Main 1995.
  3. DGSP (DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR SPORTMEDIZIN UND PRÄVENTION): Willkommen bei der DGSP, (Stand o. A., letzte Abfrage 24.10.2010)
    http://www.dgsp.de/index.php
  4. Donike M: Doping oder das Pharmakon im Sport. Hollmann W. (Hrsg.): Zentrale Themen der Sportmedizin (1. Aufl. 1972, 2. Aufl. 1977), 3. Aufl. Berlin, Heidelberg, New York 1986, 400- 415.
  5. Donike M: Ein bitterer Schlangenextrakt kann ganz gute Dienste leisten. Kölner Stadtanzeiger, 8.1.1994, unter (Abfrage: 24.10.2010).
    http://www.uni-mainz. de/FB/Sport/physio/pdffiles/DONIKE94.pdf
  6. Emrich E: Doping im Sport aus soziologischer Sicht. In: Messing, M, Müller N, Preuß H: Olympischer Dreiklang: Werte – Geschichte – Zeitgeist. Kassel 2004, 285- 321.
  7. MEDKNOWLEDGE: Ärzte – Kliniken: Sportmedizin – Sportverletzungen – Sportunfälle (Clinics for Sports Medicine & Surgery), (Stand: 9.12.2009, Abfrage 24.10.2010).
    http://www.medknowledge.de/klinik-arztsuche/chirurgie/sportmedizin.htm
  8. Pitsch W: Dopingkontrollen zwischen Testtheorie und Moral – Nicht intendierte Folgen prinzipiell nicht perfekter Dopingtests. In: Emrich E und Pitsch W. (Hrsg.): Sport und Doping – zur Analyse einer antagonistischen Symbiose. Frankfurt am Main u.a. 2009, 95 –110.
Korrespondenzadresse:
Prof. i.R. Dr. med. H.-V. Ulmer
Abteilung Sportphysiologie
Institut für Sportwissenschaft
Johannes Gutenberg-Universität
Saarstrasse 21
55099 Mainz
E-Mail: ulmer@uni-mainz.de