Einfluss eines Inline-Trainings auf die Gleichgewichtsfähigkeit älterer Personen
The Effect of Inline Skating on Postural Control in Elderly People
ZUSAMMENFASSUNG
Die Auswirkung von Inline-Skaten auf die Gleichgewichtsfähigkeit ist bisher nicht bekannt. Die vorliegende Studie untersuchte vor und nach einem 5-wöchigen Inline-Training die posturale Kontrolle bei Personen im Alter von 62 bis 74 Jahren. 14 Personen nahmen am Training teil (12 Frauen, 2 Männer; 67 ± 4 Jahre, 163 ± 6 cm, 71 ± 11 kg), 8 Senioren bildeten die Kontrollgruppe (6 Frauen, 2 Männer; 69 ± 3 Jahre, 169 ± 6 cm, 73 ± 11 kg).
Die Gleichgewichtsfähigkeit wurde in den folgenden Bedingungen getestet: a) auf einer Kraftmessplatte im Ein- und Zweibeinstand mit und ohne Therapiekreisel, b) auf einer beweglichen Plattform (Posturomed) im Ein- und Zweibeinstand mit und ohne Perturbation, c) im Functional Reach Test auf stabilem Untergrund, bei dem die maximale Vorneigungsfähigkeit der Probanden erfasst wurde. Die Teilnehmer der Trainingsgruppe verbesserten sich in allen Testbedingungen. Die größten Fortschritte konnten dabei in den anspruchsvollsten Gleichgewichtstests (Einbeinstand auf Therapiekreisel bzw. mit Perturbation) beobachtet werden. Die Kontrollgruppe wies in keinem der Tests signifikante Verbesserungen auf. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie demonstrieren, dass sich die posturale Kontrolle durch Inline-Training bei älteren Personen steigern lässt. Die funktionelle Relevanz dieser Trainingsintervention wird dadurch deutlich, dass gerade in denjenigen Testbedingungen die größten Verbesserungen zu verzeichnen waren, die am anspruchsvollsten waren und damit ein großes Gefahrenpotential hinsichtlich Stürzen tragen.
Schlüsselwörter: Gleichgewicht, Senioren, Training, Sturzprophylaxe
SUMMARY
The effect of inline skating on postural control is unknown. The present study investigated the influence of 5 weeks of inline training on balance control in elderly people aged 62 to 74 years. 14 subjects participated in the training while 8 served as a control. Postural stability was assessed in different balance tasks: a) on a force plate during mono- and bipedal stance (subjects stood either directly on the force plate or on a spinning top), b) on a moveable platform (Posturomed) during mono- and bipedal stance with and without perturbation, c) during a functional reach test on a stable support surface. Inline-trained participants improved in all test conditions. The greatest progress was achieved in the most demanding tests (during monopedal stance on the spinning top and when subjects were perturbed during one-legged stance on the Posturomed). The control group demonstrated unchanged performance in the post-measurement. The present results indicate that inline skating improves the ability to control upright stance in elderly people. As this effect was most pronounced in the demanding postural tasks, it may be speculated that inline training is especially effective to avoid loss of balance in situations with a high risk of falling.
Key Words: Postural control, elderly, training, fall prevention
EINLEITUNG
Es liegt eine Vielzahl von Studien über Inline-Skating vor, die sich mit den Risikofaktoren und dem Verletzungsbild dieser Sportart auseinandersetzen (31, 38, 20, 21). Als eine der häufigsten Sturzursachen gilt dabei der Verlust des Gleichgewichts ohne äußere Einwirkung (1, 28). Dies macht deutlich, dass der Gleichgewichtskontrolle eine herausragende Funktion bei der Ausübung dieser Sportart zukommt. Erstaunlicherweise hat sich jedoch noch keine Studie den potentiell positiven Effekten des Inline-Fahrens in Bezug auf die Gleichgewichtsfähigkeit angenommen. Die erhöhte Standposition, kombiniert mit der Verringerung der Unterstützungsfläche erschwert die Aufgabe, den Körperschwerpunkt über der Unterstützungsfläche zu halten.
In Analogie zu den Effekten eines sensomotorischen Trainings, das auf instabilem Untergrund durchgeführt wird (44), kann vermutet werden, dass die Fortbewegung auf Inline-Skates einen adäquaten Reiz zur Verbesserung der posturalen Kontrolle darstellt. Das primäre Ziel der vorliegenden Arbeit war es deshalb, den Einfluss eines 5-wöchigen Inline-Trainings auf die Gleichgewichtsfähigkeit zu erfassen. Als Probanden wurden ältere Senioren im Alter von 62 bis 74 Jahren gewählt, da in dieser Altersgruppe der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Gleichgewichtsfähigkeit eine wichtige Funktion im Rahmen der Sturzprophylaxe einnimmt (25, 8, 27). Im Laufe des menschlichen Alterungsprozesses kann es zu degenerativen Erscheinungen des neuromuskulären und somatosensorischen Systems kommen. Altern ist im Allgemeinen von einem Rückgang der Kraft (19), insbesondere der Schnellkraft (18, 33), gekennzeichnet, da es zu einer Reduktion der großen aMotoneurone (47) sowie der Typ II Muskelfasern kommt (11, 26). Darüber hinaus sind kutane (51) und visuelle (49) Wahrnehmung oftmals eingeschränkt und es kann zu einer Verringerung der Nervenleitgeschwindigkeit kommen (10). Im Vergleich zu jungen Menschen zeigen ältere Personen bei Änderungen der posturalen Anforderung eine reduzierte Modulation spinaler Reflexantworten (22, 32, 23). Diese Alterserscheinungen führen zu einer herab gesetzten körperlichen Leistungsfähigkeit, die sich nachteilig auf die Gleichgewichtsfähigkeit auswirken kann (41). Granacher et al. (13) demonstrierten jedoch, dass diesen negativen Effekten des Alterns durch ein sensomotorisches Training entgegengewirkt werden kann und sich die posturale Kontrolle auch bei älteren Personen (67 ± 4 Jahre) verbessern lässt. In Anbetracht der bereits beschriebenen Ähnlichkeit von sensomotorischem Training und Inline-Skaten wurde die Hypothese aufgestellt, dass ein InlineTraining zur Verbesserung der Gleichgewichtsfähigkeit bei älteren Personen führt. Darüber hinaus sollte evaluiert werden, inwieweit sich die Gleichgewichtsfähigkeit in Relation zum Schwierigkeitsgrad der Testbedingung anpasst, da Studien an Patienten den Schluss nahe legen, dass erst ab einem gewissen Anforderungslevel funktionell relevante Gleichgewichtsdifferenzen erfasst werden können (17, 39).
MATERIAL UND METHODEN
Personenstichprobe
Insgesamt nahmen 22 ältere Personen ohne neurologische oder orthopädische Einschränkungen an der Studie teil. Acht Personen bildeten die Kontrollgruppe (6 Frauen, 2 Männer; 69±3 Jahre, 169 ±6 cm, 73±11 kg, Body-Mass-Index (BMI) 25±4), 14 Personen die Interventionsgruppe (12 Frauen, 2 Männer; 67 ± 4 Jahre, 163± 6 cm, 71±11 kg, Body-Mass-Index (BMI) 27±3). Keiner der Teilnehmer hatte zuvor Erfahrungen im Inline-Fahren gesammelt. Die Aufteilung auf die zwei Gruppen erfolgte zufällig. Auf Grund der Befürchtung, dass einige Probanden der Trainingsgruppe ihre Teilnahme wegen Überforderung oder wegen eines Sturzes einstellen würden, sind von Anfang an mehr Teilnehmer in die Trainingsgruppe eingeteilt worden. Da jedoch alle Probanden der Trainingsgruppe das Training und die Ausgangsmessung abschlossen, ergibt sich eine unterschiedliche Anzahl an Teilnehmern für die Trainings- und die Kontrollgruppe. Alle Teilnehmer der Studie waren Mitglied einer Seniorensportgruppe, die regelmäßig einmal pro Woche trainierte.
Training
Das Inline-Training erstreckte sich über einen Zeitraum von 5 Wochen mit insgesamt 13 Trainingseinheiten (jeweils 2 in den ersten 2 Wochen und je 3 in den darauf folgenden 3 Wochen). Eine Einheit umfasste mit Aufwärmen und Anlegen der Sicherheitsausrüstung 60 Minuten, wobei mindestens 30 Minuten auf das Fahren auf einem oder zwei Skates entfielen. Das primäre Ziel des Trainings war die Schulung der eigenständigen Fortbewegung auf Inline-Skates. Zu Anfang fand eine Einführung in das richtige Stürzen statt (ohne Skates), im Anschluss daran kamen Übungen auf einem Skate und auf Mattenböden zum Einsatz. Ab der sechsten Trainingseinheit wurde mit Hilfe von Zug- und Schiebeübungen das Fahren auf zwei Skates geübt. Gegen Ende der Intervention wurde Wert auf das Erlernen effektiver Bremstechniken gelegt.
Ablauf
Sowohl die Trainings- als auch die Kontrollgruppe absolvierten eine Reihe von Gleichgewichtstests. Vor der eigentlichen Messung fanden für jeden Test zwei Probedurchgänge statt, um mögliche Lerneffekte zu minimieren. Um Ermüdung vorzubeugen, lagen zwischen den einzelnen Tests 1 bis 2 Minuten Pause, zwischen den Stationen 5 Minuten. Die Testbatterie wurde nach dem Training bzw. nach 5 Wochen normaler körperlicher Aktivität (Kontrollgruppe) ein zweites Mal in gleicher Weise durchlaufen.
Bestimmung der posturalen Kontrolle mit Hilfe einer Kraftmessplatte
Änderungen der Druckverteilung des Fußes (COP = „centre of pressure“) wurden mit Hilfe einer Kraftmessplatte (GKS 1000®, IMM Holding GmbH) mit einer Aufnahmefrequenz von 200 Hz gemessen. Die Auslenkung des COP in anterior-posteriore wie auch medio-laterale Richtung wurde sowohl im ein- als auch beidbeinigen Stand mit stabiler Unterstützungsfläche (Kraftmessplatte) und mit instabilem Untergrund (Therapiekreisel, der auf die Kraftmessplatte gelegt wurde) bestimmt. Somit ergaben sich 4 verschiedene Messbedingungen:
a) Beidbeiniger Stand (30 s)
b) Beidbeiniger Stand auf Therapiekreisel (30 s)
c) Einbeinstand (rechtes und linkes Bein für je 15 s)
d) Einbeinstand auf Therapiekreisel (rechtes und linkes Bein für je 15 s)
Bestimmung der posturalen Kontrolle mit Hilfe einer beweglichen Plattform
Die Standstabilität wurde zusätzlich mit einer beweglichen Plattform (PosturomedTM) erfasst, die an vier Federn aufgehängt war und somit dynamische Translationsbewegungen in der Transversalebene erlaubte ( für technische Details siehe Mueller et al. (30)). Die Probanden wurden aufgefordert, möglichst ruhig auf dem Gerät im ein- bzw. beidbeinigen Stand zu stehen. Zusätzlich fand ein Perturbationstest statt, bei dem die Plattform mit einer Auslenkung von 2, 5 cm zunächst arretiert und nach einiger Zeit vom Versuchsleiter freigegeben wurde, so dass es zu einem für den Probanden unvorhergesehenen ruckartigen medialen Störreiz kam. Der Proband hatte hierbei die Aufgabe, die schwingende Plattform so schnell wie möglich in eine ruhige Position zu bringen. Insgesamt ergaben sich demnach 4 Aufgabenstellungen für den Probanden, in denen Schwankungen der PosturomedPlattform in anterior-posterior und medio-lateralen Richtung aufgezeichnet wurden:
a) Beidbeiniger Stand (30 s)
b) Beidbeiniger Stand mit Perturbation (10 s)
c) Einbeinstand (rechtes und linkes Bein für je 15 s)
d) Einbeinstand mit Perturbation (rechtes und linkes Bein für je 10 s)
Functional Reach Test
Im Functional Reach Test wurde die maximale Vorneigungsfähigkeit der Probanden gemessen. Die Versuchspersonen standen hierzu schulterbreit im beidbeinigen Stand und streckten ihren rechten Arm im 90° Winkel (Schulter – Rumpf) nach vorne. Von dieser Ausgangsposition wurde der Proband aufgefordert, seine Hand so weit wie möglich auf der gleichen Höhe nach vorne zu strecken, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. Die Differenz in Zentimetern zwischen der Reichweite in der Ausgangsposition und der Reichweite bei maximaler Vorlehnung wurde bestimmt.
Datenverarbeitung und Statistik
Aufgrund der kürzeren Messzeiten im Einbeinstand gegenüber dem beidbeinigen Stand wurde für alle Bedingungen der mittlere Schwankweg bzw. die mittlere COP-Auslenkung pro Zeit errechnet. Für das Posturomed konnte die Versuchsbedingung Einbeinstand mit Perturbation nicht in das Messwieder holungsdesign mit aufgenommen werden, da es zu viele Versuchsabbrüche gab. Bei dieser Bedingung wurden deshalb die Anzahl der Abbrüche in Eingangs- und Ausgangsmessung miteinander verglichen.
Die Daten sind als Mittelwerte ± Standardfehler angegeben außer bei der Darstellung der Personenstichprobe, bei der Mittelwerte und Standardabweichung genannt sind. Der Einfluss des Trainings auf die Gleichgewichtsfähigkeit wurde in einem ersten Schritt mit einem „allgemeinen linearen Modell“ (general linear model = GLM) mit den Faktoren „Gruppe“, „Zeit“ und „Test“ durchgeführt [2 (Gruppe) * 2 (Zeit) * 8 (Test)]. Zusätzlich wurden für die verschiedenen Einzeltests an GKS und Posturomed GLMs mit den Faktoren „Zeit“ und „Test“ gerechnet. Für die Anzahl der Versuchsabbrüche auf dem Posturomed wurde ein nicht-parametrischer Wilcoxon-Test durchgeführt, um Unterschiede zwischen Eingangs- und Ausgangsmessung zu detektieren. Traininsbedingte Anpassungen der Reichweite im Functional Reach Test wurden durch eine 2 (Gruppe) x 2 (Zeit) faktorielle Varianzanalyse bestimmt. Zusammenhänge zwischen dem Schwierigkeitsgrad einer Testbedingung (Level 1 bis 4) und den durch Training erzielten Verbesserungen der Standstabilität wurden mit Hilfe einer GLM errechnet. Allen Tests wurde eine Signifikanzniveau von P≤0.05 zugrunde gelegt.
ERGEBNISSE
Die GLM über alle Testbedingungen und Gruppen ergab keine generellen Anpassungen über die Zeit (F18=0,16; p=0,70). Die Interaktionen „Zeit“ * „Gruppe“ (F18=5,5; p=0,031) und „Zeit“ * „Test“ (F12=3,4; p=0,029) waren jedoch signifikant. Vor Trainingsbeginn waren keine Unterschiede zwischen Trainings- und Kontrollgruppe ersichtlich. Dies impliziert divergierendes Verhalten von Trainings- und Kontrollgruppe sowie unterschiedlich ausgeprägte Anpassungen bei den jeweiligen Testbedingungen.
COP Auslenkung
Die auf der Kraftmessplatte bestimmten COP Auslenkungen von Eingangs- und Ausgangsmessung wiesen einen gruppenspezifischen Unterschied über die Zeit auf: „Zeit“ * „Test“ * „Gruppe“ (F3, 18 = 3,4; p = 0,042). Dabei unterschieden sich Eingangs- und Ausgangsmessung ausschließlich für die Trainingsgruppe (Faktor „Zeit“ F13 = 6,9; p = 0,021; Kontrollgruppe: F6 = 1,1; p = 0,34; Abb. 1). In beiden Gruppen waren signifikante Unterschiede der COP Auslenkungen beim Vergleich der einzelnen Testbedingungen (beidbeiniger Stand stabil, beidbeiniger Stand auf Therapiekreisel, einbeiniger Stand stabil, einbeiniger Stand auf Therapiekreisel) zu sehen: Trainingsgruppe, F11 = 15,7; p < 0,001; Kontrollgruppe, F4 = 15,4; p = 0.011.
Schwankweg
Der Schwankweg von Eingangs- und Ausgangsmessung unterschied sich gruppen- und testspezifisch: „Zeit“ * „Test“ * „Gruppe“ (F2, 18 = 3,97; p = 0,037). Die GLM lieferte sowohl für die Trainings- (F11 = 31,6; p < 0,001) als auch die Kontrollgruppe (F6 = 12,0; p = 0,008) signifikante Unterschiede für die verschiedenen Testbedingungen auf dem Posturomed (beidbeiniger Stand ohne Perturbation, beidbeiniger Stand mit Perturbation, einbeiniger Stand ohne Perturbation). Einen Zeiteffekt sowie eine Interaktion von Zeit und Test ergab sich jedoch ausschließlich für die Trainingsgruppe („Zeit“ F12 = 14,1; p = 0,003; „Zeit“ * „Test“ F11 = 7,0; p = 0,011; Kontrollgruppe: „Zeit“ F7 = 0,4; p = 0,57; „Zeit“ * „Test“ F6 = 1,7; p = 0,27; Abb. 2). Darüber hinaus verzeichnete die Trainingsgruppe in der Versuchsbedingung Einbeinstand mit Perturbation in der Ausgangsmessung 13 Versuchsabbrüche weniger als in der Eingangsmessung (p<0,001), die Kontrollgruppe hingegen nur einen weniger (p=0,32).
Functional Reach Test
Im Functional Reach Test ergab sich eine Interaktion von „Zeit“ * „Gruppe“ (F1, 20=21,4; p<0,001). Die Trainingsgruppe konnte sich im Functional Reach Test von 38,4±1,0 cm auf 43,9±1,6 cm verbessern (p<0,001) wohingegen die Werte der Kontrollgruppe keine Änderungen aufwiesen (Eingangsmessung: 38,9±1,5 cm; Ausgangsmessung: 37,5±1,4 cm; p=0,26; siehe Abb. 3).
Ausmaß der Trainingsanpassung in Relation zum Schwierigkeitsgrad des Tests
Für die Testbedingungen auf dem GKS [Level 1) beidbeinig stabil, Level 2) beidbeinig Therapiekreisel, Level 3) einbeinig stabil, Level 4) einbeinig Therapiekreisel] ergab sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Trainingsanpassung und dem Schwierigkeitsgrad des Tests. Die COP Auslenkung nahm nach Training umso mehr ab, je schwieriger – gemessen am Ausmaß der mittleren COP-Auslenkung – die Versuchsbedingung war: Die größten Verbesserungen waren bei Level 4 zu verzeichnen, gefolgt von Level 3, 2 und 1 („Verbesserung in Relation zum Schwierigkeitsgrad des Tests“, F11=4,4; p=0,030; siehe Abb. 4). Gleichermaßen konnten sich die Probanden bei den Gleichgewichtstests auf dem Posturomed in der anspruchsvollsten Bedingung am meisten steigern („Verbesserung in Relation zum Schwierigkeitsgrad des Tests“, F12=7,2; p=0. 009; siehe Abb. 5).
DISKUSSION
Das 5-wöchige Inline-Training führte zu einer Verbesserung der Gleichgewichtsfähigkeit bei den teilnehmenden Senioren. Die größten Leistungssteigerungen konnten dabei in den anspruchsvollsten Test- (Gleichgewichts-) aufgaben beobachtet werden. Im Gegensatz zur Trainingsgruppe wurde bei der Kontrollgruppe keine Steigerung der posturalen Kontrolle beobachtet.
Trainierbarkeit des älteren Organismus
Im Laufe des menschlichen Alterungsprozesses kann es zu degenerativen Erscheinungen des neuromuskulären und somatosensorischen Systems kommen (19, 18, 33), die sich zum Teil nachteilig auf die Gleichgewichtsfähigkeit auswirken. Interventionsstudien haben jedoch gezeigt, dass vielen dieser degenerativen Prozesse durch körperliche Aktivität entgegengewirkt wird und es zu einer Verbesserung der Gleichgewichtsfähigkeit kommen kann (36, 13). Granacher et al. (13) wiesen in diesem Zusammenhang nach, dass ein 13-wöchiges sensomotorisches Training auf instabilen Unterstützungsflächen wie Kippbrettern, Therapiekreiseln und Airex-Matten (Airex®, Aalen, Deutschland) zu verbesserten Kompensationsreaktionen von Gangperturbationen führt. Gleichgewichtsübungen auf instabilen Unterstützungsflächen führten auch in anderen Studien zu Verbesserungen der posturalen Kontrolle bei älteren Personen (2, 4). Dies drückte sich beispielsweise in reduzierten Schwankamplituden im Einbeinstand mit offenen und geschlossenen Augen sowie verbesserten Werten im Functional Reach Test aus. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen den Schluss nahe, dass – zumindest bei älteren Personen – die Auswirkungen eines 5-wöchigen Inline-Trainings auf die Gleichgewichtsfähigkeit vergleichbar denen nach sensomotorischem Training sind. Sowohl im Functional Reach Test als auch in den Tests auf dem Posturomed und dem GKS konnten sich die Senioren nach dem Inline-Training verbessern. Vor dem Hintergrund der erhöhten Sturzgefahr älterer Menschen (37) besitzen diese Ergebnisse eine hohe Relevanz, welche durch die Beobachtung gesteigert wird, dass sich die größten Leistungsfortschritte in den anspruchsvollsten Gleichgewichtsbedingungen nachweisen ließen.
Ausmaß der Trainingsanpassung in Relation zum Schwierigkeitsgrad des Tests
Bei Einteilung der Testbedingungen nach ihrem Schwierigkeitsgrad – gemessen am Ausmaß der COP-Auslenkung (GKS) bzw. der Länge des Schwankweges (Posturomed) – fällt auf, dass sich die Probanden in den einfacheren Tests nicht verbessern konnten. Sowohl im beidbeinigen Stand auf dem GKS wie auch auf dem Posturomed wiesen 6 Probanden „Verbesserungen“ auf, wohingegen sich die anderen 6 Probanden „verschlechterten“. Sobald die posturalen Anforderungen jedoch zunahmen (Einbeinstand bzw. Perturbationsreiz), waren bei nahezu allen Probanden der Trainingsgruppe Verbesserungen der Gleichgewichtsfähigkeit zu verzeichnen. Der statistisch abgesicherte Zusammenhang zwischen der Testschwierigkeit und dem Ausmaß der Trainingsanpassung lässt vermuten, dass die einfachen Testbedingungen nicht dafür geeignet waren, funktionell relevante Gleichgewichtsdefizite aufzudecken. Gestützt wird diese Vermutung durch Ergebnisse von Smithson et al. (42), die bei Parkinson-Patienten durch einfache statische Gleichgewichtstests keine Beeinträchtigung der posturalen Kontrolle nachweisen konnten. Wurden die Patienten jedoch in anspruchsvolleren Tests wie dem Einbeinstand oder bei Standperturbationen untersucht, konnte eindeutig zwischen Patienten und gesunden Personen bzw. zwischen Patienten mit und ohne Sturzgeschichte diskriminiert werden. Die mangelnde Sensitivität einfacher Testbedingungen wurde von den Autoren auf einen „Ceiling-Effect“ zurückgeführt und ist in mehreren anderen Studien ebenfalls beschrieben. So wiesen Parkinson-Patienten bei statischen Tests des Gleichgewichts zum Teil sogar signifikant geringere Körperschwankungen auf als gesunde Kontrollpersonen (17, 39). Sobald jedoch Störreize appliziert wurden, zeigten diese Patienten unkoordinierte Kompensationsreaktionen. Die aufgeführten Studien an Patienten legen den Schluss nahe, dass erst ab einem gewissen Anforderungslevel funktionell relevante Gleichgewichtsdifferenzen erfasst werden.
Abgesehen von der Möglichkeit, dass die einfachen Testbedingungen aufgrund eines „Ceiling-„ bzw. „Floor-Effects“ nicht sensibel genug waren trainingsspezifische Anpassungen in der vorliegenden Studie zu detektieren, könnte jedoch auch die Art des Trainings für diese Ergebnisse verantwortlich sein. Inline-Skaten ist eine sehr dynamische Sportart und es kann vermutet werden, dass es daher insbesondere die dynamische Gleichgewichtsfähigkeit anspricht. Die einfachen Testbedingungen in unserer Studie hatten jedoch einen statischen Charakter. Ähnliche Resultate wurden bei Handballspielerinnen beobachtet, die an einem „neuromuskulären Training“ teilnahmen (16). Die Übungen der Intervention wurden dynamisch durchgeführt und hatten signifikante Verbesserungen der dynamischen Gleichgewichtsfähigkeit zur Folge. In Einklang mit der vorliegenden Studie konnten sich die Spielerinnen jedoch nicht in einem statischen Gleichgewichtstest steigern.
Unabhängig davon, welcher Mechanismus für das unterschiedliche Ausmaß der Trainingsanpassung in Relation zum Schwierigkeitsgrad des Tests verantwortlich war, sprechen die vorliegenden Ergebnisse für eine hohe funktionelle Relevanz des Inline-Trainings in Hinblick auf die Sturzprophylaxe. Gerade in den postural anspruchsvollen Tests, in denen das Risiko zu stürzen besonders hoch war, konnten sich die Teilnehmer am meisten steigern. Dies lässt vermuten, dass inline-trainierte Personen auch in sturzgefährdeten Situationen des Alltags besser dem Verlust des Gleichgewichts entgegenwirken können als untrainierte Personen gleichen Alters.
Welche Adaptationen sind für die verbesserte posturale Kontrolle verantwortlich?
Die verbesserte Gleichgewichtsfähigkeit von Senioren nach Durchführung eines sensomotorischen Trainings wurde von Granacher et al. (13) auf periphere und spinale Anpassungsreaktionen zurückgeführt. Zu dieser Vermutung hatte die Beobachtung geführt, dass die Probanden nach dem Training höhere Amplituden sowie kürzere Latenzen ihrer kompensatorischen Reflexe aufwiesen. An Probanden jungen und mittleren Alters wurde vor kurzem demonstriert, dass sich durch ein Gleichgewichtstraining jedoch nicht nur spinale sondern auch kortikale Strukturen anpassen (3, 40, 43). In allen drei Studien wurde vermutet, dass die supraspinalen Anpassungsreaktionen den entscheidenden Beitrag zur Verbesserung der Gleichgewichtsfähigkeit lieferten. Im Falle des Inline-Trainings fehlen Messdaten, um Aussagen über die Anpassung spezifischer Strukturen treffen zu können. Aufgrund der kurzen Trainingszeit von 5 Wochen wird jedoch vermutet, dass überwiegend neuronale Anpassungen zur Verbesserung der posturalen Kontrolle beigetragen haben (29, 14). Diese werden primär jene Regionen des zentralen Nervensystems betroffen haben, welche für die posturale Kontrolle des Inline-Fahrens essentiell sind. Die Bedeutung des spinalen Reflexsystems wurde sowohl für den ungestörten Stand (7, 48) als auch für kompensatorische Reaktionen nach Perturbation (9) gezeigt. Subkortikalen Regionen wie dem Kleinhirn und den Basalganglien wird ebenfalls eine wichtige Funktion in der Gleichgewichtskontrolle zugeschrieben (50, 34, 24). Neuere Studien an Tier und Mensch zeigen, dass auch kortikale Regionen eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung des Gleichgewichts spielen (5, 46, 6). Wie bereits erwähnt, konnte für spinale (15, 45) und kortikale Strukturen (3, 40, 43) eine hohe Plastizität nach sensomotorischem Training nachgewiesen werden. Die methodisch schwierige Zugänglichkeit subkortikaler Strukturen hat bisher den direkten Nachweis subkortikaler Plastizität verhindert. Allerdings sprechen indirekte Hinweise in Studien über sensomotorisches Training (40, 43) als auch direkte Nachweise in Lernstudien, die nicht in Zusammenhang mit der posturalen Kontrolle stehen (35, 12) dafür, dass mit zunehmender Automatisierung der zu bewältigenden Aufgabe (also mit fortschreitendem Training), Kleinhirn und Basalganglien immer mehr an Bedeutung gewinnen.
Die Analogie von Inline-Training und sensomotorischem Training lässt vermuten, dass Inline-Training Anpassungen auf spinaler und supraspinaler Ebene induziert und dass diese multiplen Anpassungen für die verbesserte Gleichgewichtsfähigkeit nach InlineTraining verantwortlich sind.
SCHLUSSBETRACHTUNG
Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich der Organismus des älteren Menschen positiv an den Trainingsreiz Inline-Fahren anzupassen vermag und sich diese Anpassungen am besten in postural anspruchsvollen Situationen nachweisen lassen. Da die anspruchsvollen Testbedingungen auch diejenigen Situationen darstellen, in welchen die älteren Menschen besonders sturzgefährdet sind, wird die überproportionale Verbesserungen in diesen Bedingungen als Indiz für eine hohe funktionelle Relevanz des Inline-Trainings in Hinblick auf die Prophylaxe von Stürzen angesehen. Es muss hierbei jedoch angemerkt werden, dass Inline-Skaten eine sehr anspruchsvolle Gleichgewichtsaufgabe darstellt und somit eine erhöhte Sturzgefährdung bei der Ausübung dieser Sportart vorliegt. Die vorliegende Studie will deshalb nicht den Eindruck vermitteln, dass Inline-Training generell als Ersatz für ein sensomotorisches Training zur Sturzprophylaxe eingesetzt werden kann oder sollte. Vielmehr wollen wir aufzeigen, dass denjenigen (älteren) Menschen, denen ein sensomotorisches Training zu wenig anspruchsvoll bzw. zu eintönig oder langweilig erscheint, mit dem Inline-Training eine abwechslungsreiche Alternative geboten wird.
Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Keine
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Prof. Dr. Wolfgang Taube
Department für Medizin
Universität Fribourg
Chemin du Musée 3
1700 Fribourg
Schweiz
E-Mail: wolfgang.taube@unifr.ch