Motorisches Lernen als Therapie beim Idiopathischen Parkinson Syndrom
Motor Learning as a Therapy in Idiopathic Parkinson’s Disease
ZUSAMMENFASSUNG
Das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS) ist eine neurodegenerative Erkrankung. Neben medikamentöser Therapie gilt die Bewegungstherapie als förderliche Methode zur Symptombehandlung. Die Analyse der Literatur zeigt, dass Patienten I) in höherem Maß von neuen verglichen zu herkömmlichen Therapiemethoden profitieren, dass II) Betroffene ebenso wie gleichaltrige Gesunde von kurzen Übungseinheiten profitieren, nicht jedoch von längeren Einheiten und dass III) der Therapieeffekt durch das Anwenden externer Stimuli höher ist als ohne Stimuli. Der Erfolg durch das Training mit externen Stimuli wird nach Erkenntnissen von del Olmo (2006) dem Ansprechen unbeeinträchtigter Areale und dem Umgehen der pathologischen Netzwerke der Basalganglien zugeschrieben. Da beim motorischen Neulernen ebenfalls von der Erkrankung unbeeinträchtigte Areale angesprochen werden, wird postuliert, dass diese positiven Effekte möglicherweise auf dem Neuheitsfaktor der Therapien beruhen. Folglich wird die Hypothese aufgestellt, dass eine Bewegungstherapie mit einem hohen Lernanteil die motorische Kompetenz von IPS Patienten in höherem Maß erhält als eine Therapie mit bekannten Inhalten.
Schlüsselwörter: Parkinson, motorisches Lernen, Bewegungstherapie
SUMMARY
Idiopathic Parkinson's disease (IPD) is a neurodegenerative disorder. Apart from pharmacological treatment, movement therapy shows beneficial effects on the symptoms. The reviewed literature reveals that I) patients show better improvements from new therapies compared to conventional therapies, that II) like healthy age matched controls, patients benefit from short-term practice in contrast to longterm practice, that III) effects from cue training are superior to training without cues. According to del Olmo (2006), improvements after cue training probably result from an access to unimpaired pathways, avoiding access to impaired basal ganglia networks. During initial phases of motor learning, unimpaired pathways are likewise activated. Hence, it is postulated that positive outcomes depend on the fact that therapies are new. It is hypothesized that movement therapy with a high demand on motor learning is more effective in maintaining motor performance of IPD patients than movement therapy with well-known motor tasks.
Key words: Parkinson, motor learning, movement therapy
DIE PATHOLOGIE DER BASALGANGLIEN
Das Idiopathische Parkinson Syndrom (IPS) ist eine neurodegenerative Erkrankung, die durch Tremor, Rigor und Bradykinese und posturale Instabilität gekennzeichnet ist (14).
Ein Verlust an dopaminergen Neuronen in der Schwarzen Substanz (substantia nigra) der Basalganglien (BG) wird für die Symptomatik verantwortlich gemacht. Bis zum heutigen Tag ist die Ursache des Zellsterbens ungeklärt. Der Dopaminneuronenverlust im Striatum führt zu einem erhöhten Output der BG (2). Die Folge ist eine gestörte Funktion der supplementärmotorischen Areale und des dorsolateralen präfrontalen Kortex, die mit einer gestörten Bewegungsplanung und -umsetzung einhergeht (44).
ERKENNTNISSE VON STUDIEN ZUR BEWEGUNGSTHERAPIE
Neben der medikamentösen Therapie gilt die Bewegungstherapie als „potentiell förderliche“ Methode zur Parkinsonbehandlung (Goodwin et al. (8) in einem Review über Bewegungstherapien bei Parkinson).
- Musiktherapie (18), Vibrationstraining (7) und Laufbandtraining unter Körpergewichtsentlastung (13) stellen sich bei vergleichenden Studien der herkömmlichen Physiotherapie als überlegen dar.
- Patienten profitieren ebenso wie gleichaltrige Gesunde von kurzen Übungseinheiten, nicht aber von langen Übungseinheiten (1, 17)
- Training mit externen Stimuli verbessert den Gang und das Gleichgewicht (15), weist anhaltende Effekte auf (12) und ist dem Training ohne Stimuli überlegen (24).
MÖGLICHE MECHANISMEN DES THERAPIEEFFEKTS
Beim motorischen Lernen zeigen abhängig vom erworbenen Fertigkeitsstadium verschiedene Hirnregionen ihre maximale Aktivität (10). In frühen Phasen des Lernens ist neben einer erhöhten Aktivierung im Kleinhirn (20, 10) eine Steigerung der Aktivierung im präfrontalen und lateralen prämotorischen Kortex (10) zu erkennen. Mit zunehmender Übung kann eine Aktivitätssteigerung der BG, frontaler Areale (19) sowie posteriorer supplementärmotorischer Areale (10) beobachtet werden, jedoch keine signifikante Aktivierung im Kleinhirn (20).
Die Basalganglien sind bei der Kontrolle von extern getriggerten Bewegungen kaum involviert (16, 23). Während einer selbst initiierten Bewegung (intern getriggert) aktiviert ein Gesunder neben anderen Arealen insbesondere die supplementär motorischen Areale und den dorsolateralen präfrontalen Kortex (11). IPS Patienten hingegen zeigen bei dieser Aufgabe eine pathologische Aktivierung in den genannten Arealen (9, 23). In den lateralen prämotorischen Feldern, die bei Ausführung extern getriggerter Bewegungen involviert sind (3, 19), ist kein Unterschied zwischen Gesunden und Patienten evident (10). Daher entsprechen sich die erhobenen Aktivitätsmuster von Patienten und Gesunden bei der Durchführung extern getriggerter Bewegungen (9).
Es fällt auf, dass bei der Durchführung von motorischen Handlungen, die extern getriggert werden, ähnliche Areale und Bahnen angesprochen werden wie beim motorischen Lernen initialer Lernphasen.
Bewegungstherapien, in denen extern getriggerte Bewegungen durchgeführt werden, berichten von Erfolgen. Thaut und Mitarbeiter (24) konnten diese Erfolge bereits an biomechanisch erhobenen Größen nachweisen. Positive Effekte auf die Symptomatik des IPS infolge von Training mit externen Stimuli werden der Nutzung unbeeinträchtiger Areale zugeschrieben (6). Da beim motorischen Lernen initialer Stadien ebenso weitestgehend unbeeinträchtigte Areale angesprochen werden, könnte motorisches Neulernen eine effektive Therapiemethode sein. Das Ansprechen unbeeinträchtigter Areale durch eine neue Therapie könnte auch begründen, weshalb einige Studien von höheren Effekten durch eine für die Patienten neue Therapie gegenüber einer bekannten Therapie berichten und weshalb durch kurze Übungseinheiten größere Erfolge erzielt werden können als durch lange Übungseinheiten. Somit sind möglicherweise nicht die Inhalte der Therapie, sondern die Konfrontation mit neuem für die Verbesserungen der Motorik verantwortlich.
Ausgehend von der Tatsache, das beherrschte oder automatisierte Bewegungen sich der bei IPS gestörten neuronalen Netzwerke der Basalganglien bedienen, scheint die Wiederholung dieser Bewegungen im Rahmen einer Therapie als fragwürdig.
Daher wird die Hypothese aufgestellt, dass eine Therapie mit hohem motorischen Lernanteil die beeinträchtigte Motorik von IPS Betroffenen in höherem Maße beeinflussen kann als eine Therapie mit ständig wiederkehrenden Inhalten. Es wird postuliert, dass das wiederholte Ansprechen des Motoneuronenpools durch Bewegungen, die über nicht beeinträchtigte Areale gesteuert werden, die vormals gestörte Motorik bei IPS verbessert. Somit kann der Motoneuronenpool von intakten Strukturen gesteuert werden. Da die motorischen Einheiten nicht beeinträchtigt sind, werden infolge eines Trainings Änderungen für die inter- und intramuskuläre Koordination bei zyklischen Bewegungen in Form einer ökonomischeren Koaktivierung, einem klar definierten Ein- und Ausschalten der Muskeln, sowie eine geringere Variabilität erwartet. Hierdurch werden in der Bewegungskinematik Verbesserungen im Timing, in der Bewegungspräzision, Geschwindigkeit und Variabilität erwartet.
ÜBERPRÜFUNG DER HYPOTHESE
In einer Untersuchung der Universität Stuttgart wurde die oben dargelegte Hypothese mit 24 IPS Patienten (65 ±10 Jahre, Hoehn&Yahr Stadium 2-2,5) überprüft (5). Die Patienten wurden in der Baselineperiode (10 Wochen) der Studie im 3-wöchigen Abstand 4-mal untersucht. Hiernach folgte die Trainingsperiode, in der die Patienten über 12 Wochen 2-mal wöchentlich entweder I) gleichbleibende Inhalte/konventionelle Therapie (Gang, Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit oder II) motorisches Neulernen mit aufmerksamkeitsfordernden Inhalten trainierten. In dieser Periode erfolgten ebenfalls 4 Untersuchungen im 3-wöchigen Abstand.
Das Untersuchungsprotokoll beinhaltete die Analyse der Fein- und Alltagsmotorik mittels Elektromyographie (EMG) und Kinemetrie. Ausserdem wurde die motorische Kompetenz während Reaktions- und Zielaufgaben, schneller repetitiver Bewegungen, statischer und dynamischer Standstabilitätsaufgaben, als auch beim Gehen und Aufstehen geprüft. Zusätzlich wurde der UPDRS erfasst (Unified Parkinson Disease Rating Scale).
Bezüglich des Gangs und der statischen und dynamischen Standstabilität konnte durch die Therapie II (motorische Lerntherapie) ein höherer Effekte erzielt werden als durch Therapie I (immer wiederkehrende Inhalte in der Therapie). Therapie I wies bezüglich der Feinmotorik höhere Effekte auf. Unterschiede zwischen den Therapiestrategien fielen sehr gering aus.
Den untersuchten motorischen Aufgaben lagen unterschiedliche motorische Kontrollmechanismen zugrunde. Erfolge beider Therapien (bspw. Gang) lassen sich durch eine erhöhte Aufmerksamkeit begründen. Bei erhöhter Aufmerksamkeit ist das durch die Erkrankung beeinträchtigte Automatisationszentrum nicht mehr wesentlich an der Bewegungskontrolle beteiligt (6). Verbesserungen der statischen und dynamischen Standstabilität der Untersuchung werden dadurch erklärt, dass die Steuerung des Körpergleichgewichts primär dem Zerebellum unterliegt (5). Unterliegt die Steuerung einer Aufgabe jedoch den beeinträchtigten Arealen der Basalganglien (vgl. schnelle repetitive Bewegungen), so ist die Verbesserung durch eine Bewegungstherapie nur schwer zu erreichen (5).
Somit scheint die Beeinflussung der motorischen Kompetenz maßgeblich durch die Steuerung der Aufgabe determiniert zu sein und Verbesserungen kinematischer und neuromuskulärer Parameter resultieren daher vermutlich aus der Nutzung spinaler Motoneuronen über unbeeinträchtigte Bahnen.
EMPFEHLUNGEN FÜR DIE PRAXIS
Aspekte, welche die Wirkung eines Trainings beeinflussen (bspw. Dauer, Dichte, Intensität) wurden bei bis dato publizierten Studien zur Trainingstherapie (Übersicht in (5)) mit IPS Patienten nur marginal untersucht. Die Mehrzahl der Untersuchungen versuchte die Frage zu klären, wie sich bestimmte Therapieinhalte auf gezielte Parameter der Motorik auswirken.
Generelle Empfehlungen zu geben, ist aufgrund der mannigfaltigen Ausprägungsformen des Parkinson Syndroms sehr schwierig. Übungen sollten immer an die individuellen Voraussetzungen des Patienten angepasst werden und es sollte beachtet werden, dass ein Patient selbst unterschiedliche Voraussetzungen mit sich bringt (bspw. Unterschiede zwischen der mehr und weniger betroffenen Körperseite). Bezüglich der Trainingsinhalte sollte dies ebenfalls berücksichtigt werden. Die oben beschriebene Studie gibt Grund zur Annahme, dass nicht die Trainingsinhalte an sich, sondern die Steuerung der Aufgabe über den Grad der Trainierbarkeit bestimmen. Grundsätzlich stellt das Trainieren von Neuem eine durchaus empfehlenswerte Ergänzung zu bislang durchgeführten Therapieprogrammen beim IPS dar.
Eine detaillierte Übersicht zu Sport bei Parkinson, auch in Abhängigkeit des Krankheitsstadiums, findet sich in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin von Reuter und Engelhardt 2007 (22).
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Dr. Julia Bühlmeier
Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft
Biomechanische Therapieevaluation
Universität Stuttgart
Allmandring 28
70569 Stuttgart
E-Mail: wilfried.alt@sport.uni-stuttgart.de