Reduziert sich das Mortalitätsrisiko sowohl für normal- als auch übergewichtige Personen durch körperliche Aktivität?
Is Mortality reduced by Physical Activity in Normal- and Overweight Men and Woman?
ZUSAMMENFASSUNG
Der Zusammenhang zwischen der Gesamtsterblichkeit und verschiedenen Aktivitätsempfehlungen (moderate vs. hohe Intensität) wird für normal-, übergewichtige und adipöse Personen untersucht.
Die körperlich aktive Freizeitgestaltung, die Körperlänge und das -gewicht von 3.742 Männern und 3.445 Frauen zwischen 30 und 69 Jahren wurden zwischen 1984 und 1986 per Selbstreport erhoben. Ein Mortalitäts-Follow-up folgte im Jahre 1998. Berechnet wurden die relativen Mortalitätsrisiken inaktiver und aktiver, normal- und übergewichtiger Männer und Frauen.
Die multivariaten relativen Risikoschätzer (RRs) der normalgewichtigen (BMI <25), übergewichtigen (BMI 25 bis <30) und adipösen (BMI >=30) Männer betrugen bei Erreichen mindestens einer der beiden Aktivitätsempfehlungen (mindestens 2,5 h/w moderat- oder mindestens 1 h/w hochintensiver Aktivität), 0.71 (95%-Konfidenzinterval 0.55-0.91), 0.89 (0.70-1.13) und 0.79 (0.49-1.28). Die entsprechenden RRs bei den Frauen betrugen 0.57 (0.41-0.79), 0.75 (0.50-1.11) und 0.30 (0.14-0.65). Die RRs wurden für das Alter, den sozio-ökonomischen Status und für Rauchen, Alkohol, Ernährung sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren und chronische Krankheiten adjustiert. Zusätzliche Analysen zeigten, dass moderatintensive Alltagsaktivitäten das Sterblichkeitsrisiko bei Frauen stärker minderten als bei Männern. Befolgen normal und übergewichtige Personen die gängigen Aktivitätsempfehlungen, so senken sie ihr Risiko frühzeitig zu versterben. Dieser Befund legt nahe, vor allem Übergewichtigen in erster Linie eine Steigerung der Aktivität zu empfehlen und sekundär eine Gewichtsreduktion.
Schlüsselwörter: Aktivitätsempfehlungen, Mortalität, BMI
SUMMARY
The aim of the present analyses was to determine the sex-specific association between all-cause mortality and different physical activity (PA) guidelines (moderate vs. vigorous-intense PA) with respect to BMI-status.
PA during leisure time and BMI of 3,742 men and 3,445 women aged 30 to 69 were assessed by self-report in a baseline questionnaire from 1984 to 1986. The participants were observed during the follow-up-period until 1998 when a mortality follow-up was conducted. We compared the rate for active vs. inactive men and women in subgroups of their weight status (defined by Body Mass Index).
The multivariate rate ratios (RR) in men for the achievement of the PA guidelines for either moderate intense PA (at least 2,5 hours peer week) or vigorous intense PA (at least 60 minutes per week) were 0.71 (95%Confidence Interval 0.55 - 0.91), 0.89 (0.70 - 1.13), and 0.79 (0.49 - 1.28) across BMI-groups <25; 25-30 and >=30, respectively. In women, corresponding RRs were 0.57 (0.41 - 0.79), 0.75 (0.50 - 1.11), and 0.30 (0.14 - 0.65) across BMI-groups <25; 25-29.9 and >=30, respectively. The RRs were adjusted for age, SES, smoking, alcohol, dietary factors as well as cardiovascular risk factors and chronic diseases. Further analyses indicated that the moderate-intense PA guideline was more important to decrease the mortality risk in women than in men.
Following current physical activity guidelines seems to be associated with lower risk of overall mortality independent of BMI-Status in a sample of German adults.
Key Words: Physical activity guidelines, mortality, BMI
EINLEITUNG
Mittlerweile hat eine Vielzahl epidemiologischer Studien eine präventive und lebensverlängerte Wirkung körperlicher Aktivität nachgewiesen (34). Offen ist, ob ein Mindestausmaß an körperlicher Aktivität auch für Personen mit Übergewicht und Adipositas gesundheitliche Risiken mindert oder ob hier nicht vordringlich eine Gewichtsreduktion erfolgen sollte. Aktuelle Studien zeigen, dass körperliche Aktivität und körperliche Fitness den Risiko steigernden Einfluss des Körpergewichts auf die Mortalität abschwächen (6, 20). In welchem Ausmaß der riskante Einfluss des Übergewichts durch körperliche Aktivität abgemildert wird, ist allerdings bis heute ungeklärt (18, 19).
In Ratschlägen und Verordnungen an Übergewichtige wird der tatsächlichen Komplexität des Zusammenhangs selten Rechnung getragen. Beim derzeitigen Sachstand sollte eine bevorzugte Betonung der Übergewichtsreduzierung – in der Absicht, eine gesundheitspräventive Wirkungen zu erzielen – nicht vorschnell erfolgen. Eine Bevorzugung der Gewichtsabnahme gegenüber einer Aktivitätssteigerung könnte alleine schon deshalb nachteilig sein, weil eine dauerhafte Gewichtsabnahme selten gelingt (6, 9, 18). Zudem ist nicht eindeutig nachgewiesen, dass übergewichtige Personen früher versterben als normalgewichtige (28).
PROBLEM- UND ZIELSTELLUNG
Seit den 1990er Jahren wird mit der Health-Enhancing-PhysicalActivity (HEPA) -Empfehlung propagiert, 30 Minuten moderat-intensiver Aktivität (> 3MET) an den meisten Tagen einer Woche als gesundheitlich wirksames Mindestmaß zu investieren (33). Das bedeutet zunächst eine Abkehr von adaptationsrelevanten Umfängen und Intensitäten, die zu einer gesteigerten Fitness führen (37). Für die Fitnesssteigerung werden hochintensive (Ausdauer-)Aktivitäten von mindestens 20 Minuten Dauer an mindestens drei Tagen pro Woche empfohlen (Fitness-Empfehlung) (1). In der aktuellen Verlautbarung des American College of Sportsmedicine und der American Heart Association werden beide Positionen verknüpft (13).
In einer Reihe von Studien zeigt sich tatsächlich, dass bereits die Verwirklichung das HEPA-Maßes das Mortalitätsrisiko von Männern und Frauen reduziert (25, 26, 31). Eine Kohortenstudie des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaft, durchgeführt im Rahmen des Nationalen Gesundheitssurveys, zeigt einen geschlechtstypischen Effekt. Die Befolgung der HEPA-Empfehlung mindert vor allem bei Frauen deutlich das Mortalitätsrisiko. Männer profitieren dagegen eher vom Aktivitätsausmaß der FitnessEmpfehlung (7).
Daten für unterschiedliche Übergewichtsgruppen stammen aus Nordamerika, Skandinavien und Großbritannien (18). In einer Studie von Leitzmann et al. (26) halbiert das Erreichen der in beiden Empfehlungen gegebenen Aktivitätsumfänge und -intensitäten sowohl bei normalgewichtigen als auch bei übergewichtigen Männern und Frauen das Sterberisiko (RR: 0.45; 95%-Konfidenzintervall 0.39- 0.52) vs. (0.48; 0.44- 0.54). Selbst das Aktivitätsmaß der HEPAEmpfehlung reduziert das Risiko beider Gruppen immerhin noch um 40%. Für Deutschland dagegen sind keine nach Gewichtsklassen geordneten Daten verfügbar. Der einzige Hinweis stammt aus der Kohorte des oben zitierten Nationalen Gesundheitssurveys, in welcher der Übergewichtsstatus als konfundierende Variable berücksichtigt wurde, jedoch den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Mortalität nur unbedeutend beeinflusste (7).
Die vorliegende Studie fragt, ob die beiden — zurzeit gängigen — Aktivitätsvorgaben (HEPA- vs. Fitness-Empfehlung) für verschiedene Übergewichtsgruppen in gleicher Weise empfehlenswert sind. Der Übergewichtsstatus wird über den BMI klassifiziert. Da Männer und Frauen unterschiedlich körperlich aktiv sind (36), trennen wir zusätzlich zwischen den beiden Geschlechtern.
MATERIAL UND METHODEN
Die Merkmale der Stichprobe und das methodische Vorgehen wurden bereits an anderer Stelle ausführlich dokumentiert (7, 8). Wir beschränken uns hier auf jene wesentlichen Studiencharakteristika, die zur Beantwortung der gestellten Frage notwendig sind.
Studienpopulation und Studiendesign
Das Ausmaß der körperlichen Aktivität während der Freizeit, die Körperhöhe, das Körpergewicht und weitere Angaben zu möglichen Konfoundern wurden in einer Baselinebefragung (Selbstauskünfte) im Rahmen des Nationalen Gesundheitssurveys des Bundesinstituts für Bevölkerungswissenschaft zwischen 1984 und 1986 erhoben. Die Rücklaufquote der Fragebogen betrug 69,7%. Durch den Loss-to-follow-up gingen weitere 14% der Stichprobe verloren. Insgesamt konnten Daten von 3.742 Männer and 3.445 Frauen im Altern zwischen 30 und 69 Jahren ausgewertet werden. Zusätzlich fehlten bei 17 Männern und bei 40 Frauen Angaben zu den Konfounder-Variablen. Multivariat wurden schließlich die Daten von 3.725 Männern und 3.405 Frauen ausgewertet.
Im Jahr 1998 erfolgte ein Mortalitäts-Follow-up. Die Todesfälle wurden durch die Einwohnermelderegister des Jahres 1998 identifiziert. Diese Vorgehensweise ist als hoch valide einzuschätzen.
Die Messung körperlicher Aktivität und des Übergewichtsstatus
Über eine adaptierte Kurzform des Minnesota Leisure Time Physical Activity Questionnaires wurde die körperliche Aktivität erfragt. Im Verfahren werden den Befragten 18 Arten körperlicher Aktivität (z.B. Fahrradfahren und Gartenarbeit) angeboten, von denen dann für jede Aktivität die Häufigkeit und die Dauer während der vergangenen drei Monate eingeschätzt wird. Mit Hilfe des Kompendiums für die metabolischen Äquivalente (METs) (2) wurden moderat-intensive (3 bis 6 METs) sowie hochintensive körperliche Aktivitäten (>6 METs) getrennt. Um die beiden oben genannten Aktivitätsempfehlungen (Fitness und HEPA) separat abzubilden, wurden je dichotome Variablen konstruiert: 2,5 h/w moderat-intensive körperliche Aktivität stehen für das Erreichen der HEPA-Empfehlung (30 Minuten moderat-intensive körperliche Aktivität an mindestens 5 Tagen pro Woche). Eine Stunde wöchentliche hochintensive Belastung entspricht der Fitness-Empfehlung (drei Mal wöchentlich 20 Minuten an hochintensiver körperlicher Aktivität) (13). Diese Operationalisierung ist nicht unproblematisch, da die HEPA-Empfehlung per definitionem sowohl moderat- als auch hochintensive körperliche Aktivitäten einschließt. Wir haben uns dennoch für diese Einteilung entschieden, um einerseits die Effekte von moderat- gegenüber hochintensiver körperlicher Aktivität zu separieren und um andererseits Überschneidungen in den Aktivitätsempfehlungen auszuschließen, welche die Interpretation des Ergebnisses und die Zuordnung der Effekte deutlich erschweren würden. Zusätzlich wurde eine weitere dichotome Variable konstruiert, die das Erreichen mindestens einer der beiden Empfehlungen markierte. Dies kann auch bedeuten, dass beide Empfehlungen erreicht wurden.
Über die Selbstangaben zur Körperlänge und zum Körpergewicht wurde der BMI (in kg/m2) berechnet. Die Befragten wurden der WHO-Klassifikation folgend in drei BMI-Klassen zugeordnet: normalgewichtig <25 kg/m2; übergewichtig 25 kg/m2 bis 29.9 kg/m2 und adipös >=30 kg/m2).
Statistische Analyse und Konfounder
Die Untersuchung des Zusammenhangs von Gesamtsterblichkeit und Aktivitätsempfehlungen erfolgte über geschlechts- und BMIspezifische (entsprechend der oben genannten Strata) proportionale Cox-Regressionsanalysen. Das statistische Signifikanzniveau wurde auf p < 0.05 festgesetzt. Die Auswertung erfolgte mit dem Statistical Analysis System (SAS; Version 8.1.2).
Die multivariaten relativen Mortalitätsrisken (RRs) wurden adjustiert. Als Variablen aus den selbstberichteten Daten gingen hierbei die Folgenden ein (ausführlich in (8)): die jeweils andere Aktivitätsempfehlung, Alter (Tertile), sozioökonomischer Status (Index aus Haushaltseinkommen, Berufsstatus und Schulbildung), Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung (diese umfasst die Regelmäßigkeit des Frühstücks und einen Index aus positiven Ernährungsgewohnheiten), kardiovaskuläre Risikofaktoren (ein Index aus Diabetes, Hypercholesterinämie und Hypertonie) und chronische Erkrankungen (ein Index aus Myokardinfarkt, kardialer Insuffizienz, zerebro-vaskulären Erkrankungen, Rheuma, Asthma, Krebserkrankungen).
Aufgrund der geringen Sterbefälle in den drei BMI-Strata wurde darauf verzichtet, die Analysen unter Ausschluss von Personen mit chronischen Erkrankungen und unter Ausschluss der Todesfälle innerhalb der ersten fünf Jahre zu wiederholen. Diese Vorgehensweise wird in epidemiologischen Kohortenstudien oftmals praktiziert, um potentielle Bias-Varianten auszuschließen. In diesem Fall begegnet man der Problematik, dass chronisch erkrankte Personen bzw. früh während des Follow-up verstorbene Personen aufgrund von prä-klinischen Krankheitsverläufen ihre körperliche Aktivität einschränken und deshalb früher versterben. Da entsprechende Analysen für das gesamte Stichprobenkollektiv keine Auswirkungen auf die Risikoschätzer zeigten (7, 8), ist die Wahrscheinlichkeit für einen Bias an dieser Stelle allerdings eher als gering anzusehen.
ERGEBNISSE
Während des Follow-up-Zeitraumes verstarben 300 Frauen und 643 Männer des Kollektivs. Die Frauen und Männer verteilten sich wie folgt auf die BMI-Klassen. Als normalgewichtig (BMI <25) wurden n = 2.210 (64,1%) Frauen und n = 1.587 (42,4%) Männer deklariert. Als übergewichtig (BMI 25 bis 29,9) wurden n = 936 (27,2%) Frauen und n = 1.812 (48,4%) Männer klassifiziert. Als adipös (BMI ≥30) schließlich wurden n = 299 (8,7%) Frauen und n = 343 (9,2%) Männer identifiziert. Von der Stichprobe erreichten 68,4% der Frauen und 66,8% der Männer mindestens eine der beiden Aktivitätsempfehlungen.
Die RRs bei Erreichen mindestens einer der beiden Aktivitätsempfehlungen waren für normalgewichtige am niedrigsten und für übergewichtige Männer am höchsten. Für die Frauen waren die RRs in der Gruppe der Adipösen am niedrigsten und in der Gruppe der Übergewichtigen am höchsten (siehe Tab. 1 und 2).
Die weiteren Analysen deuten an, dass die Befolgung der HEPA-Empfehlung das relative Sterblichkeitsrisiko über alle BMI-Gruppen hinweg für die Frauen nicht nur deutlich stärker als für die Männer, sondern auch im Gegensatz zu den Männern signifikant reduziert. Umgekehrt profitieren die Männer stärker von der Fitnessempfehlung. Diese Geschlechtstypik gilt allerdings nicht für die Gruppe der Adipösen (siehe Tab. 1 und 2).
DISKUSSION
Werden die gängigen Empfehlungen zur gesundheitspräventiven Wirkung körperlicher Aktivität befolgt, profitieren aktive Personen unabhängig vom Gewichtsstatus. Die Sterblichkeit wird reduziert. Auffällig ist aber, dass die Risikoreduktion zwischen den BMI-Gruppen deutlich schwankt. So ist kein Trend zu finden, der nahe legt, dass normalgewichtige Männer und Frauen stärker profitieren als adipöse oder umgekehrt.
Weiterhin fällt auf, dass Frauen und Männer von der Befolgung der beiden Empfehlungen (HEPA vs. Fitness) unterschiedlich zu profitieren scheinen. Frauen nützt bereits eine niedrig intensive Belastung, Männer müssen sich dagegen intensiver belasten, um einen vergleichbaren Effekt zu erzielen.
Leitzman et al. (26) fanden eine vergleichbare Risikoreduktion für die Gesamtsterblichkeit von etwa 50% für das Erreichen der HEPA- und Fitnessempfehlung in der Gruppe der Normalgewichtigen (BMI <25) und der Gruppe der Übergewichtigen (BMI >25). Crespo et al. (10) beobachteten über vier BMI-Klassen ebenfalls ein stabiles Muster der Risikoreduktion. Statt der beiden Empfehlungen wurden hier die Personen Quartilen körperlicher Aktivität zugeordnet. Interessanterweise reduzierte sich das Sterblichkeitsrisiko bei denjenigen adipösen Männern am stärksten, die dem höchsten Quartil angehörten.
Dieser Befund und die Beobachtung, dass nach den eigenen Daten – insbesondere die adipösen Frauen, in der Tendenz auch die adipösen Männer – das Sterblichkeitsrisiko am stärksten senkten, lässt sich physiologisch deuten. Die Operationalisierung der Aktivitätsempfehlungen in der eigenen Studie erfolgte über eine MET-basierte Zuordnung der körperlichen Aktivitäten. METs spiegeln hier somit die absolute Intensität einer Aktivität wider. Das individuelle Körpergewicht blieb zudem unberücksichtigt. Die Ausführung einer gegebenen Aktivität provoziert jedoch bei einer Person mit höherem Körpergewicht einen deutlich höheren Energieumsatz (43). Wenn man davon ausgeht, dass der Energieverbrauch die Sterblichkeitsreduzierung determiniert (27), müssten bei gleicher Aktivitätsvorgabe Personen mit höherem Gewichtsstatus daher auch stärker profitieren.
Nach der bisherigen Befundlage kann ein konsistenter Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Risikoreduktion der Sterblichkeit konstatiert werden. Das gilt unabhängig vom Gewichtsstatus auch dann, wenn im statistischen Zugang das Übergewicht als Konfounder berücksichtigt wird oder aber Übergewichtsstrati gebildet werden (18, 20, 22).
Dass Frauen unabhängig vom BMI scheinbar stärker von moderat-intensiver körperlicher Aktivität profitieren als Männer zeigte sich bereits für die Gesamtstichprobe der eigenen Studie (7). Auch andere Studien weisen darauf hin, dass Frauen und Personen im höheren Lebensalter stärker von einer moderat-intensiven körperlichen Aktivität profitieren als Männer im jüngeren und mittleren Lebensabschnitt (21). Exemplarisch sei hier auf die British Civil Servants Study und die Health Professionals` FollowUp-Study verwiesen. Erstgenannte findet einen sterblichkeitsreduzierenden Effekt erst ab einem Alter von 54 Jahren (30).
Die zweitgenannte Studie zeigt außerdem, dass nicht die Gehdauer von 40- bis 79-jährigen Männer entscheidend ist, sondern dass die Geschwindigkeit, als Maß der Intensität, das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen senkt (39). Für Frauen zeigt sich im Kontext kardiovaskulärer Erkrankungen ein protektiver Effekt des moderatintensiven Gehens von RR = 0.80 (0.74 bis 0.87) (32).
Mögliche Erklärungen für die Geschlechtstypik könnten mit Unterschieden im körperlichen Aktivitätsverhalten begründet liegen. So wird international wie national konsistent berichtet, dass Frauen weniger körperlich aktiv sind als Männer (36, 40).
In der vorliegenden Studie differiert das Aktivitätsverhalten allerdings nicht sonderlich stark. Aber auch hier zeigt sich, dass Männer vor allem in höherem Umfang hochintensiv körperlich aktiv sind. Frauen bevorzugen eher körperliche Aktivitäten in moderater Intensität wie etwa das zügige Gehen (36).
Aus den eigenen Daten kann die relative Wirkung von körperlicher Aktivität und Übergewicht auf die Gesamtsterblichkeit aufgrund der geringen Sterblichkeitsfälle in den BMI-Strata nicht beleuchtet werden. Interessanterweise findet sich in der Studie von Koster et al. (19) ein unabhängiger Einfluss von Übergewicht (sowohl BMI als auch Hüftumfang) und körperliche Aktivität auf die Gesamtsterblichkeit (19). Ähnliches bestätigt sich in weiteren Studien (18).
Zusammenfassend zur relativen Wirkung sei auf die Übersichtsarbeit von Lee et al. (20) eingegangen. Die Forschungsgruppe identifizierte drei Studien, welche die relative Wirkung zwischen körperlicher Aktivität und Übergewicht und sieben Studien, welche die relative Wirkung zwischen kardio-respiratorischer Fitness und Übergewicht untersuchten. Die Autoren resümieren, dass die körperliche Aktivität den Zusammenhang von Übergewicht auf die Sterblichkeit abschwächt, nicht aber verschwinden lässt. Für die körperliche Fitness zeigen mehrere Studien nicht nur eine drastische Abschwächung, sondern gar eine Auflösung des Zusammenhangs von Übergewicht auf die Sterblichkeit. Insgesamt ist trotz einer hohen Unterschiedlichkeit von Stichproben, von Aktivitäts- und Übergewichtsmaßen festzuhalten, dass das höchste Sterberisiko unter jenen Personen beobachtet wird, die sowohl adipös als auch inaktiv oder „unfit“ sind (15, 20, 22). Jedoch sollte auch bedacht werden, dass die Inzidenz von Outcomes wie des Diabetes Mellitus Typ 2 oder des metabolischen Syndroms deutlich stärker vom Übergewichtsstatus als von der körperlichen Aktivität beeinflusst werden. Beides, Übergewicht und körperliche Aktivität, sind aber als unabhängige Wirkfaktoren anzusehen (16, 42).
Bezogen auf die Übergewichtsmaße ist sicher in Frage zu stellen, ob der BMI der richtige Marker für das Übergewicht ist. So ist ungeklärt, ob körperliche Inaktivität das Übergewicht beeinflusst oder ob Übergewicht, definiert über den BMI, körperliche Inaktivität nach sich zieht (14). Zudem zeigen Studienergebnisse, dass der Hüftumfang – als Indikator der abdominalen Fettverteilung – unabhängig vom BMI die Sterblichkeit erhöht (19, 44).
Methodische Einschränkungen
Die Ergebnisse der vorgestellten Studie sind aufgrund methodischer Einschränkungen vorsichtig zu interpretieren. Erstens wurden sowohl die körperliche Aktivität als auch Körperhöhe und -gewicht per Selbstauskunft erhoben. Derartige Angaben über das Ausmaß an körperlicher Aktivität sind mit ungerichteten Missklassifikationen behaftet, die den Zusammenhang zur Sterblichkeit aber eher unterschätzen (17). Mit der objektiven Erfassung der körperlichen Aktivität werden dann auch deutlichere Ergebnisse erreicht (27). Die Angaben zum BMI per Selbstauskunft führen eher zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Übergewichtsstatus (12). Dies zeigt sich ebenfalls in den eigenen Daten, da im Vergleich zu anderen bevölkerungsweiten Studien (z.B. Deutsche Herzkreislauf-Präventionsstudie) die Prävalenz für Übergewicht und Adipositas in der eigenen Studie niedriger ausfällt (29). Eine massive Beeinflussung des Risikoschätzers anhand gerichteter Missklassifikation entsteht zudem dadurch, dass Übergewichtige dazu tendieren, die körperliche Aktivität stärker zu überschätzen als normalgewichtige Personen (41). Eventuell lassen sich so auch die Unterschiede in der Stärke des Zusammenhangs zwischen Mortalität und körperlicher Aktivität bzw. körperlicher Fitness erklären (20). Weiterhin muss beachtet werden, dass die Angaben zu den Konfounder ebenfalls selbstberichtet wurden. Deshalb kann residuales Confounding auftreten, so dass als Konsequenz, durch die ungenauen Angaben zu den Konfoundern, die adjustierten RRs verzerrt bleiben könnten (11).
Zweitens verstarben im Beobachtungszeitraum nur wenige Personen in den verschiedenen BMI-Gruppen. Dieses bedingt instabile statistische Modelle und ließ es nicht zu, eine „joint stratification analysis“ zu rechnen, die näher über die relative Wirkung von Übergewicht und körperlicher Aktivität auf die Sterblichkeit informiert hätte (20). Aus diesem Grund konnten auch keine Personen, die nur eine der beiden Aktivitätsempfehlungen befolgten, aus den Analysen ausgeschlossen werden. In vorhergehenden Analysen – ohne BMI-Segmentierung – wurden die Risikoschätzer allerdings nicht durch eine Einschränkung auf Personen beeinflusst, die nur einer Empfehlung folgten (7).
Drittens wurden die Aktivitätsempfehlungen nur grob klassifiziert. So wurde beispielsweise die Häufigkeit der Aktivität nicht separat berücksichtigt. Stattdessen wurde ein akkumuliertes Maß von 2,5 h/w, mithin also 5 x 30 Minuten verwendet. Inwieweit diese Einteilung Effekte auf die Sterblichkeit überdeckt, ist bislang ungeklärt. In der Harvard Alumni Health Study zeigte sich, dass es für eine gesunde Person keinen Einfluss auf das Sterblichkeitsrisiko hat, wenn sie nur über eine einmalige Einheit das geforderte Gesamtmaß erreicht oder über mehrere Einheiten verteilt (24). Darüber hinaus ist die körperliche Aktivität in ihrem Ausmaß nicht stabil über die Zeit (23). Da in der hier vorgestellten Studie die körperliche Aktivität nur zur Basiserhebung erhoben und festgelegt wurde, kann ein verzerrender Einfluss einer Veränderung der körperlichen Aktivität auf die Mortalität nicht ausgeschlossen werden. Die Forschung zeigt jedoch, dass durch eine einmalige Messung der körperlichen Aktivität zu Beginn des Untersuchungszeitraums der Effekt auf die Mortalität aufgrund von nicht-differenziellen Missklassifikationen unterschätzt wird (3).
Eine generelle präventive Wirkung – insbesondere der HEPAEmpfehlung – kann aus den Daten nicht abgeleitet werden, da hier nur körperliche Aktivität während Freizeit erfragt wurde. Studien, welche mögliche weitere Domänen körperlicher Aktivität (Transport, Haushalt, Freizeit, Arbeit) in den Blick nehmen, produzieren inkonsistente Ergebnisse (4, 38). Dieses beachtend ist nicht auszuschließen, dass die eigenen Daten den Risiko mindernden Effekt überschätzen.
Dennoch, das Befolgen der gängigen Aktivitätsempfehlungen senkt deutlich das Sterblichkeitsrisiko unabhängig vom Übergewichtsstatus. Die Ergebnisse der eigenen Studie bestätigen internationale Forschungsergebnisse auch für Deutschland. Allerdings scheinen Männer und Frauen nicht in gleicher Weise von denselben Aktivitätsempfehlungen (HEPA vs. Fitness) zu profitieren.
Trotz der methodischen Unschärfen ist es unter Einbezug der derzeitige Evidenzlage richtig und wichtig, normal-, übergewichtigen und adipösen Personen einen körperlich aktiven Lebensstil im Sinne etwa der HEPA-Empfehlung anzuraten.
Aus den vorliegenden Daten nicht unmittelbar zu schlussfolgern, aber eine Debatte wert, ist die Frage, inwieweit die Priorisierung der Gewichtsreduzierung überdacht werden sollte. Dieses gilt nicht nur für die Geamtmortalität, sondern auch für stark übergewichtsdeterminierte Outcomes wie z.B. Diabetes Mellitus Typ 2, da körperliche Aktivität zum einen direkt präventiv auf dieses Krankheitsbild einwirkt und zum anderen gleichzeitig das Übergewicht günstig beeinflusst (5). Mit dem Ziel, präventiv auf diverse Gesundheitsendpunkte einzuwirken, erscheint eine starke Zentrierung auf die Übergewichtsreduzierung kontraproduktiv, da dieser nur selten ein dauerhafter Erfolg beschert ist (6, 9, 18). Die Steigerung der Aktivität hätte zumindest den Vorteil, dass auch Übergewichtige ihre Risiken substantiell senkten. Insbesondere scheint körperliche Aktivität auch die abdominale Fettverteilung zu reduzieren (35).
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Dr. P. H. Jens Bucksch
Universität Stuttgart
Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft
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70569 Stuttgart
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