Sportmedizin
EDITORIAL

Sporttherapie als Bestandteil der Bewegungsmedizin in der Rehabilitation

Sports Therapy as a Component of Exercise Medicine in Rehabilitation

Sporttherapie ist ein medizinisch indizierter und ärztlich verordneter  Bestandteil  der  Bewegungstherapie,  welche  nachgeschaltet  vom  Fachtherapeuten  geplant  und  dosiert,  gemeinsam mit dem Arzt kontrolliert und als Einzeltherapie oder in der Gruppe durchgeführt wird. Die Sporttherapie zielt darauf ab, mit geeigneten Mitteln des Sports, gestörte körperliche, psychische und soziale Funktionen zu kompensieren und zu regenerieren, Sekundärschäden vorzubeugen und gesundheitliches Verhalten zu fördern. Sie beruht auf biologischen Gesetzmäßigkeiten, bezieht  besonders  Elemente  pädagogischer,  psychologischer  und soziotherapeutischer Verfahren ein und versucht eine überdauernde Gesundheitskompetenz zu erzielen. Diese Definition stellt die mehrdimensionale Vorgehensweise der Sporttherapie deutlich heraus.
Eine Hauptzielsetzung der Sporttherapie betrifft die Wiederherstellung,  den  Erhalt  oder  die  Verbesserung  von  organischen Ressourcen.  Die  wichtigsten  therapeutischen  Effekte  der  Sporttherapie  resultieren  aus  den  funktionellen,  strukturellen  und  biomechanischen  Anpassungen  in  der  Skelettmuskulatur  und  im Gesamtorganismus  an  entsprechende  Reize   im  Rahmen  einer vermehrten  allgemeinen  körperlichen  Bewegung  und/oder  eines spezifischen muskulären Trainings. Wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse  der  Sportmedizin  und  der  Sport-/Trainingswissenschaft  werden  in  die  Therapieplanung  mit  einbezogen.  Die  praktische  Umsetzung  erfolgt  auf  der  Grundlage  von  vorhandenen motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Alltagsmotorik. Die wichtigsten  Komponenten  des  sporttherapeutischen  Handelns sind auf eine regionale oder globale Konditionierung der Skelettmuskulatur in den Funktionen Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit und Koordination ausgerichtet (3).
In  der Rehabilitationsmedizin ist die Sporttherapie grundsätzlich in den Kontext einer komplexeren Bewegungstherapie integriert, in der auch andere Fachdisziplinen, die mit der Bewegung als einem wesentlichen Behandlungsprinzip arbeiten, wie z.B. die Physiotherapie, einzuordnen sind. Die direkten Angriffspunkte der Sporttherapie betreffen primär den Bewegungsapparat und sekundär  die  übungs-  und  trainingsrelevant  aktivierten  Organsysteme. Die Sporttherapie wirkt unter Einbezug ihrer pädagogischen und psychosozialen Möglichkeiten auch auf der psychischen Ebene und zielt auf eine positive Beeinflussung des allgemeinen Wohlbefindens und/oder spezieller kognitiver Ressourcen ab. Die beste Sporttherapie hat keine überdauernde präventive oder rehabilitative Wirksamkeit, wenn nicht Einsichten und Motivationen geschaffen werden,  verhaltensbedingte  Funktionsstörungen  oder  Erkrankungen durch gesundheitsorientierte Lebensstilveränderungen einzudämmen.  Mit  ihren  erlernten  pädagogischen  Fähigkeiten  sind  gerade Sporttherapeuten dafür prädestiniert, z.B. während einer Rehabilitationsmaßnahme methodisch-didaktische Vorgehensweisen für den Patienten zu erarbeiten und damit den Motivationsprozess für eine  im  späteren  Alltagsleben  anhaltende  gesundheitsorientierte Verhaltensänderung  nachhaltig zu fördern (1).
Im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme,  in  Form eines  allgemeinen  Heilverfahrens,  werden  überwiegend Patienten  mit  chronischen Funktionsstörungen  oder  Erkrankungen behandelt. Die Betroffenen leiden häufig an einer chronifizierten  Schmerzsymptomatik  verbunden  mit  depressiven Verstimmungen und Angstzuständen.  Ein  entsprechender  Symptomenkomplex führt in vielen Fällen zu einem generalisierten  Rückzugs-  und Vermeidungsverhalten  und hat in der Regel eine verminderte körperliche Inaktivität und eine zunehmende Einschränkung der sozialen Kontakte zur Folge. Bei einer solchen gesundheitlichen Ausgangslage können die Rehabilitanden  von  einer allgemeinen  Sporttherapie,  die  vorrangig  in Gruppen absolviert wird, profitieren. Unter Ausnutzung gruppendynamischer Prozesse wird dem positiven Erleben von körperlicher Mehraktivität und einem muskulären Training im Hinblick auf eine Verbesserung der allgemeinen körperlichen Belastbarkeit und des psychischen Wohlbefindens eine anhaltende therapeutische Wirksamkeit  eingeräumt.  Der  Vermittlung  kognitiver  Inhalte  stehen emotional-affektiv wirksame Methoden wie kleine Spielformen zur Seite, die eine Auflockerung der Atmosphäre bewirken und die Öffnung  des  Patienten  für  neue  Aspekte  der  Krankheitsbewältigung unterstützen (4).
Bei einer Anschlussheilbehandlung nach einer ambulanten/stationären medizinischen Akuttherapie zielt eine Rehabilitationsmaßnahme  auf  eine  Rekrutierung  von  spezifischen  organspezifischen Leistungsreserven und eine Verbesserung der allgemeinen psychophysischen  Belastbarkeit  des  Patienten  ab.  Im orthopädischen  und  im  neurologischen  Fachgebiet spielt  eine  ausreichende  neuromuskuläre  Kontrolle  für  die  motorische  Fortbewegung  (dynamische  Muskelarbeit),  für  das  Gleichgewicht  um  die beteiligten  peripheren  Gelenke  sowie  für  die  Rumpfstabilität  um die Wirbelsäule (statische Muskelarbeit) mit den biomechanischen Aspekten  über  Hebelwirkungen  und  die  damit  verbundenen  Gelenkbelastungen eine zentrale Rolle des therapeutischen Handelns. Hier  werden  vorrangig  sporttherapeutische  Maßnahmen  verordnet, die darauf ausgerichtet sind, die muskulären Kraftfähigkeiten, die Gelenkbeweglichkeit und die Sensomotorik regional oder global zu konditionieren. Eine solche spezielle Sporttherapie, die der individuellen regionalen oder globalen Belastbarkeit des Patienten anzupassen ist, wird häufiger wie bei den allgemeinen Heilverfahren als Einzel- oder Kleingruppenbehandlung durchgeführt. Sie erfolgt grundsätzlich in Abstimmung mit den Interventionen anderer  bewegungstherapeutischer  Fachdisziplinen,  insbesondere  der Krankengymnasten und der Ergotherapeuten.
In  der  Rehabilitation  stehen  im  Fachgebiet  der  Inneren Medizin muskuläre  Ausdauerbelastungen  im  Vordergrund  des sporttherapeutischen Handelns. Ein sporttherapeutisch initiiertes muskuläres  Ausdauertraining  trägt  dazu  bei,  metabolischen  Risikofaktoren (Adipositas, Diabetes mellitus, Hyperlipidämien), einer hypertonen Blutdruckdysregulation sowie einem erhöhten Thromboembolierisiko  nichtmedikamentös  entgegenzuwirken.  In  der Kardiologie und Pneumologie wird der Sporttherapie in der Regel eine  ärztliche  Beurteilung  der  symptomlimitierten  Belastbarkeit auf der Grundlage eines (spiro-)ergometrischen Stufentests vorgeschaltet.  Die  individuelle  Trainingssteuerung  und  -überwachung mit  der  Zielsetzung,  die  Belastungsreserven  des  pulmokardiozirkulatorischen Systems zu verbessern, erfolgt dann unter ärztlicher Supervision durch einen Sporttherapeuten. In der Rheumatologie und  Onkologie  sind  abwehrfördernde  immunmodulierende  Wirkungen  von  individuell  dosierten  sporttherapeutischen  Interventionen medizinisch nutzbar (5). Ein bei hämatoonkologischen Erkrankungen  vermehrt  auftretendes  sog.  Cancer  Fatigue  Syndrom kann durch eine frühzeitig eingeleitete Sporttherapie positiv beeinflusst werden (2).
Der  demographische  Wandel  mit  einem  zunehmenden  Anteil von älteren Menschen in unserer Gesellschaft und die stetigen Fortschritte in der medizinischen Behandlung von akuten Erkrankungen  haben  eine  weitere  Zunahme  von  chronifizierten  Krankheitsbildern  zur  Folge.  Folglich  ist  zukünftig  der  medizinische Versorgungsauftrag  speziell  in  höheren  Alterstufen  auch  auf  eine Wiederherstellung  oder  Verbesserung  der  allgemeinen  aktiven Handlungsfähigkeit  in  möglichst  vielen  Lebensbereichen  (Selbstversorgung,  Soziale  Integration,  Erwerbsleben  u.a.)  ausgerichtet. In diesem Kontext ist ganzheitlich wirksamen Behandlungsformen wie  der  Sporttherapie  eine  ständig  wachsende  Bedeutung  beizumessen.  Unter  dem  Anforderungsprofil  der  in  der  Rehabilitationsmedizin  zunehmend  angewendeten  Begrifflichkeiten  der  „Internationalen  Klassifikation  der  Funktionsfähigkeit,  Behinderung und Gesundheit“ (ICF) kann gerade in der Sporttherapie über das freudvolle  Erfahren  von  Bewegung  im  Sport  wieder  Vertrauen  in die eigenen psychischen und physischen Fähigkeiten als eine wichtige Voraussetzung für die „Teilhabe“ in der Arbeitswelt und in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens geschaffen werden (6).
Die  zunehmende  Nutzung  sporttherapeutischer  Angebote von  ambulanten  Rehabilitationseinrichtungen  der  Rentenversicherung oder anderer Kostenträger im Gesundheitswesen, im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung oder von lizensierten kommunalen, gewerblichen oder vereinsorganisierten Bewegungsanbietern  fördern  die  nachhaltige  Wirkung  des  während  einer stationären  Rehabilitation  erzielten  Behandlungsergebnisses  und können  einen  zusätzlichen  Beitrag  zur  sozialen  und  beruflichen Integration eines Rehabilitanden leisten.
Diesen Entwicklungen in der Präventiv- und Rehabilitationsmedizin sollten auch diejenigen Kostenträger im Gesundheitswesen, die bei einer ärztlichen Verordnung von Sporttherapie nach wie vor keine oder eine unzureichende Kostenerstattung gewährleisten, zukünftig mehr Rechnung tragen.

LITERATUR

  1. Barz M, Huonker M Sportherapie – Theoretische Grundlagen und praktische Anwendung. SportOrthoTrauma 26 (2010) 209- 215.
  2. Dimeo F Welche Rolle spielt körperliche Aktivität in der Prävention, Therapie und Rehabilitation von neoplastischen Erkrankungen? Dtsch Z Sportmed 7/8 (2004) 187- 191.
  3. Schüle K, Deimel H Gesundheitssport und Sportherapie – eine begriffliche Klärung. In: Gesundheitssport und Sporttherapie 1 (1990) 3.
  4. Van den-Abele J, Schüle K Wissenschaftliche Begründung der Sporttherapie. In: Huber G, Schüle K (Hrsg.), Grundlagen der Sporttherapie. Urban und Fischer, München, Jena, 2004.
  5. Weisser B, Preuss S, Predel HG Körperliche Aktivität und Sport zur Prävention und Therapie von inneren Erkrankungen im Seniorenalter. Med Klin 104 (4), (2009) 296- 302.
  6. World Health Organization (WHO) Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit. Herausgegeben vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Stand Oktober 2005.