Standards der Sportmedizin
EDITORIAL

Standards der Sportmedizin

Standards of Sports Medicine

Univ.-Prof. em. Dr. med. Wilfried KindermannDieses Heft beinhaltet internistische sportmedizinische Standards. In vier Artikeln wird der aktuelle Kenntnisstand zu folgenden Themen dargestellt: Sportherz, Impfungen, EBV-Infektionen und Monitoring des Flüssigkeitshaushalts. Gesundheits- und leistungsrelevante Aspekte im Sport werden abgehandelt und kritisch reflektiert.
Das Sportherz ist das klassische Beispiel für eine physiologische Herzhypertrophie (4), obwohl seit der Erstbeschreibung 1899 bis heute immer wieder Zweifel über seine Gutartigkeit geäußert worden sind. Darüber hinaus gibt es häufig Fehlinterpretationen. Dazu gehört die Annahme, jede Art von Leistungssport führe zur Entwicklung eines Sportherzens oder ein Sportherz persistiere bis ins Alter, obwohl nur noch wenig Sport getrieben wird. Wenn beispielsweise eine inzwischen 60jährige frühere Spitzensprinterin freudestrahlend von ihrem Sportherz spricht, sollte man sie schnellstens zum Kardiologen schicken. Oder, wenn ein Freizeitfußballer mit einer Aorteninsuffizienz einen großen linken Ventrikel hat, ist eine insuffizienzbedingte Volumenbelastung wahrscheinlicher als ein Sportherz.
Eine Publikation aus den 1970er-Jahren hat unter dem Begriff „Morganroth-Hypothese“ jahrzehntelang die Vorstellung eines speziellen Kraftsportherzens genährt (5). Bei Ringern und Kugelstoßern wurde über verdickte linksventrikuläre Kammerwände bei normaler Ventrikelgröße berichtet. Dieses Bild einer konzentrischen Hypertrophie wurde der exzentrischen Hypertrophie bei Ausdauersportlern gegenübergestellt. Leider fehlten in dieser wie auch in den meisten nachfolgenden Publikationen Angaben über leistungssteigernde Substanzen, insbesondere Anabolika. Spätere Studien einschließlich solcher aus dem eigenen Arbeitskreis (10) und neuere Längsschnittstudien mittels Kardio-MRT (8) lieferten Befunde, die gegen ein Kraftsportherz sprechen. Bei einer konzentrischen linksventrikulären Hypertrophie müssen pathologische Ursachen ausgeschlossen werden.
Die typische exzentrische Herzhypertrophie durch Sport ist sehr viel seltener als allgemein angenommen wird. Im Rahmen der physiologischen Adaptation ist das Sportherz eine Extremvariante. Die Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität ist unabhängig von der Herzgröße. Gesundheitssportliche Aktivitäten führen zu funktionellen Adaptationen ohne dimensionale Veränderungen.
Open window und J-Kurve beschreiben immunologische Reaktionen mit phasenweise erhöhter Infektanfälligkeit (6). Wenn auch für die häufigen virusbedingten Infekte der oberen Atemwege eine Impfprophylaxe nicht möglich ist, können impfsensible andere Keime wie Grippe- oder Hepatitis B-Viren zu erheblichen Konsequenzen insbesondere bei Leistungssportlern führen. Dem steht die bei Sportlern und Trainern verbreitete Angst vor Nebenwirkungen und Leistungsbeeinträchtigung entgegen, so dass eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung geringere Durchimpfungsrate vermutet wird.
Der „Impf-Standard“ beinhaltet die aktuellen nationalen Impfempfehlungen unter besonderer Berücksichtigung des Sportlers (3). Der sportmedizinisch tätige Arzt erhält wertvolle Hinweise für die Impfberatung seiner sportlich aktiven Klientel. Der richtige Impfzeitpunkt kann eventuell auftretende und a priori geringe leistungsphysiologische Nebenwirkungen noch weiter minimieren.
Ein wichtiger Aspekt ist die Entängstigung des Sportlers. Wer das Risiko einer myokardialen Mitbeteiligung durch Grippeviren oder das Infektionsrisiko für Hepatitis B-Viren innerhalb von Sportlergruppen begreift, wird seine Angst vor der Injektion per se und eventuellen Komplikationen verlieren. Die Konsequenzen einer Infektion sind meist größer, da auch leichtere Verläufe die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit für längere Zeit beeinträchtigen können.
Das Pfeiffersche Drüsenfieber, benannt nach seinem Entdecker und verursacht durch das Epstein-Barr-Virus, ist eine seit über 100 Jahren bekannte Infektionskrankheit, die später auch als infektiöse Mononukleose bezeichnet wurde. Nach einer Primärinfektion folgt eine lebenslange Persistenz des Virus im Organismus. Im typischen Leistungssportalter sind 95% infiziert.
Die Autoren des Standards über EBV-Infektionen haben ausführlich die serologische Diagnostik dargestellt (7), deren Detailliertheit vielleicht manche Leser irritiert. Aber wie sieht die sportmedizinische Praxis aus? Das Pfeiffersche Drüsenfieber wird beim Sportler überdiagnostiziert, weil Unsicherheit in der Interpretation der EBV-Serologie besteht. Nicht selten werden Formtiefs oder Überlastungszustände mit einer akuten oder reaktivierten EBV-Infektion begründet. Um die von den Autoren genannten aberranten EBV-Konstellationen zu erkennen und eindeutige Ergebnisse zu erhalten, ist manchmal ein serologisches Puzzle notwendig. Akute oder frühere Infektion – das ist die Gretchenfrage! Die Problematik ist ähnlich wie beim Sportler-EKG (2). Falsch positive Befunde sind häufig und müssen im Interesse des Sportlers minimiert werden. Ich erinnere mich an den spektakulären Fall eines Spitzenathleten, bei dem ein Formtief mit einer EBV-Infektion begründet worden war. Nach eingehender Untersuchung und Freigabe für ein uneingeschränktes Training wurde er einige Wochen später Weltmeister.
Return to sport nach Pfeifferschem Drüsenfieber? Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich, evidenzbasierte Empfehlungen gibt es nicht (1). Es sind immer individuelle, vom betreuenden Arzt getroffene Entscheidungen, die auch mögliche Komplikationen wie myokardiale Mitbeteiligung oder Gefahr der Milzruptur bei Kontaktsportarten berücksichtigen müssen. Wer zu früh mit dem Training beginnt, riskiert verlängerte Rekonvaleszenzzeiten. Übergänge in ein chronisches Müdigkeitssyndrom werden diskutiert.
Der Mensch besteht zu zwei Dritteln aus Wasser. Störungen der Flüssigkeitshomöostase gefährden die Gesundheit und beeinträchtigen das Leistungsvermögen. Sowohl hypo- als auch hyperhydrierte Sportler sind nicht in der Lage, ihre volle Leistungsfähigkeit abzurufen. Die geplanten Weltmeisterschaften in Katar (2019 Leichtathletik, 2022 Fußball) werden besondere Anforderungen an den Flüssigkeitshaushalt der Sportler stellen. Nicht nur, aber auch deshalb stellt sich die Frage, welche Methoden geeignet sind, den Hydratationszustand von Athleten zu überwachen (9).
Das Spektrum möglicher Messgrößen ist breit, aber welche Strategie ist praxisnah und ohne erheblichen Aufwand machbar? Da bleibt in erster Linie neben dem Körpergewicht nur die Beurteilung der Urinfarbe durch den Sportler selbst, zumal diese Methode wegen der menschlichen Bedürfnisse beliebig wiederholbar ist. Auch Urin-Teststreifen sind zumutbar. Alle anderen Methoden sind aufwändiger und zum Teil invasiv.
Apropos invasiv. Hämatokritbestimmungen sind zwar invasiv, aber relativ einfach durchführbar, da Kapillarblut verwendet werden kann. Andererseits ist der Hämatokrit Bestandteil des biologischen Athletenpasses, um den Nachweis von Blutdoping und Substanzen, die die Erythropoese stimulieren, zu erleichtern. Ist es machbar, den Hämatokrit wiederholt zu messen, ohne in Verdacht zu geraten, Epo-Doping zu unterstützen? Bereits das Mitführen einer Zentrifuge im Trainingslager führte in der Vergangenheit zu Verdachtsmomenten. Abseits von solchen Überlegungen bietet der Standard zum Monitoring des Hydratationsstatus Denkanstöße für die jeweils geeigneteste Strategie.
In diesem Heft werden praxisrelevante Aspekte vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Datenlage angesprochen. Großes Herz – gesund oder krank? Wann was impfen? Akute oder abgelaufene EBV-Infektion? Ausreichend hydriert oder dehydriert? Fragen, die immer wieder bei der Betreuung im Sport auftreten, werden beantwortet.

LITERATUR

  1. Becker JA, Smith JA. Return to play after infectious mononucleosis. Sports Health. 2014;6:232-238.
    doi:10.1177/1941738114521984
  2. Brosnan M, La Gerche A, Kalman J, Lo W, Fallon K, MacIsaac A, Prior D. The Seattle criteria increase the specificity of preparticipation ECG screening among elite athletes. Br J Sports Med. 2014;48:1144-1150.
    doi:10.1136/bjsports-2013-092420
  3. Furian TC, Gärtner BC. Impfungen und körperliche Aktivität. Dtsch Z Sportmed. 2014;65:333-336.
    doi:10.5960/dzsm.2014.157
  4. Kindermann W, Scharhag J. Die physiologische Herzhypertrophie (Sportherz). Dtsch Z Sportmed. 2014;65:327-332.
    doi:10.5960/dzsm.2014.154
  5. Morganroth J, Maron BJ, Henry WL, Epstein SE. Comparative left ventricular dimensions in trained athletes. Ann Intern Med. 1975;82:521-524.
    doi:10.7326/0003-4819-82-4-521
  6. Nieman DC. Exercise, upper respiratory tract infection, and the immune system. Med Sci Sports Exerc. 1994;26:128-139.
    doi:10.1249/00005768-199402000-00002
  7. Pottgiesser T, Bauer G. Epstein-Barr Virus Infektionen. Dtsch Z Sportmed. 2014;65:337-341.
    doi: 10.5960/dzsm.2014.154
  8. Spence AL, Naylor LH, Carter HH, Buck CL, Dembo L, Murray CP, Watson P, Oxborough D, George KP, Green DJ. A prospective randomised longitudinal MRI study of left ventricular adaptation to endurance and resistance exercise training in humans. J Physiol. 2011;589:5443-5452.
  9. Treff G, Steinacker JM. Monitoring des Flüssigkeitshaushalts im Sport. Dtsch Z Sportmed. 2014;65:342-346.
    doi:10.5960/dzsm.2014.155
  10. Urhausen A, Albers T, Kindermann W. Are the cardiac effects of anabolic steroid abuse in strength athletes reversible? Heart. 2004;90:496-501.
    doi:10.1136/hrt.2003.015719