Orthopädie
STANDARD
UNTERSUCHUNG DES KNIEGELENKS

Die klinische Untersuchung des Kniegelenks

Clinical investigation of the knee joint

ZUSAMMENFASSUNG

Die klinische Untersuchung bildet die Basis einer diagnoseorientierten Therapie bei Erkrankungen und Verletzungen des Kniegelenks in jedem Alter. Von ihr ausgehend wird weitere bildgebende und ggf. neurologische Diagnostik initiiert, um in Kombination zur korrekten Diagnose zu gelangen und eine zielgerichtete und effiziente Therapie einzuleiten. Ausgehend von einer umfassenden Anamnese ist ein strukturiertes Vorgehen bei der klinischen Kniegelenksuntersuchung zur exakten Differenzierung verschiedener Pathologien unbedingt notwendig.
Hierbei ist auf alterstypische pathologische Veränderungen zu achten. Bei Kindern und Jugendlichen sind wachstumsbedingte Veränderungen zu berücksichtigen. Gerade bei der Behandlung von Sportlern ist zudem eine ausreichende Kenntnis der sportartspezifischen Belastungen und Bewegungsmuster unabdingbar, um genau zwischen einer akuten Verletzung mit strukturellen Läsionen und Überlastungserscheinungen durch trainingsbedingte Veränderungen der Biomechanik unterscheiden zu können. Dieser Artikel behandelt die systematische und fokussierte klinische Untersuchung des Kniegelenks.

SCHLÜSSELWÖRTER: Knie, klinische Untersuchung, Sport, Meniskus, Kreuzband

SUMMARY

The clinical examinationforms the basis of diagnosis-related therapy in diseases and injuries of the knee joint at any age . Through it further imaging and possibly neurological diagnosis is affiliated so that in combination a correct diagnosis is formed and a targeted and efficient therapy can be initiated. Based on a comprehensive history, a structured approach to the clinical knee examination is essential for accurate differentiation of various pathologies.
Attention must be paid to age-typicalpathological changes. growth. Growth-related changes must be taken into account in children and adolescents. Especially in the treatment of athletes, satisfactory knowledge of the sport-specific loads and movement patterns is also essential to be able to distinguish accurately between an acute injury with structural lesions and stress injuries through exercise-induced changes in biomechanics. This article is about the systematic and focused clinical examination of the knee joint.

KEY WORDS: Knee, Clinical Investigation, Sport, Meniscus, ACL

EINLEITUNG

Das Kniegelenk ist das im Sport am häufigsten exponierte Gelenk der unteren Extremität. Als größtes Gelenk des menschlichen Körpers bilden das Tibiofemoralgelenk und das Femoropatellargelenk im Zusammenspiel eine funktionelle Einheit. Die Freiheitsgrade des grundlegenden Scharniermechanismus können von der Schlussrotation in voller Extension (Gelenkssperre), durch Beugung um eine zunehmende Rotation der Tibia zum Femur erweitert werden (Trochogynglion). Knorpel, Menisken, Kreuz- und Seitenbänder stellen integrale Strukturen einer physiologischen Kniegelenksfunktion dar.
Veränderungen der Gelenkshomöostase führen beim komplexen Zusammenspiel der Kniegelenksbestandteile unweigerlich zur Dysfunktion. Nicht selten werden sie durch sportliche Belastungen erstmals symptomatisch.
Neben akuten traumatischen Ereignissen und Überlastungserscheinungen lassen sich auch altersabhängige Fehlbildungen und Erkrankungen finden.
Bei Kleinkindern können kongenitale Veränderungen des Streckapparates (z.B. Beugekontraktur) sowie anatomische Meniskusanomalien (z.B. discoide Menisken) auftreten. Jeder akute Knieschmerz ist zudem auf eine Epiphysiolysis capitis femoris zu untersuchen. Im Kindes- und Jugendalter können sich unphysiologische Achsabweichungen, Epiphysen- und Ossifikationsstörungen (z.B. Morbus Osgood-Schlatter), eine Osteochondrosis dissecans oder Patellapathologien (Chondropathia patellae, habituelle Luxationen) entwickeln. Im jungen Erwachsenenalter sind oftmals traumatische Läsionen zu beobachten. Bei Erwachsenen stehen vermehrt degenerative Veränderungen, sowie die Folgen rheumatoider Arthritiden oder sekundärer Fehlstellungen im Vordergrund. Differentialdiagnostisch sind maligne Geschehen und infektiöse Arthritiden zu berücksichtigen.
Die Grundlage einer diagnoseorientierten und effizienten Therapie ist daher eine sorgsame und effektiv strukturierte klinische Untersuchung (Inspektion, Palpation und Funktionstest) des Kniegelenks (1). Eine vorausgehende, strukturierte Anamnese ist dabei unabdingbar. Neben der Kenntnis von vorausgegangen Ereignissen und Begleiterkrankungen, dem Beginn und Verlauf der Beschwerdehaftigkeit sowie der genauen Schmerzlokalisation und des Schmerzcharakters (Einlaufschmerz, Bewegungsschmerz, Belastungsschmerz oder Ruheschmerz), ist bei traumatisch bedingten Beschwerden auch eine genaue Rekonstruktion des Unfallmechanismus wichtig. Gerade beim Sportler ist dabei das Wissen um die sportartspezifischen Bewegungsabläufe bzw. Belastungen zur Korrelation der klinischen Befunde notwendig.

DIAGNOSTIK

Bei der klinischen Untersuchung des Kniegelenks ist der Vergleich der gesamten Extremität mit der zumeist gesunden Gegenseite obligat. Man beginnt mit der Inspektion. Zunächst Stand und Gangbild von vorne und hinten, anschließend von seitlich (Abb.1,2,3).

Im Stand ist bei vollständig entkleidetem Bein die Beinlänge, Beinachse und mögliche varische oder valgische Achsdeviationen sowie auffällige Formveränderungen (Genu recurvatum) und Muskelasymmetrien zu begutachten. Stand- und Schwungphase sind im Gang getrennt voneinander zu beurteilen. Es ist auf funktionelle Instabilitäten (sog. „giving way“-Phänomen), Ausweich- bzw. Ersatzbewegungen sowie unvollständige Belastung zu achten (Schonhinken). Idealerweise zeigt sich dabei ein flüssiges Gangbild mit raumgreifenden Schritten, ohne Hinken.
Sodann erfolgt die Untersuchung in Rückenlage. Zunächst erfolgt der Ausschluss einer Rotationsfehlstellung, mit in 90° flektiertem Knie- und Hüftgelenk. Hernach ist besonders auf Konturausstreichungen (parapatellär), als Hinweis auf Ergüsse oder Schwellungen, Veränderungen des Hautkolorits (Entzündung, Hämatom), Varizen, Narben, Hautverletzungen, die Position und Kontur der Patella (Patella alta/baja) sowie mögliche Atrophien der angrenzenden kniegelenksnahen Muskulatur zu achten (Abb.4). In der seitlichen Inspektion können typische Konturveränderungen Hinweise auf beschwerdehafte Pathologien geben. So kann eine vermehrte Prominenz der Tuberositas tibiae auf einen Morbus Osgood-Schlatter hinweisen.
Mittels Palpation erfolgt zunächst orientierend die Untersuchung der Hauttemperatur, der Sensibilitäten (neurologisch grob orientierend) und der Durchblutung. Im Verlauf der Muskelstränge des M. quadrizeps femoris sind neben Muskeltonus und möglichen Atrophien auch Dellen bei Bündelrissen bzw. endstreckigem Sehneneinriss oder Indurationen bei Myogelosen zu tasten. Im Bereich der Hamstrings (lateral: M. biceps femoris; medial: M. semimembranosus, M.gracilis, M. semitendinosus) finden sich beim Leistungssportler oftmals funktionelle Verkürzungen. Gerade beim erwachsenen Sportler istder distale Verlauf des Tractus iliotibialis (sog. runners knee) und in der Tiefe der Kniekehle der kraniale Anteil des M. gastrocnemius (größere Faserrisse) aufzusuchen. Im Nachwuchsleistungssport finden sich häufig Überlastungsphänomene der Sehnen im Bereich ihrer gelenknahen Verläufe (2). Intraartikuläre Ergüsse lassen sich im Liegen zumeist am Besten im Recessus suprapatellaris tasten. Bei größeren Ergussmengen ist das Phänomen der „tanzenden Patella“ auslösbar. Dabei ist die Patella druckelastisch beim manuellen Ausstreichen der Recessus (Abb. 5).
Grundsätzlich ist die Patella auf ihre Mobilität zu testen. Etwaige Krepitationen können ein Hinweis auf Chondromalazien sein. Die klinisch relevanten knöchernen Landmarken der Patella sind der kraniale Patellapol mit Ansatz der Quadrizepssehne und der kaudale Patellapol mit der Insertion der Patellasehne. Druckdolente Auftreibungen im Übergang zur knöchernen Insertion, sind bei chronischen Entzündungsgeschehen festzustellen. (Insertionstendinopathie: Patellaspitzensyndrom, Jumpers knee). An der medialen und lateralen Patellafacette befindet sich der Ansatz der Retinacula. Durch Fixieren der kontralateralen Facette, ist mittels Untergreifen auch der retropatelläre Facettenanteil palpierbar.
Lokale Schwellungen können Hinweise auf Bursitiden geben (häufig Bursa infrapatellaris). In der Kniekehle können mit der Gelenkhöhle kommunizierende prallelastische Vorwölbungen bei Ausstülpung als Bakerzyste (Bursa gastrocnemio-semimembranosa) identifiziert werden.
Entlang der Facetten von Tibiakonsole und Femurkondyle finden sich besonders bei degenerativen Pathologien frühzeitig pathologische Knochenvorsprünge. Lateral befinden sich die proximalen und distalen Kollateralbandansätze (Abb. 6). In Flexion sind die Gelenkflächen am schlanken Knie palpatorisch partiell zugänglich. Druckschmerz in Höhe des Gelenkspalts kann ein erster Hinweis auf eine Meniskusläsion sein. Meniskusganglien lassen sich als subkutan verschiebliche Indurationen detektieren. Eine ausgeprägte Plica mediopatellaris kann zwischen medialer Patellafacette und vorderem Meniskushorn palpiert werden. Abschließend sind Fibulaköpfchen und Tibiofibulargelenk (Hypermobilität), in 90° Beugestellung zu palpieren.
Die vollständigen Bewegungsausmaße werden aktiv und passiv, nach der Neutral-Null-Methode erfasst. Die Flexion erreicht physiologisch zwischen 130° und 150° und ist u.U. abhängig vom Weichteilmantel (Abb.7). Beugedefizite können durch Einklemmung eines Korbhenkelrisses oder eines freien Gelenkkörpers entstehen. Die Extension erreicht normwertig 0°. Eine Überstreckbarkeit von 5-10° ist bei Hyperlaxizität oder Genu recurvatum möglich. Abduktion (valgus) und Adduktion (varus) erreichen in leichter Beugestellung 5-10°, was physiologisch in Streckstellung nicht möglich ist. Innen- und Außenrotation sind am frei hängenden Unterschenkel in 90° Flexion zu prüfen. Normwerte sind bis zu 10° Innenrotation und bis zu 25° Außenrotation.
Die isometrische Muskelkraftprüfung erfolgt am Kniegelenk in Rückenlage mit extendiertem Gelenk, durch Anheben gegen den Widerstand des Untersuchers. Die Kraftentwicklung wird standardisiert in 6 Grade eingeteilt:

Grad 0: keine Muskelkontraktion sichtbar, noch tastbar
Grad 1: sichtbare oder tastbare Muskelkontraktion ohne Bewegungseffekt
Grad 2: Bewegung ohne Schwerkraft möglich
Grad 3: Bewegung gegen die Schwerkraft möglich
Grad 4: Bewegung gegen Schwerkraft und Widerstand möglich
Grad 5: normale Kraft

Eine reduzierte Kraftentfaltung kann bei strukturellen Läsionen (Tendinopathien, Rupturen), neurogenen Läsionen (Spastizität oder Schädigung der Motoneurone bzw. periphere Neuropathie), aber auch reflektorisch bei Schmerz (v.a. Streckapparat) auftreten.

SPEZIELLE TESTS

Klinische Funktionsdiagnostik des Meniskus

Eine akute Meniskusläsion ist eine der häufigsten Sportverletzungen. Der Verletzungsmechanismus kann eine direkte oder indirekte Krafteinwirkung auf das Kniegelenk sein, durch passive Rotation des Oberschenkels bei fixiertem Unterschenkel und flektiertem Knie oder ruckartige Extension bei innenrotiertem Unterschenkel und flektiertem Knie. Aufgrund der Lage zwischen Tibia und Femur ist ein direktes Trauma des Meniskus sehr selten. Oftmals stellen sich die Patienten mit einer Symptomtrias aus Schmerzen, Schwellung und dem Kardinalsymptom der Gelenksblockade (rigides Beuge- oder Streckdefizit) vor (3). Neben akuten Meniskusverletzungen kann es jedoch auch durch Bagatelltraumen (Be- und Entkleiden) auf der Basis einer degenerativen Vorschädigung zu einem Einreißen bzw. Abreißen von Meniskusanteilen kommen.
Die klinische Diagnostik der Gelenkskompartimente basiert auf einer Kombination aus Schmerzprovokation bei Stressbelastung (Varus, Valgus oder alternierend Rotation) und seitengleicher Kompression. Beim Steinmann I-Zeichen wird die Untersuchung in Rückenlage durchgeführt. Am flektierten Kniegelenk wird durch den Untersucher passiv eine wiederholte Innen- und Außenrotation des Unterschenkels (kreisende Bewegung) durchgeführt. Durch zusätzliche Kompression des medialen oder lateralen Gelenkspalts ist bei Vorliegen einer Meniskusschädigung ein Schmerzereignis ipsilateral des Druckpunktes auszulösen.
Bei positivem Steinmann I-Zeichen kann mit zunehmender Flexion des Kniegelenks eine Schmerzwanderung nach dorsal im betroffenen Gelenkkompartiment ausgelöst werden (Steinmann II-Zeichen).
Auch der McMurray-Test erfolgt in Rückenlage. Bei flektiertem Hüft- und Kniegelenk der betroffenen Seite erfolgt zur Prüfung des Innenmeniskus eine maximale Außenrotation und Adduktion des Unterschenkels. Durch Palpation und gegebenenfalls Extension, ist bei Vorliegen eines Innenmeniskusschadens ein Schmerz auslösbar (Abb.8). Zur Prüfung des Außenmeniskus erfolgt entsprechend die Untersuchung durch Unterschenkelinnenrotation und Abduktion des Unterschenkels bei Palpation des lateralen Gelenkspalts (Abb.9).

Beim Payr-Zeichen wird in Rückenlage das betroffene Kniegelenk flektiert und im Hüftgelenk abduziert. Durch die resultierende Kompression des medialen Meniskus, kommt es bei einer vorliegenden Schädigung zur Schmerzprovokation. Dies verstärkt sich, je mehr das flektierte Knie in Richtung Unterlage gedrückt wird, insbesondere bei einer Innenmeniskushinterhornläsion (Abb.10).
Das Bragard-Zeichen kann ebenfalls bei vorliegender Druckschmerzhaftigkeit am medialen Meniskus durchgeführt werden. Mit dem Finger wird die genaue Lokalisation aufgesucht, der Unterschenkel steht dabei in Außenrotationsstellung. Sodann erfolgt eine Innenrotation des Unterschenkels. Verschwindet der Schmerz dadurch, so ist das Bragard-Zeichen als positiv zu deuten.
Der Apley-Grinding / Kompressionstests erfolgt in Bauchlage. Das betroffene Kniegelenk wird 90° flektiert. Die Kompression erfolgt durch Druck des Untersuchers auf die Ferse, das „Grinding“ erfolgt durch gleichzeitige Rotationsbewegungen des Unterschenkels auf dem fixierten Femur. Ein so ausgelöstes Schmerzereignis kann Hinweis auf eine Meniskusläsion geben.
Beim Apley-Distraktionstest wird das betroffene Kniegelenk ebenfalls in 90° flektiert. Die Rotationsbewegungen am Unterschenkel erfolgen jedoch unter Zug. Ein so ausgelöstes Schmerzereignis ist eher sekundär hinweisgebend für eine Meniskusläsion und zeigt primär eine mögliche Bandverletzung an.
Das Böhler-Zeichen st als positiv zu werten, wenn in Rückenlage, bei gestrecktem bzw. leicht flektiertem Kniegelenk, ein Varus- oder Valgusstress (Kompression des medialen und lateralen Gelenkspaltes) eine akute Schmerzauslösung provoziert.

Klinische Funktionsdiagnostik bei ligamentärer Instabilität

Die Seitenbänder sowie das vordere und hintere Kreuzband bilden die passiven Stabilisatoren des Kniegelenks. Isolierte Verletzungen können dabei zu einer Positionsinstabilität führen. Kombinierte Verletzungen führen zur funktionellen Rotationsinstabilität. Bei Verdacht auf das Vorliegen einer Bandverletzung bzw. Instabilität sind insbesondere bei akuten Verletzungen nicht alle klinischen Tests wiederholt bzw. voll umfänglich durchführbar. Es wird daher empfohlen, zunächst Positionsinstabilitäten zu überprüfen bevor dynamische Testverfahren durchgeführt werden.
Die Untersuchung der seitlichen Aufklappbarkeit erfolgt in Rückenlage. Es gilt, die positionelle Stabilität in Streckung sowie in leichter Beugung zu untersuchen. In Beugestellung werden isoliert Innenband (Valgusstress) und Außenband (Varusstress) getestet, außerdem wird die Spannung der Gelenkkapsel in leichter Beugestellung aufgehoben (Abb.11,12). Deutlich häufiger ist das mediale Kollateralband von Instabilitäten betroffen (4). In Streckstellung sind zusätzliche stabilisierende Strukturen (vorderes und hinteres Kreuzband) angespannt. So kann in Streckstellung eine deutlich vermehrte Aufklappbarkeit zusätzlich auf eine Mitbeteiligung des vorderen Kreuzbandes hinweisen.

Bei Verdacht auf Ruptur des vorderen Kreuzbandes erfolgt die Untersuchung der vorderen Schublade in Rückenlage. Der passive Test wird in drei Positionen durchgeführt (Innenrotation, Neutralstellung, Außenrotation). Hierzu wird das in 90° flektierte Kniegelenk mit dem Oberschenkel des Untersuchers am Vorfuß des Patienten fixiert. Untersucht wird die AP-Translation des Tibiakopfes zur Femurcondyle. Dabei umgreift der Untersucher mit beiden Händen den Tibiakopf und platziert die Daumen auf der Femurcondyle, um das Ausmaß der Translationsbewegung bestmöglich zu erfassen. Durch das nach vorne Ziehen des Tibiakopfes, wird neben einer möglichen vermehrten Translation auch die Härte des Anschlags mit beurteilt (Abb.13). Ein harter Anschlag spricht für stabile Verhältnisse, ein weicher Anschlag für eine mögliche Läsion des vorderen Kreuzbands. Eine Positionsinstabilität in Neutralstellung spricht für eine isolierte Ruptur des vorderen Kreuzbandes. Positionsinstabilitäten in Innen- und Außenrotation geben Hinweis auf eine Mitbeteiligung des medialen und lateralen Bandapparates. Die Testgenauigkeit der vorderen Schublade ist bei chronischen Instabilitäten höher als bei akuten Verletzungen. Ursache sind intrinsische Limitierungen des Testverfahrens, durch sekundäre Kniegelenksstabilisatoren (Meniskushinterhörner, Femurkondylen) und reduzierte Beugefähigkeit bzw. schmerzbedingte Incompliance mit reflektorisch erhöhtem Muskeltonus in der akuten Situation (9).
Der Lachman-Test ist der klassische VKB-Test, und insbesondere bei akuten Traumata geeignet, eine vordere Instabilität nachzuweisen. Er erfolgt in Rückenlage und stellt derzeit die sensitivste klinische Untersuchung bei Verdacht auf eine vordere Kreuzbandruptur dar (9). Der Untersucher umfasst bei ca. 30° gebeugtem Hüft- und Kniegelenk der betroffenen Seite das distale Femur sowie die proximale Tibia. Bei fixiertem Femur wird die distale Tibia nach vorne gezogen (Abb.14). Bei einer Kreuzbandverletzung zeigt sich sodann eine vermehrte Translationsbewegung. Ein harter Anschlag kann Hinweis auf eine Teilruptur, ein weicher Anschlag einen Hinweis auf eine komplette Ruptur des vorderen Kreuzbandes geben. Eine Instabilität in Innen- und Außenrotation kann zudem eine Beteiligung der medialen und lateralen Bandstrukturen anzeigen. Bei zusätzlichem Vorliegen einer Meniskusschädigung kann es zu einem hörbaren Schnappen (spontane Rückführung des Tibiakopfes) kommen. Dies entsteht durch einen mobilen Meniskusanteil. Die Folge ist eine kurzfristige Störung der Roll-Gleit-Bewegung des Kniegelenkes (Fenochietto-Zeichen).
Bei Verdacht auf Ruptur des hinteren Kreuzbandes erfolgt die Untersuchung der hinteren Schublade in Rückenlage. Das betroffene Kniegelenk wird in 90° flektiert, die Ausgangsposition ist wie bei der vorderen Schublade. Durch ventralen Druck auf den Tibiakopf wird die hintere Schublade ausgelöst. Als Blickdiagnose ist in manchen Fällen bereits im Seitenvergleich ein Zurückfallen des Tibiakopfes gegenüber der Femurcondyle sichtbar. Im Anschluss kann man beim Quadrizepstest durch aktive Anspannung des M. quadriceps eine spontane, Ventralisierung des Tibiakopfes (aktive vordere Schublade bei hinterer Kreuzbandruptur) testen.
Beim umgedrehten Lachman-Test wird der Tibiakopf nach dorsal gedrückt. Ein harter Anschlag kann auch hier Hinweis auf eine Teilruptur sein, ein weicher Anschlag zeigt eine mögliche Komplettruptur an. Insgesamt ist das Testverfahren sensitiver als die hintere Schublade (5).
Im Anschluss an die Untersuchung möglicher Positionsinstabilitäten sind insbesondere bei Verdacht auf komplexe Bandverletzungen bzw. Rotationsinstabilitäten dynamische Testverfahren anzuschließen. Oftmals zeigen sich hierbei als Ergebnis Subluxationsereignisse.
Der Pivot-shift-Test erfolgt in Rückenlage. Der Untersucher umfasst die Ferse des betroffenen Beines und führt unter Innenrotation und Valgusstress eine zunehmende Flexion im Kniegelenk durch. Beim Vorliegen einer vorderen Kreuzbandruptur kommt es zu einer vermehrten Ventralisierung des Tibiakopfes, so dass es bei ca. 30° Flexion und intaktem Innenband zu einer Spontanreposition des subluxierten Tibiakopfes durch den lateralseitigen Tractus iliotibialis kommt. Der Test dient im Speziellen, um eine klinisch signifikante anteriore Instabiität zu evaluieren (6) und damit eine relative Indikation zur VKB-Rekonstruktion.
Der Jerk-Test ist ebenfalls in Rückenlage durchzuführen. Der Ablauf ist eine Umkehrung des Pivot-shift-Tests. Bei innenrotiertem, betroffenem Kniegelenk erfolgt, unter Valgusstress und aus der Beugung kommend, bei ca. 20° eine spontane Reposition des nach ventral verlagerten Tibiaplateaus durch das intakte Innenband. Das so ausgelöste Phänomen ist ebenfalls als Zeichen für eine vordere Kreuzbandruptur zu werten.
Beim Slocum-Test liegt der Patient in stabiler Seitenlage mit der betroffenen Seite oben. Der Untersucher steht hinter dem Patienten und umfasst sowohl das distale Femur als auch den proximalen Tibiakopf. Aus der Streckung heraus überführt er das Kniegelenk langsam in eine Beugung. Dabei kommt es bei ca. 30° zur spontanen Reposition des zuvor durch die Kreuzbandruptur nach ventral subluxierten Tibiakopfes.

Klinische Funktionsuntersuchung der Patella

Die im Rahmen der klinischen Inspektion und Palpation erhobenen Befunde können, bei Verdacht auf eine Dysplasie und Chondropathie des Femoropatellargelenkes bzw. eine Patellainstabilität, um spezielle Funktionstests erweitert werden (7).
Beim Zohlen-Zeichen ist die Untersuchung in Rückenlage durchzuführen. Das betroffene Kniegelenk ist voll extendiert. Mit Zeigefinger und Daumen wird die Patella fixiert sowie leicht nach distal geschoben. Der Patient wird aufgefordert, den Quadriceps anzuspannen, sodann erfolgt ein Anpressen der Patella auf das femorale Gleitlager, was sehr schmerzhaft sein kann.
Beim Hyperpressionstest wird die Patella bei entspannter Muskulatur manuell vom Untersucher in das Gleitlager gedrückt, wobei es ebenfalls zu einem Schmerzereignis, häufiger lateral, kommen kann.
In beiden Fällen kann dies als Zeichen einer retropatellären Chondropathie bzw. eines korrespondierenden Knorpelschadens im femoralen Gleitlager gewertet werden. Das Schmerzereignis selbst wird jedoch durch eine (begleitende) Synovialitis ausgelöst, was differentialdiagnostisch relevant sein kann.
Patellainstabilitäten lassen sich oftmals aus Patella-tracking (Funktionsverhalten) und Patella-tilt (Mobilisierung) ableiten. Beim J-Zeichen ist die Untersuchung am sitzenden Patienten durchzuführen. Dabei sollten die Unterschenkel frei hängen. Der Patient wird aufgefordert, aus einer ca. 90°-Beugestellung das betroffene Kniegelenk vollständig zu extendieren. Das J-Zeichen ist als positiv zu werten, sobald es aus einer Beugestellung kommend bei aktiver endgradiger Streckung zu einer plötzlichen Lateralisation der Patella kommt.
Beim Apprehension-Test liegt der Patient in Rückenlage mit entspanntem Quadrizeps und extendiertem Knie. Der Untersucher drückt vorsichtig und langsam mit beiden Daumen oder Zeigefingern die Patella von medial aus ihrer Führung (Abb.15). Schmerzen können auftreten, sind aber nicht als positiver Test zu werten. Sobald eine vermehrte Quadrizepsreaktion oder eine Abwehrhaltung des Patienten (Angst vor Patellaluxation) auftreten, gilt der Test als positiv. Bei unphysiologischer Reaktion mit V.a. auf Pathologien des femoralen Gleitlagers ist zusätzlich zur klinischen Diagnostik eine umfassende Bildgebung mit Darstellung des gesamten femoropatellaren Gleitlagers (Konfiguration, Ergussbildung, Chondromalazie) erforderlich.

Bildgebung

Die Sonographie am Kniegelenk kann Ergussbildungen quantifizieren, strukturelle Muskel- und Bandläsionen detektieren und in der dynamischen Untersuchung Instabilitäten aufzeigen. Das konventionelle Röntgen dient der Beurteilung der knöchernen Konfiguration bei Arthrose, Ausschluss Fraktur oder Fehlbildung.
Knorpel, Meniskus, Kreuz- und Seitenbänder sowie die umgebenden Weichteilverhältnisse sind am Besten kernspintomographisch zu erfassen.

FAZIT

Bei Kniegelenksbeschwerden stellt eine strukturierte und sorgsam durchgeführte klinische Untersuchung die Grundlage einer diagnoseorientierten Behandlung dar. Bildgebende Verfahren dienen im Anschluss einer notwendigen Befundabgrenzung, zur Einleitung einer zielführenden und effektiven Therapie.

  1. DEBRUNNER AM. Orthopädie, orthopädische Chirurgie – Patientenorientierte Diagnostik und Therapie des Bewegungsapparates. Bern : Hans Huber Verlag; 4.Aufl., 2005.
  2. MAYER F, CASSEL M. Orthopädische Sporttauglichkeitsuntersuchung In: H. Schmitt (Hrsg.) Sportorthopädie und –traumatologie im Kindes- und Jugendalter. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag; 1. Auflage, 2014.
  3. BERGERAULT F, ACCADBLED F. Étude prospective des lésions méniscales de l’enfant. Rev Chir Orthop. 2007; 93(3):109-111.
  4. ENGELHARDT M, FREIWALD J, LEONHARDT T, DANN K. Kniegelenk: Kapsel-Band-Verletzungen. In: GOTS Manual. Verlag HansHuber: 124-133 (1997).
  5. FU FH, HARNER CD, JOHNSON DL, MILLER MD, WOO SL. Biomechanics of knee ligaments: basic concepts and clinical application. Instr Course Lect. 1994;43:137-148.
  6. KOCHER MS, TUCKER R, BRIGGS KK. Relationship between subjective and objective assessment of outcomes after anterior cruciate ligament reconstruction. J Knee Surg. 2005;18(1):73-81.
  7. LESTER JD, WATSON JN, HUTCHINSON MR. Physical examination of the patellofemoral joint. Clin Sports Med. 2014;33(3):403-412.
    doi:10.1016/j.csm.2014.03.002
  8. LUBOWITZ JH, BERNARDINI BJ, REID JB III. Current concepts review: comprehensive physical examination for instability of the knee. Am J Sports Med. 2008;36(3):577-594.
    doi:10.1177/0363546507312641
  9. VAN ECK CF, VAN DEN BEKEROM MP, FU FH, POOLMAN RW, KERKHOFFS GM. Methods to diagnose acute anterior cruciate ligament rupture: a meta-analysis of physical examinations with and without anaesthesia. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc. 2013; 21(8):1895-903.
Dr. Gregor Berrsche
ATOS Klinik Heidelberg
Deutsches Gelenkzentrum Heidelberg
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