Sport-Orthopädie
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Überlastungsreaktionen im Motocross

Überlastungsreaktionen der oberen Extremitäten im Motocross

Overload Reactions of the Upper Extremities in Motocross

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Vorliegende Arbeit untersucht Überlastungsreaktionen der Unterarme bei Motocrossfahrern, welche wiederholt in Form schmerzhaft verkrampfender Unterarmmuskulatur auftreten. Wenngleich erste Prävalenzangaben vorliegen, sind Zusammenhänge mit individuellen Faktoren der Trainings- und Wettkampffrequenz und technischen Spezifikationen im Motocross bislang kaum untersucht. Demnach stellen sich grundlegende Fragen nach Auftretenshäufigkeit und Erscheinungsform, aber auch welche motorradtechnischen und trainings-/wettkampfspezifischen Faktoren im Zusammenhang mit den Beschwerden stehen.
Methode: Zur standardisierten Datenerfassung diente ein selbst administriertes 21 Item-Instrument mit offenen und geschlossenen Antwortmöglichkeiten zu Erscheinungsform und möglichen Ursachen der Beschwerden aus sportlicher und technischer Sicht, sowie Angaben zu Person und Motorrad. Dieses wurde von N=73 Teilnehmern (12-47 Jahre) regionaler Rennserien aus den Klassen 85-450ccm ausgefüllt.
Ergebnisse: Während des Motocross verspüren 81% der Fahrer Überlastungsreaktionen der Unterarme. Nahezu die Hälfte (49%) berichtet ein Auftreten der Schmerzen bei einem Viertel aller Trainings- und Wettkampffahrten. 81% geben an aufgrund der Beschwerden verringerte Kontrolle über das Motorrad zu haben. 27% aller Befragten stürzten infolge aufgetretener Symptome. Einflüsse technischer Spezifikationen des Motorrades oder individueller Merkmale des Fahrers waren nicht nachweisbar. Ab einem mindestens 2x wöchentlichen Motocross-Training wird signifikant (p=0,045) seltener von Komplikationen berichtet.
Diskussion: Die Ergebnisse bestätigen die Auftretenshäufigkeit von Überlastungsreaktionen im Motocross und deuten auf ein damit in Zusammenhang stehendes Kontrollverlust- bzw. Sturzrisiko hin. Im Gegensatz zu technischen Anpassungen scheint ein entsprechender sportartspezifischer Trainingszustand protektiv wirksam. Weiterführende Studien sollten die Wirksamkeit präventiver Übungsprogramme evaluieren.

SCHLÜSSELWÖRTER: Überlastungsreaktionen, Motocross, Prävalenz, Trainingshäufigkeit

SUMMARY

Introduction: This study analyses overload reactions of the forearms in motocross racers, occurring repeatedly as painful stretching in the flexor muscles. Although the prevalence has recently been reported, its relation to individual factors, training and racing frequency or technical specifications hasnotbeen evaluated. Therefore, the incidence of complaints, type of symptoms and individual/technical factors are subject of the present study.
Methods: Data were captured by a self-administrated questionnaire including 21 open and closed response options about the phenotype of symptoms, possible causes concerning physical and technical aspects, plus data on rider and bike. The standardized questionnaire was completed by N=73 participants (age 12-47) of regional racing series from 80-450cc classes.
Results: About 81% of all riders reported symptoms during motocross. Almost half of the subject group (49%) stated the occurrence of symptoms in 25% of all training and racing rides. 81% stated reduced bike control. 27% of all respondents crashed due to the symptoms. Influences of technical measurements or individual characteristics weren’t detected. Riders who trained at least twice weekly on a dirtbike reported fewer (p=0,045) symptoms.
Conclusion: The findings confirm the incidence of overload reactions in motocross in coherence with a loss of control and increasing crash-risk. Unlike technical modifications, the sport-specific training status seems to be protective for forearm overload reactions. Further studies might evaluate the efficacy of preventive exercise programs.

KEY WORDS: Overload Reactions, Motocross, Prevalence, Training Intensity

EINLEITUNG

Motocross ist eine Disziplin aus dem Motorsport, bei welcher mit Offroad-Motorrädern ein Rundkurs auf natürlichem Untergrund absolviert wird. Die Rennen werden in Hubraumklassen von 50ccm bis 650ccm ausgetragen und üblicherweise in regionalen, nationalen und internationalen Rennserien veranstaltet (3). Aus sportmedizinischer Sicht spielen neben Verletzungen, wie beispielsweise Knochenbrüchen und Bandrupturen, auch muskuläre Überlastungsreaktionen eine bedeutende Rolle (6). Insbesondere der muskuläre Status des Schultergürtels und der oberen Extremität sind für die erfolgreiche Ausübung der Sportart wesentlich. Überlastungsreaktionen der Unterarme sowie der Handgelenke weisen im Motocross-Sport dementsprechend eine hohe Prävalenz (6) auf. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass Funktionseinschränkungen der Unterarme Auswirkungen auf die sportliche Leistungsfähigkeit sowie die Sicherheit von Motocrossfahrern haben. Wenngleich erste Angaben zur Prävalenz der Überlastungsreaktionen vorliegen, sind die Zusammenhänge mit individuellen Faktoren der Trainings- und Wettkampffrequenz und/oder technischen Spezifikationen bislang kaum untersucht. Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Studie Auftretenshäufigkeit und Erscheinungsform, sowie motorradtechnische und trainings-/wettkampfspezifische Faktoren im Zusammenhang mit Überlastungsreaktionen im wettbewerbsorientierten Motocross-Sport.

METHODE

An der Fragebogenerhebung nahmen N=73 Teilnehmer (23±9 Jahre, 178±8cm, 73±15kg) regionaler Rennserien aus den Klassen 85-450ccm aus Hessen und Umgebung teil. Die Fahrer absolvierten durchschnittlich 1,5±0,8 Trainingseinheiten pro Woche und nahmen an 12,3±6,3 Rennen pro Jahr teil. Zur standardisierten Datenerfassung diente ein in Anlehnung an Befragungen von Sabeti et al. entwickeltes 21 Item-Instrument mit offenen und geschlossenen Antwortmöglichkeiten (6). Der selbst administrierte Fragebogen erfasst Angaben zu Erscheinungsform und möglichen Ursachen der Beschwerden aus sportlicher und technischer Sicht, sowie personenbezogene und technische Daten. Differenziert erhoben wurden Angaben zu Auftretenshäufigkeit, Schmerzintensität, Lokalisation und Dauer im Seitenvergleich. Weiterhin gefragt wurde nach dem Schmerzerleben in Abhängigkeit von Streckenprofil, spezifischen Motorradeinstellungen bzw. Anbauteilen. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf Einstellungen und äußere Umstände gelegt, welche sich auf die Körperhaltung/-position des Fahrers auswirken. Zusätzlich wurde nach möglicherweise im Zusammenhang mit den Beschwerden ergriffenen, rezidivprophylaktischen Maßnahmen gefragt. Die gewonnenen Daten wurden mit Hilfe von IBM SPSS Statistics 13.0 deskriptiv und inferenzstatistisch analysiert.

ERGEBNISSE

Nach eigenen Angaben verspürten 81% der Fahrer während des Motocross bereits muskuläre Überlastungsreaktionen der Unterarme. Diese traten zu 23% an der Gashand rechts bzw. zu 77% an beiden Unterarmen auf. Die dabei erlebte Schmerzintensität (VAS 0-10) variierte zwischen eins und neun, wobei nahezu ein Drittel (30%) der Probanden von einer mittleren Schmerzintensität (VAS=5) berichtet. Bei 62% der Fahrer halten die Beschwerden für eine Dauer von 15 Minuten nach Fahrtende an. Etwa die Hälfte (49%) aller Befragten berichtet bei durchschnittlich jeder vierten Fahrt von Beschwerden. Häufiger und intensiver treten die Schmerzen zu Saisonbeginn (40%) und in Qualifikations- sowie Rennsituationen (36%) auf. In 24% der Fälle traten die Symptome in Zusammenhang mit ausgefahrenen Strecken auf. 81% geben an aufgrund der Beschwerden eine verringerte Kontrolle über das Motorrad zu haben (vgl. Abb. 1). Ungefähr ein Viertel (27%) aller Befragten stürzte infolge aufgetretener Beschwerden. Einflüsse technischer Spezifikationen des Motorrades oder anthropometrischer Merkmale des Fahrers waren nicht nachweisbar. Tabelle 1 liefert die relative Häufigkeit verbauter Zubehörteile und Motorradeinstellungen. Ab einem mindestens 2x wöchentlichen Motocross-Training wird signifikant (p<0,05) seltener von Beschwerden berichtet. Im Detail waren 10 der 26 Probanden mit einer Trainingshäufigkeit von >2/Woche bzw. 4 von 47 mit weniger als 2 Trainings pro Woche beschwerdefrei. Nach Fahrerangaben führte vermehrtes Training (≥2 TE/Wo) auf dem Motorrad zur Reduktion von Auftretenshäufigkeit und Schmerzintensität (vgl. Abb. 2).

DISKUSSION

Die vorliegende Arbeit untersuchte Überlastungsreaktionen der Unterarme bei Motocrossfahrern, welche wiederholt in Form schmerzhaft spannender Unterarmmuskulatur auftreten. Die ermittelten Ergebnisse bestätigen das in vorangegangenen Studien beschriebene Auftreten der Symptome sowohl im Training als auch im Wettkampf (4, 5, 6). In der vorliegenden Erhebung traten die Beschwerden jedoch mit höherer Prävalenz und nahezu gleicher Schmerzintensität an beiden Unterarmen auf. Diese seitensymmetrische Schmerzausprägung wiederum steht in Einklang mit Schlussfolgerungen von Winkes et al. und Allen & Barnes welche den Ursprung der Symptome im anhaltenden Griff nach dem Lenker und weniger in der Benutzung des Gasgriffes als Auslöser vermuten (1, 11). Die von Sabeti et al. beschriebene höhere Schmerzintensität auf der Gashandseite (rechts) kann möglicherweise auf den dort untersuchten Streckenverlauf oder eine unterschiedliche Dauer sowie Häufigkeit von Belastungsspitzen aufgrund/und voller Dorsalflexion der Gashand zurückgeführt werden (6).
Die in der vorliegenden Studie erzielten Resultate deuten weiterhin auf ein mit den Unterarmschmerzen in Zusammenhang stehendes Kontrollverlust- bzw. Sturzrisiko hin und bestätigen somit die im Kontext von Überlastungsreaktionen vermuteten Konsequenzen (6). Sowohl Winkes et al. als auch die vorliegende Studie ermitteln bei 75% der Probanden Leistungseinschränkungen und bei 20%-25% einen Abbruch der Fahrt bedingt durch die Beschwerden (11). Ermittelte Resultate bezüglich der Dauer der Schmerzen stehen im Einklang mit Winkes und Kollegen, die für die Hälfte ihrer Probanden ein Abklingen der Schmerzen ca. 12 Minuten nach Fahrtende benennen. Allerdings konnte von Winkes et al. der für die Hälfte der Befragten bis zum folgenden Tag anhaltende Schmerz in der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden (11). Angesichts der aktuellen Ergebnisse scheinen weniger technische Modifikationen als vielmehr das vermehrte Training auf dem Motorrad für die berichteten Schmerzsensationen präventiv. Auf den Zusammenhang von Trainingszustand und Beschwerdesymptomatik weisen Tulder et al. in ihrer Übersicht zum Nutzen bewegungstherapeutischer Interventionen zur Behandlung unspezifischer muskuloskeletaler Störungen der oberen Extremität hin (9). Die von ihnen, neben Verbesserungen der Alltagsfunktion, ermittelte Schmerzreduktion deckt sich auch mit den von Verhagen et al. bei arbeitsplatzbezogenen Überlastungsbeschwerden der Schulter-Nackenregion durch Trainingsinterventionen beschriebenen kurzfristigen Effekten (10). Dem aktuellen Review von Van Eerd et al. zufolge besteht starke bzw. moderate Evidenz für die Wirksamkeit von Kraft- und Dehnprogrammen zur Prävention und Behandlung rezidivierender Schmerzsymptome der oberen Extremität am Arbeitsplatz (8).
Die im Kontext arbeitsbedingter muskuloskeletaler Schmerzerlebnisse oftmals beschriebenen Alltagsrestriktionen werden in der vorliegenden Erhebung von nur ca. 40% aller Motocrossfahrer berichtet. Winkes et al. ermitteln in diesem Punkt einen deutlich größeren Anteil an Fahrern, welche die Beschwerden auch im Alltag verspüren (11). In beiden Studien vergleichbar ist das Auftreten der Beschwerden im Alltag nur bei speziellen Greifbewegungen. Die im Setting Arbeitsplatz oftmals detektierte schmerzauslösende Wirkung von Vibrationen konnte in der aktuellen Untersuchung, ggf. aufgrund der vergleichsweise kurzen Expositionszeit, weder im Alltag noch auf dem Motorrad nachgewiesen werden (2).

FAZIT

Die in der vorliegenden Untersuchung nachgewiesene Auftretenshäufigkeit von Überlastungsreaktionen im Motocross und das damit in Zusammenhang stehende Kontrollverlust- bzw. Sturzrisiko liefern Hinweise für deren Entstehung und Vorbeugung. Klinische Untersuchungen zu muskulären Verkürzungen/Dysbalancen oder funktionellen Kompartmentsyndromen hätten die Aussagekraft ggf. weiter erhöhen können.
Insgesamt kann die in Trainings- und Wettkampfsituationen quasi isometrische Dauerkontraktion mit großer Kraft und erhöhtem Grad mentaler Anspannung bei gleichzeitig unzureichendem muskulären Status als Verstärker und/oder Auslöser der berichteten Unterarmschmerzen im Motocross vermutet werden. In weiteren Studien zur Schmerzursache sollten auch die bei Belastungskompartmentsyndromen beschriebenen Zusammenhänge muskulärer Überlastungsreaktionen, intramuskulärer Druckverhältnisse und Schmerzintensitäten Beachtung finden (4, 5, 7).
Parallel scheint aus präventiver Sicht die Wirksamkeitsüberprüfung allgemeiner, oder evidenzbasiert in Anlehnung an arbeitsplatzbezogene Maßnahmen, die Entwicklung sportartpezifischer Kraft- und Dehnprogramme notwendig. Flankierend zu einem hinreichenden Trainingsumfang auf dem Motorrad sind in Abhängigkeit von Trainingsdauer, intensität, rhythmus und –methode präventiv wirkungsvolle Effekte erwartbar.

Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen:
Keine

LITERATUR

  1. ALLEN M, BARNES M. Chronic compartment syndrome of the flexor muscles in the forearm: a case report. J Hand Surg. 1989; 14: 47-48.
    doi:10.1016/0266-7681(89)90014-4
  2. DEVEREUX JJ, VLACHONIKOLIS IG, BUCKLE PW. Epidemiological study to investigate potential interaction between physical and psychosocial factors at work that may increase the risk of symptoms of musculoskeletal disorder of the neck and upper limb. Occup Environ Med. 2002; 59: 269-277.
    doi:10.1136/oem.59.4.269
  3. FIM - FÉDÉRATION INTERNATIONALE DE MOTOCYCLISME. FIM MXGP, MX2, Women’s Motocross World Championship, FIM Motocross of Nations, FIM Veteran Motocross World Cup Regulations 2016. [15. März 2016].
    http://www.fim-live.com/en/sport/regulations-and-documents/motocross-mxgpmx2/
  4. GIELEN JL, PEERSMAN B, PEERSMAN G, ROELANT E, VAN DYCK P, VANHOENACKER F, ROEYKENS J. Chronic exertional compartment syndrome of the forearm in motocross racers: findings on MRI. Skeletal Radiol. 2009; 38: 1153-1161.
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  5. HUTCHINSON MR, IRELAND ML. Common Compartment Syndromes in Athletes. Sports Med. 1994; 17: 200-208.
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  6. SABETI M, SEREK M, GEISLER M, PACHTNER T, SCHMIDT M, CREVENNA R, PIEBER K. Verletzungen und Überlastungsschäden im MotorradEnduro-Sport. Sport-Orthopädie - Sport-Traumatologie - Sports. Orthop Traumatol Surg Res. 2012; 28: 74-78.
  7. SCHUBERT AG. Exertional Compartment Syndrome: Review of the Literature and Proposed Rehabilitation Guidelines Following Surgical Release. Int J Sports Phys Ther. 2011; 6: 126-141.
  8. VAN EERD D, MUNHALL C, IRVIN E, REMPEL D, BREWER S, VAN DER BEEK AJ, DENNERLEIN JT, TULLAR J, SKIVINGTON K, PINION C, AMICK B. Effectiveness of workplace interventions in the prevention of upper extremity musculoskeletal disorders and symptoms: an update of the evidence. Occup Environ Med. 2016; 73: 62-70.
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  9. VAN TULDER M, MALMIVAARA A, KOES B. Repetitive strain injury. Lancet. 2007; 369: 1815-1822.
    doi:10.1016/S0140-6736(07)60820-4
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  11. WINKES MB, LUITEN EJT, VAN ZOEST WJF, SALA HA, HOOGEVEEN AR, SCHELTINGA MR. Long-term Results of Surgical Decompression of Chronic Exertional Compartment Syndrome of the Forearm in Motocross Racers. Am J Sports Med. 2012; 40: 452-458.
    doi:10.1177/0363546511425647
Prof. Dr. Lutz Vogt
Institut für Sportwissenschaften
Abteilung Sportmedizin
Goethe-Universität Frankfurt
Ginnheimer Landstr. 39, 60487 Frankfurt
l.vogt@sport.uni-frankfurt.de