Sports Medicine in Transition
EDITORIAL

Sportmedizin – Quo Vadis?

Sports Medicine – Quo Vadis?

Im besten Sinne gemeinsam fand in diesem Jahr in Hamburg der 1. Deutsche Olympiakongress statt, der erstmals von der DGSP und der GOTS in Kooperation veranstaltetet wurde. Es war ein Meilenstein, aber auch ein Experiment in der Geschichte der neueren deutschen Sportmedizin. Ein Experiment, da der Ausgang dieses Unternehmens lange nicht klar war. Diese sportliche Aufgabe haben Prof. Klaus-Michael Braumann, als Kongresspräsident für die DGSP und Priv.-Doz. Thore Zantop für die GOTS wahrgenommen.

Als Präsident der GOTS habe ich im Hintergrund diesen gemeinsamen Kongress sehr unterstützt, als Helden habe ich die beiden Kongresspräsidenten in der Abschlussrede gewürdigt. Helden sind Men­schen, die sich plötzlich aus heiterem Himmel einer schwierigen, schier unlösbaren Aufgabe gegenüber sehen. Gefolgt ist dies durch eine krisenhafte Situa­tion, die den Helden fordert, Übermenschliches zu leisten. Der Held nimmt diese Herausforderung an, löst die Aufgabe erfolgreich und kehrt gefeiert nach Hause zurück.

Beziehen wir das auf den genannten Kongress, so wurde im Zuge der Bewerbung für die Olympi­schen Sommerspiele in Hamburg oder Berlin die deutsche Sportmedizin damit konfrontiert, einen sportmedizinischen Kongress zur Unterstützung zu organisieren, und zwar beide sportmedizini­schen Gesellschaften gemeinsam; damit war die große Herausforderung für unsere Helden gegeben. Leider wurde die Olympiabewerbung wieder einge­stellt, sodass der eigentliche Antrieb und die Un­terstützung, diese Veranstaltung durchzuführen, ausblieb, was sich neben Problemen mit der Kon­gresslokalisation auch in der Sponsorenaktivität niederschlug. In dieser krisenhaftigen Stimmung haben unsere Helden Nerven bewahrt und eifrig am Programm gearbeitet, Sitzungen gestaltet, Eh­rengäste eingeladen und ein attraktives Rahmen­programm festgelegt. Nicht unerwähnt sollen die vielen Helfer in den jeweiligen Vorständen sein, die dieses Unternehmen unterstützt und die unermüd­lich die lokale Organisation vorangetrieben haben. Die Ausstellung musste auf Grund feuerpolizeili­cher Einwände in ein großes Zelt hinter dem Ins­titutsgebäude verlegt werden und die prinzipielle Durchführbarkeit des Kongresses stand in Frage. Aber trotzdem ist es dann geworden: Die Stadt hat die Zeltmiete übernommen und die Teilnehmer und Aussteller haben trotz großer Hitze im Zelt ausge­harrt. Der gemeinsame Kongress ist schließlich sehr gut gelungen: mehr als 900 TeilnehmerInnen und Aussteller, 321 Vorträge, 11 Workshops und 4 Instruktionskurse haben einen tollen Querschnitt durch die Sportmedizin geliefert – und zwar der gesamten Sportmedizin. Seit langem hat sich das Fach Sportmedizin wieder in seiner ganzen Breite präsentiert. Überschneidungsthemen am Kongress haben klar herausgestellt, wie Training, Überlas­tung und die Leistungsphysiologie Querverbindun­gen zur Entwicklung von positiven oder aber auch negativen Auswirkungen auf den Bewegungsappa­rat haben. Die zellulären, molekularbiologischen und biochemischen sowie pathophysiologischen Zusammenhänge wurden aufgezeigt und durch konkrete experimentelle und klinische Nachwei­se dargestellt. Menschen, die sportliches Training absolvieren, haben bessere Karten in der Krebsthe­rapie, die pathologischen Sehnenveränderungen brauchen dosiertes Belastungsregime um zu gesun­den, präventive Übungen können Verletzungsmus­ter und Häufigkeiten beeinflussen und verbessern; um nur wenige Beispiele aus dem Vorlesungsreigen zu nennen, die auf großes Interesse gestoßen sind. Wichtig wäre in Zukunft, an den Jahreskongressen beider Gesellschaften eine Vortragsschiene des je­weilig anderen Faches zu etablieren.

Doch wie geht’s jetzt weiter. Viele Jahrzehnte hat sich die internistisch­leistungsphysiologische Sportmedizin getrennt von der Sportmedizin des Bewegungsapparates entwickelt. Die einen haben Forschung am Herz­Kreislaufsystem und Metabo­lismus im Sport vorangetrieben und im Bereich der Orthopädie und Traumatologie hat sich die sportrelevante Chirurgie, mit vor allem arthro­skopischen Gelenkeingriffen, etabliert. Das Feld der Sportmedizin als breites Fach der Betreuung von SportlerInnen und die Anwendung von Sport als präventives und therapeutisches Thema ist in der Mitte übrig geblieben. Nach diesen Jahren der getrennten Entwicklung war es spannend zu sehen, wie viel Gemeinsames da eigentlich zu bearbeiten wäre.

Wie schaut es international in Europa aus? Leider ist die Sportmedizin in fast allen Ländern Europas kein eigenes Fach geworden. Eine multidis­ziplinäre Gruppe (MJC) innerhalb der europäischen Facharztgruppen (UEMS) versucht derzeit wieder, einen Antrag auf die Anerkennung eines europäi­schen­sportmedizinischen Curriculums zu stellen, aber die nationalen Kräfte sind zu unterschiedlich um an einen Strang ziehen zu können.

In Österreich wurde das Thema Sportmedizin bei der Facharztreform 2014 nicht aufgegriffen, derzeit sind auch die Additvfächer Sportmedizin aufgehoben und noch keine Spezi­alisierungen formuliert. Es fehlt in der Spitals­und Ambulanz­landschaft in der Grundversorgung ganz einfach die Struktur, in der Sportmedizin betrieben werden kann. Leider reduzieren sich universitäre Institute und Professuren, die sich mit sport­medizinischen Inhalten auseinandersetzen. Zudem droht der Verlust der letzten sportmedizinischen Lehrstühle in der Universitätslandschaft. Im Bereich der sportpädagogischen Studien und Sportwissenschaften ist die Sportmedizin nur mehr peripher angesiedelt, und in den großen Unikliniken ist das Thema sehr klein geworden oder, wie in, Wien fast ganz verschwunden.

Ein Trend, der sich in ganz Europa zeigt, dass die Sport­lerInnenbetreuung zunehmend in die Privatmedizin abge­wandert ist und damit die Sportmedizin auch als wichtiges präventives Thema sowie auch die Kompetenz in den Klini­ken für sportassoziierte Probleme verloren geht. Dabei hat die Sportmedizin im Verständnis des Herz­Kreislaufsystems, des Muskelstoffwechsels, der Immunologie aber auch der Adapta­tionsphänomene und Überlastungssyndrome große Beiträge geliefert.

Der Erhalt der Volksgesundheit ist in großem Maße vom Einbringen von Bewegung in unseren bewegungsverarmten Alltag abhängig. Sport ist nach wie vor ein wichtiger Faktor für unsere Kinder und Jugendlichen in einer zunehmend di­gitalisierten Welt, die Wirklichkeit des eigenen Körpers und das Erlebnis Bewegung zu spüren und einer der letzten Moti­vatoren für physische Leistung und auch soziale Integration. „Gemeinsam für einen gesunden Sport“ lautete das Thema des Kongresses und sollte uns eine Mahnung sein, das gemeinsa­me Ziel der sportmedizinisch interessierten Ärztinnen und Ärzte nicht aus den Augen zu verlieren.

Die GOTS hat sich als Ziel gesetzt, die Ausbildung der Ärzte – soweit es den Bewegungsapparat betrifft – voranzutreiben und einen Zertifikatskurs entwickelt, der eine Basisausbil­dung für den Sportarzt in Orthopädie / Traumatologie und physikalischer Medizin darstellt. In vier Modulen zu zwei Tagen in Österreich, Deutschland und der Schweiz werden von erfahrenen SportmedizinerInnen in Vorträgen und Work­shops das Wissen und die Fertigkeiten für die sportmedizini­sche Praxis vermittelt. Der Kurs ist jetzt im fünften Turnus und immer ausgebucht, was zeigt, wie hoch das Interesse an sportmedizinischer Weiterbildung auf hohem Niveau ist. Darüber hinaus wurde in einer Kooperation mit der Donau Universität Krems – einer bundesstaatlichen Universität für Weiterbildung – in Österreich zusammen mit der GOTS und der ÖGSMP ein Masterstudiengang entwickelt, der berufsbe­gleitend in zweieinhalb Jahren absolviert werden kann und das gesamte Spektrum der Sportmedizin erfasst. In zwei Ver­tiefungen können der Bewegungsapparat oder das internis­tisch­leistungsphysiologische Spektrum abgedeckt werden, daneben werden Wissenschaftstheorie, Epidemiologie und Evidenzbasierte Medizin gelehrt und in einem Kommunika­tionsmodell auch soziale Skills vermittelt.

Der Studiengang hat in diesem Jahr gestartet und war auch in Leipzig am Sportzentrum zu Gast, wo das einführende Mo­dul für Sportmedizin für beide Gruppen gehalten wurde. Das Studium wird mit einer Masterthese abgeschlossen, was den wissenschaftlichen Output der Sportmedizin sicher verbes­sern wird.

Die Förderung der Ausbildung wurde auch zum Schwer­punktthema in der Zukunftsstrategie der GOTS bestimmt, da hier die größten Chancen bestehen, gesellschaftlich wirksam zu werden und die Sportmedizin in die medizinische Versor­gung über aktive engagierte Kollegen einzubringen.

Insofern braucht es viele Helden, die sich dieser Sache an­nehmen und die Sportmedizin vorwärts bringen zum Wohl der Sportler und unserer gemeinsamen Gesundheit.

Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer
Dekan Fakultät für Gesundheit und Medizin
Donau-Universität Krems
Department für Gesundheitswissen-
schaften, Medizin und Forschung
Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30
3500 Krems, Österreich
stefan.nehrer@donau-uni.ac.at