Sportmedizin
ORIGINALIA
UNFÄLLE UND ZWISCHENFÄLLE BEI KINDERTAUCHVERANSTALTUNGEN

Unfälle und Zwischenfälle bei Kindertauchveranstaltungen

Accidents and Incidents During SCUBA-Diving Events in Children

ZUSAMMENFASSUNG

Problemstellung: Tauchen mit komprimierter Atemluft erfreut sich bei Kindern und Jugendlichen zunehmender Beliebtheit als Freizeitsport. Im Unterschied zum Tauchen bei Erwachsenen gibt es zum Kindertauchen bislang nur unzureichende Informationen zu möglichen bzw. tatsächlichen Zwischenfällen im Sporttauchbereich. Methoden: Vierundvierzig Jungen und Mädchen im Alter zwischen acht und fünfzehn Jahren wurden während ihrer Teilnahme an Kindertauchveranstaltungen mit maximalen Tauchtiefen von 8m beobachtet und aufgetretene Probleme dokumentiert und statistisch ausgewertet. Ergebnisse: Bei sieben Kindern (16%) kam es zu Zwischenfällen in Form von Druckausgleichsproblemen der Nasennebenhöhlen und leichtgradigen Barotraumen des Mittelohres, die eine vorzeitige Beendigung des Tauchganges erforderlich machten. Lediglich bei einem Kind trat ein Unfall in Form eines hochgradigen Mittelohrbarotraumas auf. Zudem lag bei diesem Kind ein Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) vor. Kinder,  bei  denen  ein  Barotrauma  des  Mittelohres  auftraten,  waren  signifikant jünger als Kinder, bei denen keine Barotraumen beobachtet wurden. Diskussion: Barotraumata – insbesondere des Mittelohres – sind häufige Zwischenfälle beim Kindertauchen.  Insbesondere  scheinen  jüngere  Taucher  verstärkt  betroffen  zu sein.  Hyperkinetische  Störungen  könnten  ein  möglicher  Risikofaktor  für  tauchgangsassoziierte-Unfälle bei Kindern und Jugendlichen sein. Schlussfolgerung: Bei der Tauchtauglichkeitsuntersuchung von Kindern sollte der HNO-Untersuchung ein zentraler Stellenwert eingeräumt werden und Tauchpartner von Kindern müssen auf mögliche Druckausgleichsprobleme des begleiteten Kindes achten. Eine Tauchtauglichkeit sollte bei bestehendem ADHS eher kritisch gesehen werden.

Schlüsselwörter: Barotrauma, ADHS, Hämatotympanon, Gerätetauchen.

SUMMARY

Introduction:  Scuba  diving  has  become  a  popular  recreational  activity  among children  and  adolescents.  However,  compared  to  data  in  adults,  only  scarce  information is available with regard to both possible and actual complications of scuba diving. Methods: Any complications that could be observed in 44 boys and girls aged 8 to 15 years while participating in pediatric scuba-diving camps (max. dive depth 8m) were documented and analysed. Results: There were mild barotraumas of the nasopharyngeal cavities and middle ears subsequent to pressure equalization issues which necessitated premature termination of the scuba dive by 7 children. One child suffered from more severe middle ear barotrauma during diving.  This  child  also  had  an  attention  deficit  hyperactivity  disorder  (ADHD). Analysis revealed that children who suffered from barotraumas were significantly younger than those who did not. Discussion: Barotrauma of the middle ear seems to be a frequent complication in scuba diving children. Younger children appear to be more likely affected. Hyperkinetic disorders may be a risk factor for pediatric diving injuries. Conclusion: Proper ENT evaluation is a crucial component of pediatric medical assessment determining fitness to dive. Careful observation of possible equalization issues by adult dive buddies could help to prevent these injuries. ADHD should be considered a contraindication to scuba diving.

Key Words: Barotrauma, ADHD, haematotympanon, hematotympanon, scuba diving

EINLEITUNG

Das Tauchen mit autonomen Leichttauchgeräten (self-contained underwater breathing apparatus, SCUBA) hat im Laufe der letzten Jahrzehnte enorm an Popularität gewonnen, besonders auch bei Kindern und Jugendlichen. Allein in den Vereinigten Staaten (USA) tauchen mehr als 110.000 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zwölf und siebzehn Jahren regelmäßig (21). Im größten deutschen Tauchsportverband - dem Verband Deutscher Sporttaucher (VDST) – waren im Jahr 2008 7,4% der 66645 Mitglieder 15- 18 Jahre und 6,4% 7- 14 Jahre alt (persönliche Mitteilung U. Hoffmann, Verband Deutscher Sporttaucher).
Bereits in den neunziger Jahren machte man sich in Deutschland intensiv Gedanken über die Tauchausbildung mit Kindern (10, 11). In der Zwischenzeit bieten alle größeren Tauchsportverbände  spezielle  Ausbildungskonzepte  für  Kinder  und  Jugendliche an, die das Tauchen erlernen wollen.
Die  epidemiologischen  Daten  der  Tauchunfall-Datenbanken zeigen,  dass  es  auch  bei  Kindern  und  Jugendlichen  zu  tödlichen Tauchunfällen  kommen  kann  (7).  Abgesehen  von  diesen  schwerwiegenden Komplikationen beim Sporttauchen sind in der Literatur Fälle von Trommelfell-Perforationen sowie hypoxisch bedingten Synkopen  beim  Apnoe-Tauchen  beschrieben  (28).  Aufgrund  der anatomischen  Besonderheiten  der  Eustachischen  Röhre  im  Vergleich zu Erwachsenen und den häufigeren Infekten des oberen Respirationstraktes  ist  anzunehmen,  dass  Kinder  ein  höheres  Risiko für Druckausgleichsprobleme als Erwachsene haben.
Die Auswirkungen und Risiken des Tauchens sind bei Kindern und Jugendlichen kaum erforscht. Entsprechend existieren nur wenige medizinische Leitlinien zur Beurteilung der Tauchtauglichkeit bei Kindern und Jugendlichen. Insbesondere liegt bislang keine Studie aus dem Deutschen Sprachraum vor, die das Verhalten von Kindern beim Sporttauchen systematisch dokumentiert hat.
Ziel  dieser  Studie  war  eine  systematische  Beobachtung  von Kindern  während  so  genannter  Tauchcamps  mit  dem  Ziel,  Daten zu  möglichen  Problemen  und  Zwischenfällen  beim  Tauchen  von Kindern  zu  generieren  und  Risikofaktoren  für  Kindertauchgänge zu evaluieren.

METHODEN

Probanden
Vierundvierzig  Kinder  wurden  während  Kindertauch-Veranstaltungen  am  Attersee,  Österreich  (18  Kinder),  Steinberger  See, Deutschland  (8  Kinder),  Bodensee,  Deutschland  (9  Kinder)  und Eglisee, Schweiz (9 Kinder) rekrutiert. Für die wissenschaftliche Begleitung der o.g. Veranstaltungen lag ein zustimmendes Votum der Ethik-Kommission vor. Alle Kinder hatten bereits eine Tauchausbildung absolviert oder nahmen an regulären Kindertauch-Kursen teil. Bei allen Kindern und Jugendlichen lag eine gültige ärztliche Tauchtauglichkeitsbescheinigung vor.

Prozeduren
Alle Kinder führten im Rahmen der Camps Tauchgänge mit offenen Atemlufttauchgeräten durch. Vor dem ersten Tauchgang wurde bei jedem Kind eine Otoskopie durchgeführt. Die maximale Tiefe wurde auf 8 Meter festgelegt und die maximale Tauchzeit mit 30 Minuten vorgegeben. Alle Tauchprofile waren mit den Standards von CMAS Deutschland  (Confédération  Mondiale  des  Activités  Subaquatiques) konform. Die Kinder wurden von erfahrenen erwachsenen Tauchern (DiveMaster oder Tauchlehrer) begleitet.
Tauchlehrer und Tauchpartner („Buddies“) wurden angewiesen, besonders  sorgfältig  auf  potentiell  kritische  Ereignisse  zu  achten. Nach allen Tauchgängen wurden die Kinder nach Schmerzen, Problemen  und  Zwischenfällen  befragt.  Diese  Informationen  wurden für die nachfolgende statistische Auswertung sorgfältig dokumentiert. Verlaufs-Otoskopien wurden bei abgebrochenen Tauchgängen bzw. Beschwerden durchgeführt.

Definition von Zwischenfällen und Unfällen
Alle  Ereignisse,  die  eine  vorzeitige  Beendigung  des  Tauchgangs erforderlich  machten,  wurden  als  Zwischenfälle  klassifiziert,  so insbesondere  auch  HNO-Probleme  ohne  sichtbare  Zeichen  einer Verletzung.  Im  Falle  von  sichtbaren  Verletzungszeichen  wurden Ereignisse als Unfälle klassifiziert. Bei Unfällen wurde eine medizinische Nachuntersuchung durch einen Facharzt durchgeführt, bei Zwischenfällen  eine  Beobachtung  und  im  Wiederholungsfall  eine fachärztliche Untersuchung empfohlen.

Statistik
Die  statistische  Analyse  der Daten  wurde  mit Hilfe  von  Microsoft Excel 2007 und SPSS 15 durchgeführt. Für alle Zwischenfälle wurde die absolute Anzahl und der prozentuale Anteil berechnet. Kinder und Jugendliche bei denen Barotraumata des Mittelohres auftraten wurden der Risikogruppe zugeteilt, Taucher ohne solche Probleme der Nicht-Risiko-Gruppe. Alle in Tabelle 3 aufgeführten anthropometrischen Parameter wurden unter Verwendung von U-Tests zwischen den beiden Gruppen verglichen.

ERGEBNISSE

Initial waren alle Probanden gesund, die Otoskopie lieferte bei allen Kindern einen Normalbefund. Insgesamt wurden 124 Tauchgänge observiert. Das durchschnittliche Alter der Probanden belief sich auf  12,2±1,7  (8,8–15,0)  Jahre.  Weitere  anthropometrische  Daten können Tab.1 entnommen werden. Jedes Kind bzw. jeder Jugendliche führte im Durchschnitt 2,8 Tauchgänge durch (Spannweite 1- 6 Tauchgänge). Die mediane Tauchgangstiefe betrug 6 m (2- 8 m), die mediane Tauchgangsdauer betrug 23 min (2- 33 min). Pro Tag wurden maximal zwei Tauchgänge durchgeführt. Bei den Tauchgängen traten  keine  lebensbedrohlichen  Unfälle  auf.  Eine  Übersicht  über alle Unfälle, Zwischenfälle und Verstöße gegen Empfehlungen bietet  Tab.2.  Ein  Kind  erlitt  ein  otoskopisch  nachgewiesenes  ausgeprägtes Hämatotympanon. Sieben Tauchgänge bei sieben Kindern mussten aufgrund von Druckausgleichsproblemen vorzeitig abgebrochen werden. Bis auf einen Fall traten die Probleme beim ersten Tauchgang im Rahmen der jeweiligen Veranstaltung auf. Otoskopisch  war  hier  allenfalls  eine  verstärkte  Gefäßinjektion  sichtbar. Eines dieser Kinder konnte trotz der Verwendung von Nasenspray aufgrund  von  persistierenden  Druckausgleichsproblemen  die  gewünschte  Tauchtiefe  nicht  erreichen  und  musste  den  Tauchgang bereits  kurz  nach  Beginn  des  Abstiegs  abbrechen.  Zwei  Kinder waren gemäß der gängigen Empfehlungen und Leitlinien (1) nicht tauchtauglich. Ein Kind applizierte regelmäßig Xylometazolin-Nasenspray (s.o.) aufgrund von Problemen beim Druckausgleich und einer  behinderten  Nasenatmung.  Ein  weiteres  Kind  litt  an  einem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom  (ADHS)  und wurde medikamentös mit Methylphenidat (Ritalin ®) therapiert. Bei diesem Kind mit bekanntem ADHS trat auch das bereits beschriebene Hämatotympanon während eines Tauchganges auf.
Zwischen Kindern die ein Barotrauma des Mittelohres erlitten und denen, die keines erlitten bestand ein statistisch signifikanter Unterschied im Bezug auf Alter, Größe und Gewicht. Kinder, bei denen ein Barotrauma auftrat, waren jünger, kleiner und leichter, als die Kontrollgruppe. In Bezug auf Geschlecht sowie Gewichts-, Größen und BMI-Perzentile konnten keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden (Tabelle 3). Größe und Gewicht korrelierten bei den insgesamt 44 Probanden gut (p<0,001, r >0,62) mit dem Alter.

DISKUSSION

Wichtigstes Ergebnis dieser Studie war der gehäufte Nachweis von Druckausgleichsproblemen  und  Verstößen  gegen  Tauchtauglichkeitsempfehlungen  bei  einigen  Kindern  und  Jugendlichen.  Die Hauptursache  für  Tauchzwischenfälle  waren  Druckausgleichsprobleme.  Bis  auf  einen  Fall  führten  diese  Probleme  zu  einem frühzeitigen  Abbruch  des  Tauchganges  und  in  Folge  dessen  nur zu  Barotraumen  des  Mittelohres  geringen  Grades.  Ein  Kind  hingegen  setzte  den  Tauchgang  trotz  bestehender  Druckausgleichsprobleme  fort  und  erlitt  ein  hochgradiges  Mittelohrbarotrauma und somit einen Unfall. Die Barotraumata traten bis auf eine Ausnahme während des ersten Tauchgangs auf. Eine Risikoerhöhung durch eine bestehende Vorschädigung des Gewebes durch vorangegangene Tauchgänge dürfte daher keine Rolle spielen.
Das Auftreten der beschriebenen Zwischenfälle und Unfälle im HNO-Bereich ist durch einen Anstieg des Umgebungsdruckes während  des  Tauchganges  erklärbar.  Während  des  Abstieges  in die Tiefe macht der zunehmende Umgebungsdruck einen Druckausgleich erforderlich, um ein Barotrauma des Mittelohres zu verhindern. Druckausgleichsprobleme bei Tauchgängen von Kindern wurden  bereits  beschrieben  (28).  In  einigen  Fällen  resultierten diese  Druckausgleichsprobleme  in  Trommelfellperforationen. Während Vandenhoven et al. (28) vom Auftreten von Grad V Barotraumata bei Kindern berichten, konnten in dieser Studie lediglich Barotraumata I. - IV. Grades beobachtet werden.
Die statistische Auswertung ergab, dass Kinder, bei denen ein Barotrauma  des  Mittelohres  auftrat,  jünger,  kleiner  und  leichter waren,  als  Kinder  ohne  diese  Zwischenfälle.  Diese  Beobachtung bekräftigt die Bedenken, dass der Druckausgleich bei jungen Tauchern erschwert sein kann (1, 20, 22). Die Unterschiede bezüglich Größe und Gewicht zwischen den zwei Gruppen werden aufgrund der hohen Korrelation mit dem Alter als am ehesten altersbedingt gewertet.  Das  gehäufte  Auftreten  von  Barotraumata  bei  jungen Tauchern  kann  sowohl  durch  Verhaltensunterschiede,  als  auch durch  medizinische  Besonderheiten  erklärt  werden.  Zu  hohe Abstiegsgeschwindigkeit,  zu  später  Beginn  des  Druckausgleichsmanövers und das Verkennen von Frühsymptomen bei Übermotiviertheit  könnten  als  Zeichen  einer  altersbedingt  geringeren kognitiven  Reife  gewertet  werden.  Mögliche  medizinische  Erklärungen  sind  eine  unterschiedliche  Anatomie  der  Eustachischen Röhre, eine eingeschränkte muskuläre Öffnung der Tube sowie das häufigere Auftreten banaler Atemwegsinfekte bei Kindern im Vergleich  zu  Erwachsenen.  Experimentelle  Studien  konnten  zeigen, dass die muskuläre Öffnung der Eustachischen Röhre auch bei gesunden Kindern eingeschränkt ist (5) und, dass mit zunehmendem Alter eine gewisse Besserung eintritt (4). Die passive Öffnung der Tube, die besonders beim Auftauchen von zentraler Bedeutung ist, scheint hingegen bei Kindern nicht signifikant schlechter zu sein (6). Zur eingeschränkten muskulären Öffnung kommt hinzu, dass die Eustachische Röhre bei jüngeren Kindern kürzer ist und horizontaler verläuft (26) und ihr Ostium im Pharynx kleiner ist, als bei Erwachsenen (29). Diese anatomischen Besonderheiten können folglich die eingeschränkte Tubenventilation bei Kindern erklären. Zudem ist beschrieben, dass Adenoide aufgrund einer Obstruktion  der  posterioren  Nasenchoanen  die  Mittelohrbelüftung einschränken (3). Desweiteren führt auch eine allergische Rhinitis zu einer Tubendysfunktion (9, 14, 15). Zudem können Infekte der oberen  Atemwege  zu  einer  eingeschränkten  Tubenfunktion  beitragen (9, 18).
Die vorliegende Studie bestätigt erstmals an einer relevanten Stichprobe von Kindern im deutschsprachigen Raum, dass junge Taucher ein erhöhtes Risiko für Barotraumata aufweisen können. Bei Druckausgleichsproblemen scheint auch bei Kindern die Applikation von Nasenspray vor Tauchgangsbeginn offensichtlich nicht geeignet, um Barotraumata im HNO-Bereich sicher zu verhindern. Die Applikation von Nasenspray vor Tauchgangsbeginn kann zwar temporär  Nasenatmung  und  Druckausgleich  verbessern,  allerdings  kann  der  abschwellende  Effekt  während  des  Tauchganges nachlassen und die nachfolgende reaktive Hyperämie eine Schwellung der Nasenschleimhaut hervorrufen. In der Folge kann es zu eingeschlossenen  Luftmengen  („trapped  air“)  im  Mittelohr  und den Nebenhöhlen kommen – auch als Umkehrblockade bezeichnet  –  die  beim  Aufstieg  zu  einem  Dekompressions-Barotrauma führen. Eine eingeschränkte Tubenfunktion gilt grundsätzlich (22) genauso wie eine infektiöse oder allergische Rhinitis mit Störung der Mittelohr- oder Nebenhöhlenbelüftung (1) als absolute Kontraindikation für den Tauchsport. Das Tauchen trotz bestehender Druckausgleichsprobleme  ist  somit  als  Verstoß  gegen  geltende Tauchtauglichkeitsempfehlungen zu werten.
Im  Fall  des  beobachteten  schweren  Mittelohrbarotraumas machte das Kind den Tauchlehrer nicht auf die Schmerzen im Ohr aufmerksam und setzte den Tauchgang mehr als 20 Minuten lang fort. Nach Tauchgangsende zeigte dieses Kind ein auffällig gereiztes und  aggressives  Verhalten,  wollte  jedoch  auch  auf  mehrmalige Nachfrage keine Ursache hierfür nennen. Erst mehr als neun Stunden nach Tauchgangsende konnte die Ursache für seine schlechte Stimmung  und  Aggressivität  herausgefunden  werden:  Der  junge Taucher berichtete von starkem Schmerz sowie einer ausgeprägten Hörminderung in einem Ohr. Die Schmerzen seien wohl zu Beginn des Tauchganges bereits aufgetreten und seit dem nicht wieder zurückgegangen.  Eine  unverzüglich  durchgeführte  Otoskopie  zeigte ein  ausgeprägtes  Hämatotympanon.  Nach  nasaler  Applikation von  Xylometazolin  und  oraler  Applikation  von  500mg  Paracetamol  konnte  in  weniger  als  einer  halben  Stunde  vollkommende Beschwerdefreiheit erzielt werden. Eine ausgiebige Untersuchung beim  Hals-Nasen-Ohrenarzt  drei  Tage  später  bestätigte  den  vor Ort erhobenen Befund. Eine Woche nach dem Unfall konnte in der Otoskopie kein Resterguss mehr festgestellt werden. Auch die Audiometrie ergab einen Normalbefund.
Bei diesem Kind lag zudem ein Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS) vor. ADHS kann mit einer Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne und einer erhöhten Impulsivität einhergehen (2). Eine erhöhte Impulsivität kann zu Panikreaktionen beitragen,  die  bekanntermaßen  für  Tauchunfälle  prädisponieren (19). Da beim Tauchen sowohl Aufmerksamkeit als auch Impulskontrolle essentiell sind werden Kinder mit ADHS in Deutschland und Österreich grundsätzlich als nicht tauchtauglich erachtet (1). Bei von ADHS betroffenen Erwachsenen konnte im Fahrsimulator eine schnellere Ermüdung und eine erhöhte Häufigkeit kritischer Verkehrssituationen gezeigt werden (24). Derzeit liegen noch keine Studien vor, die eindeutig eine Erhöhung des Unfallrisikos beim Tauchen mit ADHS zeigen. Allerdings gibt es Hinweise, dass einige Dekompressionsunfälle  bei  Kindern  und  Jugendlichen  auf  unzureichende  Selbst-  und  Gefahreneinschätzung  sowie  mangelnde Selbstkontrolle zurückzuführen waren (25). Desweiteren scheinen Kinder mit Hyperaktivität und reduzierter Aufmerksamkeitsspanne generell besonders gefährdet zu sein, Unfälle (16), insbesondere Verkehrsunfälle (23) zu erleiden. Ein ADHS-bedingt erhöhtes Risiko für schwere Verletzungen (12) und Verkehrsunfälle (27) besteht auch im Erwachsenenalter fort.
Die Behandlung mit Methylphenidat kann die Symptome des Störungsbildes mindern, jedoch gibt es bislang keine Erfahrungen im  Bezug  auf  die  unerwünschten  Arzneimittelwirkungen  unter Überdruck. Da bei Einnahme von Methylphenidat in hohen Dosen schwere Nebenwirkungen (Halluzinationen, Psychosen, Lethargie, Krampfanfälle,  Tachykardien,  Arrhythmien,  Hypertonie  und  Hyperthermie) beschrieben wurden (13) und die Einnahme von Methylphenidat  unter  bestimmten  Umständen  auch  die  Teilnahme am  öffentlichen  Straßenverkehr  verbietet  (17)  ist  auch  bei  guter Symptomkontrolle  unter  medikamentöser  Therapie  keine  Tauchtauglichkeit gegeben (1).
Im hier beschriebenen Fall ist ein Kausalzusammenhang zwischen ADHS und Grad IV Barotrauma des Mittelohres in Erwägung zu ziehen. Möglicherweise haben Reizüberflutung und mangelnde Aufmerksamkeitszuwendung auf den Schmerz dazu geführt, dass der Taucher seinen Begleiter nicht auf die bestehenden Probleme aufmerksam  machte.  Dies  bekräftigt  die  theoretischen  Bedenken im Bezug auf Gerätetauchen bei bestehendem ADHS.
Insgesamt ist zu konstatieren, dass diese Studie Hinweise zu möglichen  Risiken  gibt.  Es  muss  jedoch  angemerkt  werden,  dass die Analyse von Risikofaktoren gewissen Einschränkungen – nicht zuletzt bedingt durch die Stichprobengröße – unterliegt.

Schlussfolgerungen
Unsere Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass junge Taucher (Durchschnittsalter 10,7 Jahre in dieser Studie) ein besonders hohes Risiko für HNO-Zwischen- und Unfälle - insbesondere ein Barotrauma  des  Mittelohres  -  beim  Tauchen  haben.  Daher  ist  eine sorgfältige Untersuchung des Ohres mit besonderem Augenmerk auf  den  Druckausgleich  von  zentraler  Bedeutung  für  eine  adäquate  und  suffiziente  Tauchtauglichkeitsuntersuchung.  Desweiteren  müssen  Tauchausbilder,  Tauchgangs-/Tauchgruppenführer („Guides“)  und  Tauchpartner  („Buddies“)  von  Kindern  geschult werden, dass hohe Abstiegsgeschwindigkeiten zu vermeiden sind. Einen guten Ansatz, um auf die Besonderheiten des Tauchens mit Kindern aufmerksam zu machen liefert das eLearning-Modul der Deutschen  Sporthochschule Köln und das zugehörige Arbeitsbuch (8). Zudem muss das Kind in regelmäßigen Abständen befragt werden, ob Druckausgleichsprobleme vorliegen.
Die  Applikation  von  Nasenspray  vor  Tauchgangsbeginn scheint auch bei Kindern Barotraumata des Ohres nicht sicher zu verhindern.
Die  Ergebnisse  dieser  Studie  weisen  darauf  hin,  dass  Kinder mit ADHS evtl. einem erhöhten Risiko für Unfälle und –Zwischenfälle beim Tauchen ausgesetzt sind. ADHS sollte daher bei Kindern und Jugendlichen als Kontraindikation für den Tauchsport angesehen werden.

Danksagung:
Wir danken allen Kindern und Eltern für die Teilnahme an den Tauchcamps  und  die  Bereitschaft  zur  wissenschaftlichen  Auswertung  der Daten. Des Weiteren danken wir AquaMed für die Bereitstellung der Medical Helpline und kostenlose Versicherung der Kinder im Rahmen der Studie, der Tauchbasis Nautilus, Tauchen in Mainfranken, Tinas Tauchschule und Funny Diving für die Veranstaltung der Tauchcamps bzw. -veranstaltungen und Gestattung der wissenschaftlichen Begleitung sowie Walter Ciscato für die technische Unterstützung.

Interessenskonflikt:
Die Autoren erklären, dass keine Interessenskonflikte bestehen.

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Korrespondenzadresse:
Bernd Winkler
Klinik für Anästhesiologie
Universitätsklinikum Ulm
Steinhövelstr. 9
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E-Mail: bernd.winkler@uniklinik-ulm.de