Onkologie und Sport
ÜBERSICHT
ERHEBUNGSMETHODEN FÜR ONKOLOGISCHE TRAININGSSTUDIEN

Studien zu körperlichem Training bei onkologischen Patienten: Empfehlungen zu den Erhebungsmethoden

Recommendations for Assessment Methods for Exercise Trials with Cancer Patients

* Geteilte Erstautorenschaft

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: In der Versorgung onkologischer Patienten wird körperliches Training zunehmend als wichtige supportive Therapie angesehen. Bisherige Studien haben ein breites Spektrum an Erhebungsmethoden für primäre und sekundäre Endpunkte verwendet. Um die Vergleichbarkeit und Qualität zukünftiger Studien zu verbessern, leitet diese Arbeit unter Berücksichtigung spezifischer Aspekte bei onkologischen Patienten konkrete Empfehlungen ab für die Erhebung der 1) Ausdauerleistungsfähigkeit, 2) Kraftleistungsfähigkeit, 3) koordinativen Leistungsfähigkeit sowie 4) für mittels Fragebögen erfasste Endpunkte. Material und Methoden: Basierend auf umfassenden Literaturrecherchen wurde der Fokus auf die wichtigsten Erhebungsmethoden in der nationalen und internationalen Forschung gelegt. Dabei wurde die Expertise möglichst vieler, in dem Bereich aktiv forschender Standorte in Deutschland einbezogen. Ergebnisse: Es konnten für alle vier Bereiche KonsensusEmpfehlungen erzielt werden. Dabei wurden auch möglicherweise unterschiedliche finanzielle Ressourcen der Forschungseinrichtungen sowie Aspekte der Trainingssteuerung beachtet. Es zeigte sich, dass einige Methoden für onkologische Patienten bereits gut untersucht sind, während andere empirisch noch wenig eingesetzt wurden. Zur Gewährleistung der Sicherheit der Methoden im onkologischen Setting wurden Kontraindikationen aufgezeigt. Diskussion: Eine stärkere Vereinheitlichung der Erhebungsmethoden in onkologischen Forschungsprojekten fördert die Studienqualität, hilft neuen Arbeitsgruppen sich gemäß aktueller Standards zu etablieren, und ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit und gemeinsame Bewertung der Ergebnisse. Zudem fördern die Empfehlungen eine Verbesserung der noch wenig erforschten Trainingssteuerung in der Onkologie. Somit tragen sie zu einer effizienteren Patientenversorgung bei, die das große Potenzial von Bewegung als supportive Therapie für onkologische Patienten noch umfassender ausschöpft.

Schlüsselwörter: Körperliche Leistungsfähigkeit, Kraft, Ausdauer, Koordinative Fähigkeiten, Fragebögen, Onkologie

SUMMARY

Introduction: Physical exercise has increasingly been recognized as important supportive therapy for cancer patients. Scientific studies applied a variety of methods for endpoint assessment. In order to improve comparability between studies, this paper provides recommendations for outcome assessment in the oncological setting. Discussed endpoints are (1) strength, (2) cardiorespiratory fitness, (3) postural control, and, in addition, (4) patient-reported outcomes (PROs). Material/Methods: Based on a comprehensive literature search, the most important assessment methods were focused. Thereby, the relevant expertise of as many German institutions as possible was incorporated. Results: Consensus was achieved for all four areas. The recommendations considered variations in financial resources between institutions. Furthermore, possibilities to derive training prescriptions were discussed where appropriate. Overall, it was observed that some methods were already well established for cancer patients whereas for others empirical knowledge is still limited. Contraindications were defined in order to ensure safety of the recommended methods for cancer patients. Discussion: Better standardization of assessment methods in oncological exercise research projects enhances study quality, helps new research groups to work with high standards, and enables better comparability and overall evaluation of results. In addition, the understudied field of exercise prescription in cancer patients was covered. Overall, the recommendations may contribute to more targeted and effective supportive care for cancer patients.

Key Words: Physical performance, strength, cardiorespiratory fitness, postural control, patient-reported outcomes, oncology

EINLEITUNG

Körperliches Training als supportive Therapie vor, während und nach der Behandlung einer Krebserkrankung wird zunehmend als wichtige Komponente der Versorgung von onkologischen Patienten angesehen (5, 69, 81). Es gibt jedoch noch zahlreiche offene Fragen, die gezielt und ressourcenorientiert in qualitativ hochwertigen wissenschaftlichen Studien zu erforschen sind (33). Bisherige Studien haben ein breites Spektrum an Erhebungsmethoden für primäre und sekundäre Endpunkte verwendet (24, 54). Um die Vergleichbarkeit zukünftiger Ergebnisse zu verbessern, die Durchführung von Meta-Analysen und multizentrischen Studien zu erleichtern und somit auch die nationale und internationale Forschung in dem Bereich weiter zu stärken, liefert diese Arbeit einen Überblick zu den wichtigsten, derzeit verwendeten Instrumenten für die Erfassung verschiedener klinisch relevanter Endpunkte bei Erwachsenen. Unter Berücksichtigung spezifischer Aspekte bei onkologischen Patienten werden konkrete Empfehlungen abgeleitet für die Erhebung der (1) Ausdauerleistungsfähigkeit, (2) Kraftleistungsfähigkeit, (3) koordinativen Leistungsfähigkeit sowie (4) für mittels Fragebögen erfasste Endpunkte (Patient-reported Outcomes, PROs). Auf Schnelligkeit und Flexibilität als weitere Merkmale der Kondition wird wegen ihrer geringeren klinischen Relevanz nicht eingegangen. Um die sichere Durchführung der Methoden in der Praxis zu gewährleisten, werden zudem Kontraindikationen für das onkologische Setting aufgezeigt.

MATERIAL UND METHODEN

Die Arbeit basiert auf umfassenden Literaturrecherchen, stellt jedoch keinen systematischen Review dar. Der Fokus wurde auf die wichtigsten und am häufigsten eingesetzten Erhebungsmethoden in der nationalen und internationalen Forschung gelegt. Dabei wurde die Expertise möglichst vieler, in dem Bereich aktiv forschender Standorte in Deutschland einbezogen, um einen zukunftsfähigen Konsens zu erzielen. Spezifische nationale Aspekte wurden insbesondere für die Erhebung der PROs berücksichtigt, da diese in der Regel in deutscher Sprache erfolgt. Darüber hinaus wurden bei den Empfehlungen die möglicherweise unterschiedlichen finanziellen Ressourcen bzw. apparativen Ausstattungen der Forschungseinrichtungen berücksichtigt, und, wenn möglich, auch Aspekte der Trainingssteuerung einbezogen.

ERGEBNISSE

Empfehlungen zur Erhebung der Ausdauerleistungsfähigkeit
Zur Erfassung der Ausdauerleistungsfähigkeit empfiehlt die Arbeitsgruppe in Übereinstimmung mit der internationalen Literatur eine maximale Fahrrad-Spiroergometrie sitzend (35, 77). Als Testprotokoll wird ein Quasi-Rampenprotokoll vorgeschlagen, das unabhängig von der erwarteten Maximalleistung bei 20 Watt (W) beginnt und um 10 W/Minute gesteigert wird (61). Dieses liegt im Rahmen internationaler Empfehlungen für Patientenpopulationen (4) sowie von Testprotokollen, die bei onkologischen Patienten angewendet wurden (34, 38). Die Trittfrequenz sollte innerhalb einer Person zwischen 60 und 80 Umdrehungen pro Minute (rpm) konstant gehalten werden. Der Test wird unter individuellem Anfeuern bis zur subjektiven Erschöpfung (Absinken der Trittfrequenz um ≥10 rpm über >15 Sekunden) oder dem Auftreten von Abbruchkriterien (siehe (4)) fortgesetzt. Der Abbruchgrund sollte protokolliert werden. Als Messverfahren zur Erhebung wissenschaftlicher Zielgrößen werden kontinuierliche Atemgasmessungen sowie die Abfrage des subjektiven Belastungsempfindens nach Borg (Skala von 6-20 (11)) vorgeschlagen. Tabelle1 gibt einen Überblick über empfehlenswerte Messgrößen. Zur medizinischen Überwachung dienen kontinuierliches EKG-Monitoring, Blutdruckmessungen und Blickdiagnostik. Da Chemotherapien und thorakale Bestrahlung potenziell kardiotoxisch wirken, hat eine kardiologisch orientierte Überwachung besonderen Stellenwert. Ein qualifizierter Arzt muss in Rufnähe sein.
Tabelle 1: Empfohlene Messgrößen bei der Spiroergometrie und Ergometrie zur Beurteilung der Ausdauerleistungsfähigkeit in wissenschaftlichen Studien mit onkologischen Patienten
Steht kein Spiroergometrie-System zur Verfügung, wird zur Ausdauerleistungs-diagnostik eine maximale Fahrradergometrie sitzend nach identischem Belastungsprotokoll mit Herzfrequenzmessungen empfohlen (siehe Tabelle 1). Bei Ergometrien ohne EKG-Überwachung und Blutdruckkontrollen ist eine ärztliche Unbedenklichkeits-bescheinigung notwendig, um Risiken möglichst auszuschließen. Zudem muss die Testperson über den nichtmedizinischen Charakter der Untersuchung aufgeklärt werden.
Weitere häufig genutzte Ausdauertests sind Laufbandergometrien, Physical-Working-Capacity (PWC)-Tests und der 6-Minuten-Gehtest. Laufbandergometrien sind sinnvoll, wenn (z.B. nach einer Prostata-Operation) keine Fahrradergometrie durchgeführt werden kann. Zudem werden sie zur Ableitung von Trainingsempfehlungen (s. u.) für das Walking/Jogging verwendet (62). Zu beachten ist allerdings eine etwas höhere Sturzgefahr. PWC-Tests erscheinen nicht sinnvoll, da sie generell keine valide Aussage über die Ausdauerleistungsfähigkeit ermöglichen und die Herzfrequenz bei onkologischen Patienten häufig durch Medikamente beeinflusst ist. Der 6-Minuten-Gehtest zeigt bei relativ leistungsschwachen onkologischen Patienten ähnlich wie bei anderen Patientenkollektiven eine mittlere bis starke Korrelation mit der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2peak) und eine akzeptable Reliabilität (67). Allerdings ist die einzige erhobene Messgröße, die in 6-Minuten auf einer definierten Strecke zurückgelegte größtmögliche Gehdistanz, motivationsabhängig.
Die genannten Verfahren sind auch zur Ausdauertrainingssteuerung etabliert. So basieren die Trainingsvorgaben in internationalen Studien zumeist auf der VO2peak oder anderen maximalen Messgrößen. Bei onkologischen Patienten ist die Ausdauertrainingssteuerung allerdings bislang kaum systematisch untersucht. Für Gesunde definierte Intensitätsklassifikationen in Prozent von maximalen Messgrößen oder der Herzfrequenz-Reserve (27) scheinen bei onkologischen Patienten unter Therapie etwas verschoben zu sein. Als individuellere Alternative kommen spiroergometrisch (siehe Tabelle 1) oder mittels Laktatdiagnostik bestimmte Schwellen in Betracht (23, 47). Eine Laktatdiagnostik kann behelfsweise mit dem oben beschriebenen Quasi-Rampenprotokoll durchgeführt werden, um auch bei leistungsschwachen Testpersonen eine ausreichende Anzahl an Messwerten zu gewährleisten. Die (semi-) individuelle anaerobe Schwelle nach der „Basislaktat + 1 mmolMethode“ (20) hat sich als gut reproduzierbar erwiesen (52). Als Untergrenze für wirksame Trainingsreize kann die Leistung an der ventilatorischen Schwelle (36, 37) oder dem vergleichbaren Referenzpunkt im Laktatanstieg (lactate threshold nach Wasserman (87)) herangezogen werden. Als Obergrenze für Training nach der Dauermethode ist eine Leistung etwas unterhalb der individuellen anaeroben Schwelle bzw. des (nicht immer eindeutig bestimmbaren) Respiratorischen Kompensationspunkts denkbar, was jedoch bislang nicht in Studien mit onkologischen Patienten angewendet wurde. Für Intervalltraining, das ergänzend zu Training nach der Dauermethode eingesetzt wurde, sind auch deutlich höhere Intensitäten beschrieben (37). Allerdings liegen bislang keine Studien zu reinem hochintensivem Intervalltraining (HIT) vor. Trainingsvorgaben aus der Fahrradergometrie können in Watt oder als Herzfrequenz angegeben werden, wobei bestimmte Therapieformen die Herzfrequenz beeinflussen können und daher mit Schwankungen zu rechnen ist.
Abbildung 1: Empfohlene Verfahren zur Bestimmung der Maximalkraft in wissenschaftlichen Studien. Die seitlichen Formen symbolisieren den präferierten Einsatzbereich der entsprechenden Verfahren.

Empfehlungen zur Erhebung der Kraftleistungsfähigkeit
Zur Erhebung der Kraftleistungsfähigkeit wurden in der Onkologie zahlreiche Endpunkte und Messmethoden eingesetzt. Eine Bewertung der verschiedenen Verfahren findet sich in Abbildung1.
Die stationäre Dynamometrie ermöglicht eine umfassende und objektive Erhebung der isometrischen und/oder dynamischen Maximalkraft (13). Im Rahmen onkologischer Studien wurden isometrische Maximalkrafttests an stationären Dynamometern überwiegend für die Knieextensoren durchgeführt (6, 63). Isokinetische Tests zur Messung der dynamisch-konzentrischen Maximalkraft fanden ebenfalls vorwiegend für die Knieextensoren (45, 84) sowie bei Mammakarzinompatientinnen für die Schulterrotatoren (7, 24, 55) Anwendung. Das maximale Drehmoment als guter Indikator für die Maximalkraft (13) stellt dabei die zentrale Messgröße dar. Als kostengünstige und portable Alternativen zur stationären Dynamometrie bieten sich mobile Dynamometerverfahren an (10, 75). Im onkologischen Setting wurden beispielsweise die HandHeld-Dynamometrie zur isometrischen Maximalkraftmessung verschiedener Muskelgruppen (40, 92) sowie das Hand-Grip-Verfahren zur isometrischen Handkraftmessung (63, 70, 89) eingesetzt. Die stationäre und die mobile Dynamometrie als objektive Messverfahren eignen sich aus Sicht der Arbeitsgruppe besonders zur Evaluation wissenschaftlicher Fragestellungen. Aufgrund der isometrischen bzw. isokinetischen Kontraktionsform sowie der erhobenen Messgrößen sind die dynamometrischen Testverfahren jedoch nur bedingt zur Trainingssteuerung geeignet (Abb. 1).
Testverfahren zur Erhebung des One-Repetition-Maximum (1RM), also der maximalen Last, die während einer definierten konzentrischen Bewegung genau einmal überwunden werden kann, wurden in Interventionsstudien mit Mamma- (68, 89), Prostata- (26, 29), Bronchial- (57) und Kopf-Hals-Karzinompatienten (46) angewendet. In den meisten Studien wurde das 1RM an der Beinpresse sowie beim Bankdrücken bzw. an der Brustpresse ermittelt (26, 29, 57, 68, 89). In einigen Studien kamen zusätzlich weitere Geräte bzw. Übungen für den 1RM-Test zum Einsatz (26, 29, 46, 57). Neben der direkten Bestimmung des 1RM besteht die Möglichkeit, das sog. hypothetische 1RM (h1RM) auf der Grundlage eines Multiple-Repetition-Maximum (z.B. 8RM) anhand von Formeln oder Tabellen zu bestimmen. Für eine solche Berechnung bzw. Schätzung des h1RM wurden in bisherigen Studien in der Onkologie (2, 19) überwiegend die Formeln von Brzycki (14) oder Lander (42) verwendet. Da diese und weitere Formeln bislang jedoch nicht für die Anwendung im onkologischen Setting evaluiert wurden, können diesbezüglich keine Empfehlungen ausgesprochen werden. Generell sind die Testverfahren zur Bestimmung des 1RM bzw. h1RM durch eine gute Praktikabilität gekennzeichnet (geringer Zeitaufwand, keine Messtechnik erforderlich). Darüber hinaus sind sie zur Trainingssteuerung geeignet. Allerdings halten die Autoren die Aussagekraft dieser Verfahren aufgrund großer Lern- und Anpassungsprozesse, einer hohen Ermüdungskomponente im Testverlauf sowie aufgrund fehlender methodischer Standardisierung (13) für eingeschränkt , so dass die Bestimmung des 1RM bzw. h1RM aus Sicht der Arbeitsgruppe nur dann zur wissenschaftlichen Evaluation eingesetzt werden sollte, wenn keine dynamometrischen Methoden zur Verfügung stehen (Abb. 1).
Die Kraftausdauerleistungsfähigkeit wurde in Interventionsstudien im onkologischen Setting vergleichsweise selten erhoben. In den wenigen vorliegenden Studien zeigte sich hinsichtlich des methodischen Vorgehens ein heterogenes Bild: Während der Kraftausdauertest in einer Studie standardmäßig mit einem festgelegten Testgewicht durchgeführt wurde (73), orientierten sich andere Autoren am zuvor ermittelten individuellen 1RM der Patienten (26, 29, 46). Weitere Gruppen berücksichtigten bei der Bestimmung des Testgewichts das Alter und das Körpergewicht des jeweiligen Patienten (30, 70). Basierend auf der derzeitigen Studienlage können hinsichtlich des methodischen Vorgehens keine Empfehlungen ausgesprochen werden, jedoch hält die Arbeitsgruppe die Erfassung von Kraftausdauerparametern aufgrund der Alltagsrelevanz und vor dem Hintergrund spezieller Fragestellungen für angebracht.
Zur Ermittlung der funktionellen Kapazität der unteren Extremitäten wurden in onkologischen Studien verschiedene Variationen von Chair-Rising- (26, 30, 89) und Stair-Climbing-Tests (29, 45) durchgeführt. Der Einsatz derartiger funktioneller Tests wird von der Arbeitsgruppe als sinnvoll erachtet, insbesondere bei älteren Patienten und in Settings, in denen keine anderen Messmethoden zur Verfügung stehen (z.B. Klinik) oder eingesetzt werden dürfen (z.B. Rehabilitationssport).

Empfehlungen zur Erhebung der koordinativen Leistungsfähigkeit
Erkrankungs- und therapiebedingte strukturelle und funktionelle Veränderungen können bei onkologischen Patienten zu einer Dysfunktion des neuromuskulären und posturalen Systems und damit zu Einschränkungen der Alltagsaktivitäten sowie einem erhöhten Sturzrisiko führen (15, 78, 80, 85, 91). Daher rückte in der Onkologie die Analyse der posturalen Kontrolle im Stand und Gang in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen. Sie wurde in mehr als 50 Studien bei unterschiedlichen onkologischen Indikationen mittels apparativer Diagnostik oder klinischen Tests analysiert. Die Studien variieren jedoch hinsichtlich der Methodik, Untersuchungsdurchführung und Parameterwahl.
Die posturale Kontrolle ist eine komplexe motorische Fähigkeit, die auf der Interaktion von multiplen sensorischen Prozessen mit dem motorischen System basiert (32). Die aktive Körperausrichtung in Bezug auf Gravitation, Unterstützungsfläche, visuelle Umgebung und interne Referenzen beruht primär auf der Interpretation konvergenter sensorischer Informationen vom somatosensorischen, visuellen und vestibulären System (51). Die Messung der statischen posturalen Kontrolle erfolgte i.d.R. auf einer am Boden liegenden Kraftmessplatte, welche die Trajektorie des Druckmittelpunktes (center of pressure, CoP) über der Standfläche in medio-lateraler und anterior-posteriorer Richtung erfasst. Die Untersuchungsbedingungen (z.B. Bipedal-, Monopedalstand; Augen offen, geschlossen; stabiler, instabiler Untergrund; Perturbation der Unterstützungsfläche), Untersuchungsdurchführung (Versuchsanzahl, Versuchsdauer, Pausenzeit) und Parameterwahl (Schwankungsfrequenz, -weg, -fläche; Zeit im Monopedalstand) variieren zwischen den Studien (50, 78, 82, 85).
Die dynamische posturale Kontrolle wurde in der Mehrzahl der Studien mittels einer Ganganalyse untersucht, wobei primär die bevorzugte Ganggeschwindigkeit analysiert wurde. Die Gehstrecke variierte zwischen 4,3-20 Metern (15, 39, 44, 50, 90, 91). Eine umfassende Ganganalyse mit der Bestimmung von weiteren räumlich-zeitlichen Gangparametern und deren Variabilität wurde nur selten durchgeführt (65).
Für die Untersuchung der funktionellen Leistungsfähigkeit in Alltagssituationen wurden u.a. folgende klinische Tests verwendet: Timed-up-and-go Test (TUG) (85), Stair-climbing-Test (SCT) (44), Chair-rising-Test (CRT) (25), Berg Balance Scale (83) und Short Physical Performance Battery (SPPB) (15, 17, 44, 90). Einige davon wurden bereits im Abschnitt Kraftleistungsfähigkeit erwähnt. Die Tests überprüfen komplexe Anforderungsprofile von alltagsnahen Bewegungsabläufen (z.B. Stehen, Gehen, Treppensteigen, Aufstehen und Hinsetzen) und erfassen daher Modulationen der Bewegungskoordination, Muskelkraft und Ausdauer. Diese klinischen Funktionalitätstests sind mit einem überschaubaren materiellen, personellen und zeitlichen Aufwand durchführbar und werden deshalb häufig im Kontext von perioperativen Screenings oder als Teiluntersuchung bei einer umfangreichen Erfassung der Leistungsfähigkeit in funktionellen Situationen verwendet.
Die derzeitigen Empfehlungen der Arbeitsgruppe zur Evaluation der statischen und dynamischen posturalen Kontrolle sowie der funktionellen Leistungsfähigkeit bei onkologischen Patienten sind in Tabelle 2 aufgelistet. Ganganalysen für die klinische Anwendung sollten gemäß den Empfehlungen für ältere Erwachsene von Kressig et al. und Hollman et al. erfolgen (31, 41). Für die Durchführung der klinischen Funktionalitätstests TUG, SCT und CRT empfiehlt die Arbeitsgruppe eine Orientierung an den Richtlinien von Bennel et al. (8). Die Auswahl der Testverfahren ist abhängig von der zu untersuchenden Fragestellung sowie der apparativen Ausstattung. Falls vorhanden, ist die objektive, apparative Diagnostik den einfachen klinischen Tests vorzuziehen.
Tabelle 2: Empfehlungen für die Durchführung und Auswertung einzelner Tests der koordinativen Leistungsfähigkeit für wissenschaftliche Untersuchungen mit onkologischen Patienten.

Empfehlungen zur Erhebung von Endpunkten mittels Fragebögen (PROs)
Mit etwa zwei Drittel aller primären Endpunkte in bewegungsbezogenen Interventionsstudien stellen subjektive Parameter wie z.B. Fatigue, Schmerzen und Lebensqualität als PROs die häufigsten Endpunkte dar (33, 54). Die Erfassung von PROs erfolgt i.d.R. als fragebogenbasierte Selbstdokumentation des Patienten, da entsprechende Parameter nicht oder nur eingeschränkt objektiv messbar sind. Das Spektrum an PROs ist vielfältig und umfasst sowohl allgemeine und krankheitsspezifische, physische und psychosoziale Aspekte als auch Aktivitätsstatus und -historie onkologischer Patienten.
Die Arbeitsgruppe konnte in einer strukturierten Zusammenstellung der Fragebögen, die bislang in Deutschland im Kontext Bewegung und Krebs eingesetzt wurden, mehr als 60 krebsspezifische und allgemeine Erhebungsinstrumente identifizieren. Je nach Ausdifferenzierung, Item-Anzahl und Zielstellung liefern die Fragebögen entweder allgemeine und übergreifende oder sehr differenzierte und spezifische Informationen. Die Instrumente lassen sich unterschiedlichen Bereichen (Lebensqualität, Fatigue, physische Aspekte, psychosoziale Aspekte, körperliche Aktivität) zuordnen. Während sich für manche Bereiche, wie z.B. die Lebensqualität, bestimmte krebsspezifische und für mehrere Sprachen validierte Fragebögen zunehmend durchsetzen, finden in anderen Bereichen häufig allgemeine Instrumente oder EigenkonstruktionenVerwendung.
Eine standardisierte Erfassung verschiedener Domänen der Lebensqualität ermöglicht bspw. der Quality of Life Questionnaire (1) der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC QLQ-C30) inklusive optional verwendbarer entitätsspezifischer Module. Publizierte Referenzwerte für gesunde Personen und onkologische Patienten (18, 72) bieten zudem Möglichkeiten zur Bewertung der Resultate.
Für die Fatigue-Symptomatik können numerische RatingSkalen eine anwendungsorientierte Option für ein Screening oder die Erfassung der allgemeinen Fatigue darstellen (49). Multidimensionale Fragebögen, wie z.B. der Multidimensional Fatigue Inventory (MFI) (74) oder der speziell in Deutsch entwickelte Fatigue Assessment Questionnaire (FAQ) (9, 28), ermöglichen demgegenüber die differenzierte Berücksichtigung der unterschiedlichen Dimensionen von Fatigue auf physischer, emotionaler und kognitiver Ebene. Die von der Arbeitsgruppe als empfehlenswert eingestuften Fragebögen zur Fatigue-Erhebung sowie ausgewählte methodische Aspekte sind in Tabelle 3 dargestellt. Ein neuer, noch nicht vollständig validierter Fatigue-Fragebogen der EORTC wurde als aussichtsreiches zukünftiges Instrument bereits mit aufgenommen. Für die anderen hier erwähnten PROs wurden vergleichbare Übersichten erstellt, die auf Anfrage gerne zur Verfügung gestellt werden.
Die Erfassung psychosozialer Aspekte beruht vorwiegend auf allgemeinen Instrumenten. Erste Vergleichsdaten aus nationalen Interventionsstudien mit Krebspatienten liegen für spezifische Fragebögen in folgenden Domänen vor: Kontrollüberzeugung, Demoralisation, Stimmung, Depressivität, Ängstlichkeit, psychosoziale Belastung, soziale Unterstützung und Barrieren.
Die Instrumente hinsichtlich physischer Aspekte, überwiegend allgemeine Fragebögen oder Eigenkonstruktionen, beziehen sich u.a. auf die körperliche Leistungs-/Funktionsfähigkeit, Schmerz und spezifische Symptomatiken wie z.B. periphere Polyneuropathien. Neben visuellen Analog- und numerischen Ratingskalen (48) findet zur Erfassung von Schmerzen z.B. das Brief Pain Inventory (BPI) (58) Anwendung. Die Dokumentation der peripheren Polyneuropathie als PRO ist bspw. mittels des krebsspezifischen und validierten Instrumentes Functional Assessment of Cancer Therapy/Gynecologic Oncology Group-Neurotoxicity (FACT-GOGNTX) (16) möglich.
Tabelle 3: Empfehlenswerte Fragebögen zur Fatigue-Erhebung in wissenschaftlichen Untersuchungen mit onkologischen Patienten. n=Stichprobengröße.
Im Rahmen der fragebogenbasierten Dokumentation körperlicher und sportlicher Aktivitäten sollten die Häufigkeit, Intensität und Dauer der Aktivitäten in den verschiedenen Domänen (inkl. Arbeit, Transport, Haushalt und Freizeit) Berücksichtigung finden. Dies ist von Relevanz, um differenzierte Informationen hinsichtlich Aktivitäts- und Trainingscharakteristika sowie -adhärenz zu gewinnen. Für eine strukturierte Selbstdokumentation des Anstrengungsempfindens bzw. der Trainingsintensität kann z.B. die Borg-Skala (11) eine Orientierung bieten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die fragebogenbasierte Erhebung des Aktivitätsverhaltens oftmals Ungenauigkeiten beinhaltet (3, 56). Messverfahren wie z.B. Akzelerometer können objektive Informationen zum aktuellen Aktivitätsverhalten liefern, sind jedoch selber mit Messfehlern und praktischen Limitationen behaftet (12).
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Auswahl eines geeigneten Instruments von der konkreten Studiensituation abhängt. Die Arbeitsgruppe empfiehlt, eine Evaluation der Lebensqualität mittels EORTC QLQ-C30, ggf. ergänzt durch die entitätsspezifischen EORTC Module, als zentralen Parameter im onkologischen Patientenmanagement in allen wissenschaftlichen Untersuchungen zu berücksichtigen und bedarfsorientiert mit weiteren Instrumenten zu ergänzen. Die Selektion sollte u.a. die Fragestellung, die angestrebte Präzision der Aussage (übergreifende, grobe Kategorisierung vs. differenzierte Erhebung), die Zielgruppe und die Gütekriterien (Reliabilität und Validität) sowie die Existenz von Vergleichs- oder Referenzwerten für die Zielpopulation berücksichtigen.
Tabelle 4: Zusätzliche Kontraindikationen für Belastungsuntersuchungen speziell bei onkologischen Patienten (in Anlehnung an (5, 69)) .

Empfehlungen zur Gewährleistung der Sicherheit, zu Testintervallen und Standardisierung der Testverfahren
Für die dargestellten Kraft-, Ausdauer- und Koordinationstests gelten die üblichen Kontraindikationen und Abbruchkriterien (4, 21, 79). Speziell für onkologische Patienten wurden zusätzliche Kontraindikationen für körperliches Training formuliert (5, 69), von denen die in Tabelle 4 zusammengefassten auf Belastungsuntersuchungen übertragbar erscheinen und daher generell ergänzend empfohlen werden. Zudem sollte im Einzelfall beurteilt werden, ob weitere Risiken bei der Durchführung von Belastungsuntersuchungen bestehen (z.B. Hirndruckgefahr bei Hirntumorpatienten). Diese bedingten Kontraindikationen können hier nicht vollständig aufgeführt werden. In der Regel sollte der behandelnde bzw. studienbetreuende Arzt die Entscheidung zur Durchführung von Belastungsuntersuchungen übernehmen (4, 21, 79).
Der Zeitpunkt des Eingangstests und die Testintervalle sollten sich neben den zu erwartenden Trainingseffekten ggf. auch an der onkologischen Therapie orientieren. Übliche Testintervalle von z. B. drei Monaten können modifiziert werden, um relevante Zeitpunkte im Behandlungsverlauf abzubilden.
Wie bei wissenschaftlichen Fragestellungen üblich, sollten alle Erhebungen standardisiert und von geschultem Personal durchgeführt werden. Hierzu gehören u.a. konsistente Einführungen, Anweisungen und Studienprotokolle. Bei den Belastungsuntersuchungen ist zudem auf sorgfältig kalibrierte Testgeräte und ggf. eine angemessene Aufwärmung zu achten (4, 21, 79).

DISKUSSION UND SCHLUSSFOLGERUNGEN

Es wurden praxisorientierte Empfehlungen zur Erhebung wesentlicher Endpunkte für wissenschaftliche Studien im Bereich Sport- und Bewegungstherapie für onkologische Patienten präsentiert. Dabei zeigte sich, dass einige Methoden auch für dieses Patientenkollektiv bereits gut untersucht sind. Andere erwiesen sich als weniger empirisch überprüft, sodass die Empfehlungen sich derzeit noch an vergleichbaren Kollektiven orientieren müssen. Eine stärkere Vereinheitlichung der Erhebungsmethoden in nationalen und internationalen Forschungsprojekten im Bereich der onkologischen Bewegungstherapie fördert die Studienqualität, hilft neuen Arbeitsgruppen des noch recht jungen Forschungsfeldes, sich gemäß aktueller Standards zu etablieren, und ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit und gemeinsame Bewertung der Ergebnisse. Für einzelne Bereiche, wie z.B. die Ausdauerleistungsfähigkeit, ist die Erstellung einer deutschlandweiten Datenbank auf der Basis der hier entwickelten Bewertungen geplant. Zudem fördern die Empfehlungen die Verbesserung der noch wenig erforschten Trainingssteuerung im Bereich der onkologischen Therapie. Somit tragen sie zu einer gezielteren und besseren Patientenversorgung bei, die das große Potenzial von Bewegung als supportive Therapie für onkologische Patienten noch umfassender ausschöpfen kann.

Danksagung
Diese Arbeit ist aus einer Initiative der Arbeitsgruppe Körperliche Aktivität und Krebs (Leitung: Karen Steindorf, Heidelberg) als Teil der AG Prävention und Integrative Onkologie (PRIO) der Deutschen Krebsgesellschaft e.V. hervorgegangen. Die Gesamtkoordination des Projekts lag bei der Arbeitsgruppen-Leitung. Die einzelnen Abschnitte wurden wie folgt koordiniert (K) und verfasst:

  • Ausdauerleistungsfähigkeit: Friederike Scharhag-Rosenberger (K), Anika Berling, Andreas Bernardi, Matthias Limbach, Kai Röcker und Thorsten Schmidt
  • Kraftleistungsfähigkeit: Tim Becker (K), Katrin Gutekunst, Thorsten Schmidt, Anja Wehrle, Joachim Wiskemann und Philipp Zimmer
  • Koordinative Leistungsfähigkeiten: Fiona Streckmann (K), Tobias Engeroff, Sarah Kneis, Anett Mau-Möller und Tino Stöckel
  • Patient-reported Outcomes: Katharina Schmidt (K), Anne-Kathrin Exner, Dirk Hofmeister, Wiebke Jensen, Heike Kähnert, Martina Schmidt, Karen Steindorf und Eva Zopf


Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: keine.

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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Karen Steindorf
AG Bewegung und Krebs
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFS)
Im Neuenheimer Feld 460
69120 Heidelberg
E-Mail: k.steindorf@dkfz.de