Gibt es geschlechtsspezifische Verletzungsmuster beim Sportklettern?
Do Exist Sex Differences in Injury Rate in Sport Climbing?
ZUSAMMENFASSUNG
Das Sportklettern entwickelte sich vom Szenesport zum verbreiteten Freizeit- und internationalen Wettkampfsport mit steigendem Frauenanteil. Diese Studie untersuchte Freizeitkletterer hinsichtlich eines Geschlechterunterschieds bei akuten Verletzungen und Überlastungsschäden. Mittels eines retrospektiven Online-Fragebogens erfolgte zwischen März 2009 und März 2010 die Erfassung der Klettergewohnheiten sowie der Verletzungen des letzten Jahres als Abfrage der häufigsten typischen Kletterverletzungen. Von den 540 Teilnehmern waren 66 % männlich mit einem Durchschnittsalter von 32±10 Jahren (Frauen 31±9 Jahre). Die Männer zeigten eine signifikant längere Klettererfahrung von 10±8 Jahren (Frauen 9±6 Jahre) und höhere Routen- Schwierigkeitsgrade nach UIAA-Skala von 7,1±1,4 im Vorstieg (Frauen 6,4±1,3) und hatten mit 80% einen größeren Vorsteiger-Anteil (Frauen 55%). Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in den Verletzungsraten pro 1000 Kletterstunden zwischen 2,11 bei den Männern (498 Verletzungen) und 2,04 bei den Frauen (213 Verletzungen). Bezogen auf die verletzten Körperteile zeigten Frauen eine signifikant (p=0,0006) häufigere Beteiligung der unteren Extremität. Männer berichteten häufiger von Kapselzerrungen der Fingergelenke (p=0,02) und Überlastungsbeschwerden am Ellenbogen (p=0,02). Diese Studie zeigte keine signifikanten geschlechtsspezifischen Verletzungsraten im Klettersport unter Berücksichtigung der beobachteten geschlechtsspezifischen Klettergewohnheiten. Die sportmedizinische Betreuung könnte bezogen auf Verletzungen geschlechtsunabhängig erfolgen.
Schlüsselwörter: Hallenklettern, Verletzungen, Überlastungsbeschwerden, Geschlechterunterschiede
SUMMARY
In the last decades sport climbing developed into a popular recreational and international competitive sport with an increasingly proportion of sportswomen. The aim of this study was to examine the sex differences in the injury rate of recreational climbers. A retrospective online survey collected information about climbing habits, traumatic and overuse injuries of the last year as a query of the most typical climbing injuries between March 2009 and March 2010. About 66% of the 540 participants were male with a mean age of 32±10 years (women 31±9 years). Significantly higher was the mean climbing experience of the male participants with 10±8 years (women 9±6 years) and the average route difficulty (UIAA scale) of 7.1±1.4 (women 6.4±1.3). 80% of the males climbed mainly on lead (women 55%). We found no significant differences between men (2.11) and women (2.04) in injury rate per 1000 hours of sport climbing. In relation to body parts female athletes had significantly more injuries of the lower limb (p=0.0006). Males showed significantly higher rates for epicondylitis (p=0.02) and capsular injuries of the fingers joint (p=0.02). There was no significant sex specific difference for injury rates within sport climbing considering the differences in sex specific climbing habits. The medical attendance of sportsman and sportswoman could be carried out sex unspecific.
Key Words: rock climbing, sport climbing, injuries, overuse, sex differences
EINLEITUNG UND PROBLEM
Entwicklung des Sportkletterns
Das Sportklettern entwickelte sich in den letzten Jahrzehnten vom Szenesport zum anerkannten und verbreiteten Freizeit- und internationalen Wettkampfsport (2, 19, 27, 34, 36). Im Jahr 2008 wurde von über 500000 aktiven Sportlern in Deutschland ausgegangen (29). Das Sportklettern entstand aus dem Training für das Bergsteigen in den Alpen. Durch die Verbesserung des (Sicherungs-) Materials und die mit Bohrhaken gut abgesicherten Kletterrouten formte sich eine Sportart mit eigenen Regeln, der das Risikoelement des Bergsteigens und des traditionellen Felskletterns weitgehend genommen war (19). Die niedrigeren psychischen Belastungen durch die meist harmlosen Stürze ins Sicherungsseil (32) ließ die Schwierigkeiten der Kletterrouten enorm ansteigen. Die Bewältigung der hohen Belastungen, besonders der Hände, durch das Klettern an der physischen, technischen und taktischen Grenze (25) wurde nur durch intensiviertes witterungsunabhängiges Training in neu entstandenen Kletterhallen oder wohnortnahen Klettergärten möglich. Aus dem Hallenklettern entwickelte sich der Wettkampfsport mit immer jünger werdenden Spitzenathleten und -athletinnen (5). Das Sportklettern gilt als ganzheitliches Training und wird in abgewandelter Form zur Therapie von Krankheiten eingesetzt (8, 18).
Profil Sportklettern
Das Sportklettern fordert eine gemischt aerob-anaerobe Kraftausdauer der oberen Extremität mit kurzen Maximalkraftbelastungen der Finger sowie eine hohe Rumpfstabilität (19). Die etwa 10 bis 30 Meter langen Routen im Fels oder an künstlichen Kletterwänden werden ohne die Hilfe künstlicher Fortbewegungsmittel und ohne Unterbrechung von unten nach oben geklettert („Rotpunkt“) und sind mit festen Zwischensicherungen alle 2-5 Meter ausgestattet, in die das Sicherungsseil eingehängt wird (16). Zur Kletterausrüstung gehören der Hüftgurt, ein 60 Meter-Seil, ein Sicherungsgerät, spezielle enge Kletterschuhe, Karabiner und Bandschlingen sowie beim Outdoorklettern verschiedene Klemmgeräte für zusätzliche Zwischensicherungen und ein Helm. Das Sportklettern kann als Vorstieg (das Seil wird beim Klettern in die Sicherungen eingehängt) oder als Toprope-Klettern (das Sicherungsseil läuft durch eine Sicherung am Ende der Route, so dass der Kletterer immer von „oben“ gesichert wird, wie beim Nachstieg) betrieben werden. Die Kletterzeiten pro Route betragen etwa 2-7 Minuten (40). Die durch die Routencharakteristiken geforderten Klettertechniken stellen an den Athleten verschiedenste physische und mentale Anforderungen.
Athletenprofil
Trotz der körperlichen Unterschiede erreichen Frauen nahezu die gleichen Schwierigkeitsgrade beim Klettern wie die Männer. Spitzenathleten und -athletinnen zeigten sich als eher schmächtig im Körperbau mit einem geringeren Körperfettanteil und einem erhöhten Quotienten aus Fingerkraft durch Körpergewicht (13, 42). Watts et al. (41) wiesen auf einen häufiger beobachteten geringen BMI bei jungen weiblichen Athletinnen hin und interpretierten diesen als Teil einer „Female Athlete Triad“ mit leistungssteigerndem Vorteil. Als leistungsbestimmende Faktoren beschrieben Grant et al. (15) für Männer eine hohe Schultergürtel- und Fingerkraft sowie eine gute Beweglichkeit in den Hüften. In einer Folgestudie mit weiblichen Athletinnen war bei größerer Beweglichkeit nur die höhere Fingerkraft leistungsbestimmend (14). In Bezug auf die allgemeine sportliche Leistungsfähigkeit konnte ein Einfluss des Menstruationszyklus nicht gezeigt werden (11).
Frauenanteil
Dieser wächst (39), da das Sportklettern als spielformenreicher Individualsport für Frauen unter anderem durch ihre höhere Beweglichkeit und ihr geringeres Gewicht attraktiv ist. In Studien wurden ansteigende Zahlen von 11-13% (1,12) auf 19-30% (2, 25) und beim Hallenklettern von 20-36% (28, 30, 38) beobachtet. Backe et al. (2) beschrieben mit 13,1% für die männlichen Junioren und 12,5% für die weiblichen Junioren annähernd gleichgroße Gruppen im Schwedischen Kletterclub für das Jahr 2005.
Sportartspezifische Verletzungen
75-90% der Verletzungen sind Überlastungsbeschwerden (2, 7, 26, 27). Die obere Extremität ist zu 58-67% betroffen, besonders die Finger und deren Beugemuskulatur (12, 37). Es wurden sportartspezifische Verletzungen beschrieben wie der „Climber’s finger“ (geschlossene traumatische Ringbandruptur der Fingerbeuger) (7) und das „Lumbrical Shift-Syndrom“ (Muskelfaserriss der Lumbricalmuskulatur) (37) sowie häufige Verletzungen wie der „Climber‘s elbow“ (Epicondylitis) (6) und der „Climber‘s back“ (Fehlhaltungen durch muskuläre Dysbalancen) (10). Die bisherigen Studien zu Verletzungen beim Sportklettern untersuchten überwiegend Männer und Leistungskletterer (3, 6, 7, 12, 17, 20, 22) oder Kletterhallen (21, 30).
Geschlechtsunterschiede in den Verletzungsmustern
In einigen neueren Studien fielen geschlechtsspezifische Tendenzen bei den Verletzungshäufigkeiten auf, ohne dass diese in den Ergebnissen oder Diskussionen weiter erläutert wurden. Eine retrospektive Online-Fragebogenstudie zu den Häufigkeiten und der Schwere akuter Sportkletterverletzungen (25) mit 1962 Datensätzen und einem Frauenanteil von 19% beschrieb einen mit 56,6% höheren Anteil an Bandverletzungen der Füße bei den Frauen (p=0,02; Männer 30,4%). Männer wiesen mit 54,9% höhere Anteile bei Bandverletzungen der Finger (p=0,013; Frauen 24,5%), der Sehnenverletzungen der Finger (51,6% versus 30,0%), der Rückenprellungen (22,2% versus 12,5%) und der Frakturen der Füße auf (52,9% versus 30,0%). Die Verletzungsrate pro 1000 Kletterstunden betrug 0,19 für Männer und 0,23 für Frauen. Die Verletzungshäufigkeit korrelierte mit der Routenschwierigkeit und der Kletterhäufigkeit. Für chronische kletterbedingte Verletzungen (9) zeigte eine Untersuchung, mit einem Frauenanteil von 16%, höhere Verletzungsraten der Frauen für die Schulter (p=0,078) und die Knöchel (p=0,085). Männer hatten einen höheren Anteil an Ellenbogenverletzungen (p=0,052). Eine repräsentative Umfrage an 606 Mitgliedern des Schwedischen Kletterclubs (2) zu den Verletzungshäufigkeiten und Risikofaktoren bei Freizeitkletterern zeigte sich eine Rate von 4,2 Verletzungen pro 1000 Kletterstunden bei einem Anteil von 93% Überlastungsbeschwerden. Die Frauen machten einen Anteil von 30% aus und hatten eine signifikant geringere Wiederverletzungsrate. Zur Beurteilung der in Notaufnahmen versorgten Kletterverletzungen in den Vereinigten Staaten von Amerika (24) wurden die Daten zwischen 1990 und 2007 ausgewertet. Aus 40282 Patienten konnten 846 Kletterverletzungen ausgewählt werden (meist traditionelles Felsklettern). 30% der Verletzten waren weiblich. Die Frauen hatten bei den Verletzungsarten signifikant weniger Frakturen (Odds ratio 0,65; 95%-CI 0,46-0,92) aber mehr Verstauchungen und Zerrungen (Odds ratio 1,68; 95%-CI 1,13-2,51). In Bezug auf die verletzten Körperregionen nach UIAAScore gab es keine Unterschiede.
Ziel der Studie
Aufgrund anatomischer und physiologischer Unterschiede zwischen Männern und Frauen können durch geschlechtsspezifische Kletter- sowie Sicherungstechniken und Klettergewohnheiten unterschiedliche Belastungen und Verletzungsmuster angenommen werden. Um eine gezieltere sportmedizinische Beratung im Sportklettern zu ermöglichen, war das Ziel der Studie, Freizeitkletterer auf einen Geschlechterunterschied bei Verletzungen und Überlastungsschäden hin zu untersuchen.
MATERIAL UND METHODE
Datenerhebung
Die Datenerhebung erfolgte retrospektiv mittels einer internetgestützten Befragung über den Zeitraum von März 2009 bis März 2010. Das Webprojekt war in PHP programmiert und speicherte die Daten anonymisiert in eine MySQL-Datenbank auf dem Webserver.
Verbreitet wurde der Aufruf zur Teilnahme durch Links auf verschiedenen deutschen Kletter-Webseiten und Mails an alle Sektionen des Deutschen Alpenvereins sowie die zentralen Stellen des Österreichischen und des Schweizer Alpin Clubs (vergleiche (2) und (25)). Dadurch sollte eine Stichprobe von Freizeitkletterern entstehen. Einschlusskriterien waren ein Alter über 16 Jahre, eine aktive selbstverantwortliche Ausübung des Sportkletterns im letzten Jahr als Hauptsportart sowie Einwilligung in die Einverständniserklärung.
Fragebogen
Es wurden neben den demographischen Daten die Bereiche Dauer, Zusammensetzung und Intensität der Sportausübung (Kletterhäufigkeit pro Monat, durchschnittliche Kletterzeit pro Termin, maximale Routenschwierigkeit), Trainingszusammensetzung, Vorerkrankungen sowie Verletzungen vor Kletterbeginn sowie die Verletzungen des letzten Jahres, welche beim Klettern passierten, und deren Behandlungsfolgen erhoben. Als Verletzungen zählten sowohl akute Verletzungen als auch Überlastungsbeschwerden. Diese mussten nur im Zusammenhang mit der Sportausübung in Sinne des gesamten Klettertages mit Zustieg, Klettern, Sichern, Pausen und Abstieg oder des Trainings stehen. Die 28 häufigsten bekannten akuten Verletzungen und Überlastungsschäden beim Sportklettern wurden direkt als Diagnose abgefragt. Es bestand darüber hinaus die Möglichkeit, weitere Verletzungen anzugeben. Dadurch sollte eine Erinnerungsverzerrung („Recall bias“) vermieden werden im Sinne einer Unterrepräsentation vergessener oder aufgrund der geringen Verletzungsschwere als unwichtig betrachteter Beschwerden. Nur etwa 1/3 der Kletterverletzungen werden medizinisch versorgt (12). 18% der Verletzungen werden durch Krankengymnasten und 11% durch Ärzte behandelt (17).
Mit den einzelnen angegebenen Verletzungen wurden die Verletzungshäufigkeiten einzelner Körperteile sowie die Verletzungshäufigkeit pro 1000 Stunden Sportausübung berechnet. Die maximalen Routenschwierigkeiten (in der Rotpunkt-Bewertung) wurden metrisch und wie die Verletzungshäufigkeiten nach den Empfehlungen der medizinischen Kommission der "International Mountaineering and Climbing Federation" (UIAA) (33) für den Vorstieg und Nachstieg bzw. Toprope zum Untersuchungszeitpunkt erfasst.
Datenauswertung
Die Datenaufbereitung sowie die statistische Auswertung erfolgten mit Microsoft Excel® 2007 und PSPP 0.7.9. Bei der Plausibilitätsprüfung auffällige Werte wurden gelöscht. Die unvollständigen Datensätze wurden belassen. In den Tabellen erfolgte jeweils die Angabe der berücksichtigten Datensatzanzahl. Die Testung auf Unterschiede erfolgte mit dem Chi-Quadrat-Test und dem Student’s T-Test für normalverteilte Variablen. Zu signifikanten Werten wurden Odds ratios und als Effektstärken Phi-Koeffizient oder Cohen’s d berechnet. Eine 5%ige Irrtumswahrscheinlichkeit wurde als signifikant angesehen, eine 1%ige als hochsignifikant.
ERGEBNISSE
Demographie und Klettergewohnheiten
Insgesamt gingen 540 Fragebögen in die Auswertung ein. Die Altersgrenzen der Teilnehmer waren 12 und 61 Jahre. Die Männer hatten einen Anteil von 66,7%, ein Durchschnittsalter von 32,3±10,3 Jahren (Frauen 31,1±8,5 Jahre) sowie eine Klettererfahrung von 9,7±7,5 Jahren (Frauen 8,9±6,1 Jahre). Der durchschnittliche BMI der Männer betrug 22,7±2,1 kg/m² (Frauen 20,9±2,0 kg/m²) und die durchschnittliche maximale Kletterschwierigkeit zum Untersuchungszeitpunkt auf der UIAA-Skala im Vorstieg 7,1 (Bereich 4 bis 11) sowie 7,5 (Bereich 4+ bis 11) im Nachstieg oder Toprope (Frauen: Vorstieg 6,4 (Bereich 4 bis 10-); Nachstieg/Toprope 7,0 (Bereich 4 bis 11-)) (Tab. 1). Von den Männern kletterten hauptsächlich im Vorstieg 80,3%, von den Frauen 54,7% (p<0,005). Männer betrieben zu 51% Sportklettern und zu 18% Hallenklettern. Bei den Frauen betrugen beide Anteile jeweils 36%. Frauen wiesen einen signifikant höheren Anteil von 8% an „Untergewichtigen“ (Body-MassIndex <18,5 kg/m²) auf als die Männer mit 3,1% (p<0,012). Die „Übergewichtigen“ (BMI >25) waren bei den Männern signifikant häufiger mit 12,6% im Vergleich zu 2,9% (p<0,0013).
Bei der Kletterleistung der Teilnehmer, eingeteilt in Klassen nach Graydon (16), zeigte sich im Vergleich zu anderen Studien (1, 2, 12) mit 17,5% ein deutlich höherer Anteil von „Experten“ (UIAA-Skala >8). Die „Anfänger“ (UIAA-Skala <5) machten 7,1%, die „Fortgeschrittenen“ (UIAA-Skala 5 bis 6) 23,7% und die „Könner“ (UIAA-Skala 6+ bis 8) 51,7% aus. Die Frauen hatten größere Anteile von „Anfängerinnen“ (11,6% versus 5,0%) und „Fortgeschrittenen“ (31,3% versus 20,0%) und kleinere bei den „Könnern“ (45,4% versus 54,7%) und „Experten“ (11,7% versus 20,3%) im Vergleich zu den Männern (nicht signifikant).
Verletzungen
Der Anteil der Männer, die mindestens eine Verletzung im letzten Jahr erlitten hatten, betrug 65,7% (Frauen 60,9%) (Tab. 2). Insgesamt wurden 711 Verletzungen angegeben, davon 67% von den Männern und 33% von den Frauen. Es ergab sich eine Verletzungsrate pro 1000 Stunden Klettern von 2,11 bei den Männern und 2,04 bei den Frauen (nicht signifikant). Im Chi-Quadrat-Test ergab sich bezüglich des Einflusses des Geschlechts auf die Verletzungsanzahl ein Wert von Chi²=1,45 (p=0,23).
Die am häufigsten angegebenen Verletzungen waren die Epicondylitis des Ellenbogens mit insgesamt 11,1%, die Ringbandverletzungen der Finger mit 9,6%, die Kapselzerrungen der Finger mit 8,9% und das Impingement der Schulter mit 8,7%. Danach folgten die Zehenprobleme mit 6,5%, die Tenovaginitiden mit 4,8%, die Außenbandverletzungen des oberen Sprunggelenkes mit 5,6%, das Lumbrical-Shift-Syndrom mit 3,9% und die Meniskusprobleme mit 3,2%.
Ein signifikanter Unterschied mit einer vermehrten Verletzungshäufigkeit der Männer zeigte sich nur bei den Kapselverletzungen der Finger (p=0,02; Odds ratio (95%-CI) 2,05 (1,08-3,89)) und den Epicondylopathien (p=0,02; Odds ratio 1,98 (1,12-3,49)). Ohne signifikanten Unterschied zeigten sich tendenziell höhere Verletzungsraten der Sprunggelenke (p=0,22) und der Schultergelenke (p=0,32) bei den Frauen.
Als Körperregion war die obere Extremität der Männern zu 74,5% betroffen (Frauen 66,7%; nicht signifikant) und die untere Extremität zu 20,1% (Frauen 26,3 %; p=0,0006) (Abb. 1). Die Kopf- und Rumpfverletzungen hatten bei den Männern einen Anteil von 5,4%, bei den Frauen 8,0%. Die Finger machten den größten Anteil bei den Körperregionen aus mit 38,4% bei den Männern und 32,4% bei den Frauen, gefolgt von den Armen (Schultern bis Handgelenke) mit 30,7% bei den Männern und 26,8% bei den Frauen. Als nächstes waren die Füße mit 14,7% bei den Männern und 17,4% bei den Frauen betroffen.
DISKUSSION
Kollektivzusammensetzung
Im Vergleich zu anderen Studien (1, 12) fanden wir ein ähnliches Durchschnittsalter und eine ähnliche Klettererfahrung. Unsere Studie zeigte aber einen deutlich höheren Frauenanteil, der eher der Statistik des Deutschen Alpenvereins (DAV) des Jahres 2004 entsprach. So konnte von einer vergleichbaren Kollektivzusammensetzung in Bezug auf Freizeitkletterer mit einem wachsenden Frauenanteil ausgegangen werden. Der geringe BMI und der hohe Anteil von 8% (p<0,012 im Vergleich zu den Männern) der Frauen mit einem BMI unter 18,5 kg/m² spiegelten vermutlich die Körperkomposition weiblicher Spitzenkletterer wieder. In der Leistungsklasse der „Experten“ nach Graydon (16) (UIAA-Skala >8) wiesen die Frauen einen signifikant größeren Anteil dieser BMI-Klasse auf als die Männer (p=0,03), vermutlich als Teil einer „Female Athlete Triad“.
Geschlechtsspezifische Verletzungen
Um von einem Zusammenhang zwischen dem Geschlecht und der Verletzungsrate sprechen zu können, hätte der Chi²-Wert größer als 3,84 sein müssen bei einem Freiheitsgrad und einer Irrtumswahrscheinlichkeit von 5%. Da dies nicht der Fall war, ist von einer Unabhängigkeit der Variablen auszugehen.
Wie in früheren Studien zeigte sich, dass die Fingerverletzungen und die Epicondylopathien des Ellenbogens zu den häufigsten Verletzungen beim Sportklettern gehören (4, 28, 38). Das signifikant höhere Kletterniveau der Männer (p<0,01) sowie der höhere Vorsteiger-Anteil begründen wohl die höheren Raten in unserer Studie. Die Verletzungshäufigkeit von 2,11 pro 1000 Kletterstunden bei den Männern und 2,04 bei den Frauen lag zwischen den Ergebnissen bisheriger Studien. Neuhof et al. (25) fanden eine Verletzungshäufigkeit von 0,19 bei Männern und 0,23 bei Frauen für akute Verletzungen beim Sportklettern.
Schöffl und Winkelmann (36) untersuchten Kletterhallen und errechneten bei 25163 Besuchen eine Verletzungshäufigkeit von 0,079. Für akute Verletzungen beim Sportklettern und Bouldern in Kletterhallen mit einem Schweregrad der Verletzung von mindestens 2 auf der UIAA-MedCom Skala lag die Häufigkeit pro 1000 Sportstunden in einer prospektiven Studie von Schöffl et al. (30) bei 0,02. Nach der Weltmeisterschaft im Sportklettern 2005 in München konnte bei den Spitzenkletterern eine Verletzungshäufigkeit von 3,1 festgestellt werden (31). Unsere Verletzungshäufigkeiten entstanden vermutlich dadurch, dass nicht nur reines Hallenklettern untersucht und die häufigsten akuten und chronischen Verletzungen direkt abgefragt wurden. Dennoch lagen die Zahlen deutlich unter denen bei internationalen Sportkletterwettkämpfen. Backe et al. (2) beschrieben eine höhere Verletzungshäufigkeit von 4,2 pro 1000 Kletterstunden bei schwedischen Freizeitkletterern, wobei 93% der Verletzungen Überlastungsbeschwerden waren und ein hoher Anteil von Kletteranfängern auffiel.
Warum Frauen tendenziell bei niedrigerer durchschnittlicher Vorstiegsschwierigkeit relativ höhere Verletzungsraten aufwiesen als Männer und warum dabei scheinbar die untere Extremität signifikant häufiger betroffen war, kann nicht endgültig beantwortet werden. Eventuell könnte es an einer spezifischen Klettertechnik mit höherer Belastung der unteren Extremität bei größerer Flexibilität liegen. Ebenso wäre eine höhere Verletzungsrate durch „härtere“ Stürze als Vorsteigerin oder beim Sichern denkbar bei einem schweren Kletterpartner.
Die Frauen verteilten sich gleich auf das Sportklettern und das Hallenklettern und betrieben zu über 50% hauptsächlich den Nachstieg oder das Toprope-Klettern. Bei den Schwierigkeitsgraden nach UIAA kletterten sie im Vorstieg zwar signifikant niedriger, wiesen aber bei den Schwierigkeitsgraden beim Nachstieg/Toprope im Vergleich zum Vorstieg der Männer gleich hohe Werte auf (p=0,79). Da die Frauen eher in der Halle und eher Toprope kletterten, ist eher davon auszugehen, dass sie näher und häufiger an ihrer absoluten Leistungsgrenze kletterten als die Männer und so wahrscheinlich bei geringerer Schultergürtelkraft die höhere Rate an Impingement-Problemen entstand. Geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Verletzungshäufigkeiten zwischen Vorstieg oder Nachstieg bestanden nicht.
Limitierungen der Studie
Kritisch ist anzumerken, dass sich die eigenen Ergebnisse nicht verallgemeinern lassen, da keine repräsentative Stichprobe vorliegt. Durch die Nutzung eines Online-Fragebogens kann es zu einem Auswahlfehler kommen. Über die Personen, die freiwillig oder unfreiwillig nicht teilgenommen oder jene, die verletzungsbedingt mit dem Klettersport aufgehört haben, kann keine Aussage gemacht werden. Zudem handelte es sich um selbst berichtete und nicht überprüfte Daten. Durch die direkte Abfrage von speziellen Verletzungen kann es zu einer Überrepräsentation von Verletzungen und einer verzerrten Prävalenz im Kollektiv kommen.
Die Verletzungsraten wurden auf die maximale Schwierigkeit der Routen bei der Begehung im Rotpunkt-Stil bezogen. Es wurde nicht das spezielle Verletzungsgeschehen betrachtet. Die Verletzungen konnten auch beim Sichern des Kletterpartners oder einer anderen Aktivität aufgetreten sein. Über die genaue Zusammensetzung der Kletteraktivitäten, wie zum Beispiel die Anteile der Kletter- und Sicherungszeiten oder anderer Aktivitäten kann methodenbedingt keine Aussage gemacht werden. Beim Sportklettern können je nach Klettertechnik und Schwierigkeitsgrad sehr unterschiedliche Belastungen auf den Sportler wirken. Angaben zur Verletzungsschwere wurden nicht erhoben.
Bei der Berechnung der Kletterzeit kommt es beim Multiplizieren von durchschnittlichen Angaben in Stunden pro Woche und der Häufigkeit pro Monat immer zu Unsicherheiten. Auch die genaue Schwierigkeit einer Route sagt nichts über das potentielle Risiko einer Verletzung oder die zu erwartende Verletzungsschwere aus und berücksichtigt nicht die psychischen Faktoren und klimatischen Bedingungen, die einen hohen Einfluss auf die „subjektive“ Schwierigkeit haben können (23). Selbst in Kletterhallen sind die Schwierigkeitsbewertungen nicht von Halle zu Halle exakt vergleichbar. Die Anzahl gekletterter Routen einzelner Schwierigkeitsgrade wurden nicht erhoben.
SCHLUSSFOLGERUNG UND AUSBLICK
Aufgrund der eigenen Ergebnisse ist die Verletzungsrate im Sportklettern nicht signifikant vom Geschlecht abhängig. Das deutet darauf hin, dass die sportmedizinische Betreuung bezogen auf Verletzungen geschlechtsunabhängig erfolgen könnte.
Verletzungsbedingte Fingergelenksdistorsionen und überlastungsbedingte Epicondylopathien kamen bei Männern signifikant häufiger vor (p=0,02). Das Verletzungsmuster dürfte durch die signifikant höhere Kletterschwierigkeit und Kletterintensität im Vorstieg bei Männern bedingt sein.
Unter Berücksichtigung der beobachteten geschlechtsspezifischen Klettergewohnheiten muss in weiteren Studien untersucht werden, warum bei Frauen die untere Extremität häufiger betroffen war und ob ein geringer BMI oder das Sichern einen geschlechtsspezifischen Risikofaktor darstellen oder ob intensives Nachstiegsklettern dem Vorstieg gleichzusetzen ist.
Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Der Erstautor ist mit Sachpreisen, die unter den Teilnehmern verlost wurden, von den Firmen Vaude und Globetrotter unterstützt worden
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Jan Drastig
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