46. Deutscher Sportärztekongress in Frankfurt: Sportmedizin - Innovationen und Positionen
46th Congress of German Sports Medicine: Sports Medicine – Innovations and Positions
Zum 46. Mal kann im September ein Deutscher Sportärztekongress erlebt werden – unsere Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin besteht seit über 100 Jahren.
Man sollte meinen, dass nach so langer Zeit beides, Kongress und Sportmedizin, in der Medizin unverrückbar etabliert sind, dass keiner an den Inhalten der Sportmedizin zweifelt. Wir alle wissen, dass dies leider nicht in allen Bereichen zutrifft – und dass wir uns auch nach 100 Jahren und 45 erfolgreichen Kongressen nicht zurücklehnen können, was die Entwicklung und die Werbung für unser Fach angeht. Weder die fachliche noch die gesellschaftliche Ausrichtung der Sportmedizin vermittelt sich von selbst. Die klinischen Fächer der Medizin haben hier einen klaren Startvorteil: niemand zweifelt an der zentralen Bedeutung organbezogener Fachspezialitäten wie der Kardiologie oder der Neurologie in der Behandlung spezieller Erkrankungen.
Die zentralen Positionen der Sportmedizin liegen an anderer Stelle: Wir behandeln kein Organsystem und retten dadurch vielleicht Leben, wir begleiten eine Lebenswelt. Wir Sportmediziner heilen imSport oder durchSport, nicht denSport. Dies impliziert, dass sich die Relevanz unseres Faches auch aus den wechselhaften Rollen und Aufgaben des Sports in Öffentlichkeit, Wirtschaft und Gesellschaft ableitet. Jede Änderung des Sportbegriffs nimmt Einfluss auf die Bedeutung des Fachs Sportmedizin. So vielfältig sich Veränderungen im Sport zeigen, so lebenswichtig ist für die Sportmedizin die schnelle Wahrnehmung und flexible Anpassung an dieses gesellschaftliche Thema – schlicht als Überlebens- oder Durchsetzungsstrategie.
Wenn wir nun zurückblicken, war der letzte große Umbruch im Sport auch ein gesamtgesellschaftlicher: Der Fall der Mauer markiert die Auflösung der politischen Blockstrukturen zwischen Ost und West und gleichsam auch der leistungssportlichen Gegnerschaft dieser politischen Blöcke. Erfolgreicher Leistungssport war noch vor der „Wende“ zentrales Instrument der Staatsraison beider Seiten. Die Schlachten des Kalten Krieges wurden in Sportstadien geschlagen, die Medaillenzahl war Maß für die Überlegenheit der einen oder auch der anderen Gesellschaftsform. Der Gipfelpunkt dieser offen ausgetragenen Politisierung des olympischen Sports wurde mit dem Boykott der Spiele 1980 und 1984 erreicht. Auch das beiderseitige, nationalstaatliche Interesse am Medaillenspiegel erklärt die damalige Einrichtung und Unterstützung von allerlei Strukturen des Leistungssports bis hin zur Anwendung fragwürdiger Praktiken. Wenn auch die Gesunderhaltung von Athleten, die präventive Wirkung körperlicher Aktivität auf hohem wissenschaftlichem Niveau betrieben wurde: oft galt als erfolgreichster Sportmediziner derjenige mit den leistungsfähigsten Athleten – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Aus der Änderung der Rahmenbedingungen entstand ein Findungsprozess, fast eine Identitätskrise, die im positiven Sinne zu einer gewissen Umgewichtung der Sportmedizin beigetragen hat. Nach meiner Wahrnehmung steht nun das Thema der therapeutischen und präventiven Anwendung körperlicher Aktivität im zentralen Interesse der Sportmedizin. Die Sportmedizin arbeitet nun in breiter Front daran, sich in einer neuen Kernkompetenz zu behaupten – unser Fach behält den Überblick zwischen all den Positionen und Möglichkeiten der bewegungsbezogenen Gesundheitsförderung. Weltweit sind sportmedizinische Projekte entstanden, welche nicht nur den epidemiologischen Nachweis der gesundheitsrelevanten Wirkung in Intervention und Prävention bewiesen haben. Allein der Sportmedizin gelingt es, neben der Wirkung auch die Dosis von Sport in den unterschiedlichsten Bereichen von Prävention und Kuration zu thematisieren und zu analysieren. Beides, Dosis und Wirkung, sind jedoch die bestimmenden Faktoren für Einsatz und Indikation einer Therapie mit Sport.
Vor dem Hintergrund des allgemeinen Kostendrucks im Gesundheitswesen, angesichts der Notwendigkeit zur Einführung von Präventionssystemen zur Begegnung des unweigerlichen demografischen Wandels kann auf das Agens Sport zur Gesundheitsförderung zukünftig immer weniger verzichtet werden – und damit auch nicht auf das interdisziplinäre Instrumentarium der Sportmedizin. Wichtige Ziele sportmedizinischer Innovationen sind daher auch tragbare Biosignalsysteme, die so genannten „Wearables“, vernetzt und mit Systemintelligenz versehen, wird hier eine dynamische Technologieentwicklung entstehen, in welcher die Sportmedizin eine wichtige Rolle spielen kann. Vor allem die Sportmedizin besitzt aufgrund ihrer Kenntnisse der Belastungsphysiologie und ihrer Verbindung zur klinischen Medizin auch die Möglichkeit zur wissenschaftlichen Dateninterpretation solcher Systeme.
Der kommende 46. Deutsche Sportärztekongress, bei dem wir erneut zu Gast auf dem Campus Westend der Goethe-Universität Frankfurt sein dürfen, wird uns – so hoffe ich – eine Vielzahl an Beiträgen und stimulierenden Anregungen zu weiteren Innovationen, sowie zu den Positionen der aktuellen Sportmedizin bieten. Ich wünsche allen Beteiligten einen angenehmen Kongressverlauf und angeregte Diskussionen.
Fakultät Gesundheit, Sicherheit, Gesellschaft
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