Anti-Doping
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Verletzungen bei Reitunfällen

Verletzungsmuster bei Reitunfällen

Injury Patterns Caused by Horse Riding Accidents

ZUSAMMENFASSUNG

Es wurde eine Untersuchung von Ursache-Wirkungs-Ketten zu Verletzungsmustern im Pferdesport anhand einer retrospektiven Analyse von erhobenen Daten aus 1206 Notfallbögen der chirurgischen Ambulanz des BG Klinikum Hamburg (BGKH) durchgeführt.
Ziel der Untersuchungwar es, den quantitativen Zusammenhang zwischen Verletzungsursache und Verletzungsfolge zu analysieren. In der 10-jährigen Erhebung (2000 bis 2009) dominierten bei den Verunfallten das weibliche Geschlecht (88%) und jüngere Patienten zwischen 8 und 18 Jahren (42%). Im männlichen Kollektiv verunfallten die 41- bis 60-Jährigen häufiger, im weiblichen eher die 7- bis 14-Jährigen.
Es wurden vermehrt Verletzungender Hand durch Biss und Zaumzeug, des Fußes durch Tritt, des Kopfes und der Wirbelsäule mit Becken durch Sturz erfasst. Austreten des Pferdes ins Gesicht ist ein besonderes Risiko. Als protektive Maßnahmen werden Schuhe, Handschuhe und Schutzkleidung für Hals und Kopf empfohlen. Bei einer operativen Therapie sind die Hand und das Sprunggelenk führend. Es wurde eine gehäufte Assoziation von Verletzungen an Kopf zusammen mit Hals/HWS als auch an Rücken/BWS/LWS zusammen mit Becken/Hüfte sowie Thorax bestätigt. Kombinationsverletzungen sind erkennbar. Es wurde die Methode der Clusteranalyse verwendet, um Mehrfachverletzungen systematisch zu beschreiben.
Präventive als auch protektive Maßnahmensollen mit diesen Ergebnissen und aus der Untersuchung von Unfallmechanismen entwickelt werden.

SCHLÜSSELWÖRTER: Reiten, Verletzungsmuster, Pferdesportunfälle, Reitverletzungen

SUMMARY

The analysis of cause and effect relationshipsof accidents in equestrian sports leads to specific patterns of injuries. A retrospective study of 1206 emergency sheets surveyed at the BG Hospital in Hamburg (BGKH),obtained over10 years (2000 to 2009) allows conclusion concerningthe relationship between physical impact and resulting injury.
Most of the injured subjects were young riders between 8 and 18 years of age. The majority of the patients were females (88%). Considering gender-specific collectives, the injuredmen were mostly between 41 and 60 and women between 7 and 14 years old.
Often injuries of the hand are caused by bridle and biting, the feet by being stepped on, the head and spine by falling fromthe horse. Hoof kicks are associated with a high risk of facial injury. Surgery of hand and ankle joint was required in most of the cases. Correlations between head and cervical spine injuries and between back-/lumbar-/breast-spine, hip/pelvis included, and thorax injuries were observed. Specific patterns of combined injuries occurred.
Combined patterns of injuriescould be analyzed in detail by means of cluster analysis and by the analysis of injury patterns.

KEY WORDS: Riding, Injury Patterns, Horseback Riding Accidents, Equestrian Injuries

EINLEITUNG

Die Analyse von Unfallursache und Unfallwirkung eröffnet im klinischen Bereich ein vertieftes Verständnis für die Möglichkeiten der Prävention. Es wurde eine Analyse von Verletzungsmustern infolge von Pferdesportunfällen durchgeführt. In Abhängigkeit von der beruflichen Tätigkeit oder der gewählten Sportart des Verunfallten werden in der Traumatologie typische Unfallbilder oder Verletzungsmuster beobachtet. Unfallursachen sind mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit mit einem spezifischen Spektrum von Verletzungen verknüpft. Der Fokus liegt beim Reitsport in der Frage nach besonderen Ursache-Wirkungs-Ketten. Zur Beantwortung dieser Frage wurde die Cluster-Analyse gewählt. Die dazu benötigten Daten wurden durch das BG Klinikum Hamburg zur Verfügung gestellt. Die erhobenen Daten basieren auf Patienten, die sich infolge eines Reitunfalls in der Ambulanz vorstellten. Aus dem Erscheinungsbild der kombinierten Verletzungen sind typische Verletzungsmuster mit einer höheren Auftretenswahrscheinlichkeit zu erwarten. Diese könnten auf protektive Defizite hinweisen, die Anleitung zu konkreten Präventionsmaßnahmen geben.
In Deutschland betreiben ca. 1,6 Millionen Menschen Reitsport, und die Pferdepopulation ist in den letzen 40 Jahren um das Vierfache angestiegen (10). Die Gesamtzahl der Mitglieder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) betrug 2013 ca. 709 000. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beziffert an Hand einer Haushaltsbefragung aus dem Jahr 2000 die Zahl der Unfallverletzten im Freizeitbereich bezogen auf alle Unfälle auf 31,9%, davon ereignen sich ca. 27% beim Sport (n=1,46 Mio.) und davon wiederum ca. 6,4% (n=93 000) beim Reiten (6, 7). Betroffen waren 15% männliche und 85% weibliche Verunfallte. Die Gefährlichkeit des Pferdesports ergibt sich unter anderem aus der kinetischen Energie und der Unkontrollierbarkeit, die ein lebendiges Wesen wie ein Pferd mit sich bringt. Ein Pferd besitzt ein Gewicht von ca. 500 kg, ein Stockmaß bis zu 2 Metern, es kann bis auf 65 km/h beschleunigen, es kann bei einem Tritt eine Kraft von bis zu einer Tonne aufbringen und kann als ein autonom denkendes Lebewesen betrachtet werden (3, 18, 27). Der Kopf des Reiters bewegt sich etwa 2,7m über dem Boden (18). Einer von fünf Reitern erleidet innerhalb seiner Reitkarriere aufgrund der Unberechenbarkeit des Pferdes einen schweren Unfall (18). Obwohl sich bei Reitsportlern durch Einführung von Präventions- und Schutzmaßnahmen die Unfallzahlen zum Ende des letzten Jahrhunderts verringerten, scheint sich die Unfallschwere nur geringfügig reduziert zu haben (3, 5, 8, 20, 21, 28, 29). Das Problem hat sich also von der Häufigkeit in Richtung Unfallschwere verschoben.

MATERIAL UND METHODE

Als Gesamtkollektiv wurden Reitverunfallte aus dem Großraum Hamburg in einem Zeitraum von 10 Jahren erfasst. Es handelt sich dabei um 1206 Patienten, die im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 mit dem Pferd verunfallten und sich nach dem Unfall im BG Klinikum Hamburg vorstellten, um sich dort behandeln zu lassen. Auf Grundlage der in der chirurgischen Ambulanz erstellten Notfallbögen und der Daten über die Genese und den Verlauf der Behandlung wurde eine retrospektive Beobachtungsstudie durchgeführt. Dabei flossen nur anonymisierte Daten ein. Verletzungsmuster werden hier als Folge eines spezifischen Reitunfalls verstanden und in ihrer Abfolge, Intensität und Lokalisation am Körper definiert.
Zur statistischen Charakterisierung von Verletzungsmustern wurde bei Vorliegen von Mehrfachverletzungen die Clusteranalyse verwendet. Dieses Verfahren ermöglicht es, Häufungen klinischer Parameter von spezifischen Symptomkomplexen zu erkennen und zusammenzufassen.
Zur Berechnung des nicht-euklidischen Abstands zweier binär codierter Symptomkomplexe wurde das Tanimoto- bzw. Jaccard-I-Ähnlichkeitsmaß verwendet (2, 9). Die Ähnlichkeit (0≤s≤1) zwischen den Symptomkomplexen A und B ergibt sich aus folgendem formelmäßigen Zusammenhang: s(A,B)=w/(w+x+y).
Ein Symptomkomplex wird als Binärvektor aus den 17 Verletzungslokalisationen codiert. Jede Stelle dieses Vektors entspricht einer spezifischen Verletzung bzw. Verletzungslokalisation. Das gleichzeitige Auftreten von Verletzungstypen (Verletzungslokalisationen) in den Symptomkomplexen A und B entspricht w; das Auftreten von Verletzungstypen in A und nicht in B entspricht y; das Auftreten von Verletzungstypen in B und nicht in A entspricht x. Damit lässt sich das Abstandsmaß s zwischen den einzelnen Symptomkomplexen errechnen. Berechnet man alle Abstände s zwischen allen erhobenen Symptomkomplexen, dann lassen sich Cluster berechnen, in denen die Symptomkomplexe in Bezug auf das Abstandsmaß s enger beieinander liegen bzw. stärker assoziiert sind als alle anderen Symptomkomplexe der anderen Cluster. Die Zahl der in einem Cluster zusammengefassten Symptomkomplexe, kann aufgrund der unterschiedlich häufig auftretenden Verletzungen stark schwanken und muss bei der Interpretation der Ergebnisse besonders berücksichtigt werden.
Zur Berechnung der Clusteranalyse wurde die Statistische Toolbox von MATLAB 2009b von der Firma MathWorks GmbH verwendet. Die erhaltenen Abstände zwischen den Symptomkomplexen aller Patienten ermöglichen die Berechnung eines Dendrogramms. Dieses Dendrogramm wurde hierarchisch mit einem Abstand d=1-s analysiert. Bei der Wahl eines Verschmelzungsniveaus von d=0,65 ergaben sich anhand des berechneten Dendrogramms 7 Cluster die hinsichtlich der aufgetretenen Assoziationen weiter untersucht wurden (14).

ERGEBNISSE

In einem Untersuchungszeitraum von 10 Jahren wurden 1206 Reitsportverunfallte erfasst. Jeder erfasste Patient kann mehrere Traumata aufweisen. Dadurch ergeben sich insgesamt 1412 spezifische Lokalisationen. Die beschriebenen Unfälle traten sowohl beim Reiten als auch beim Umgang mit Pferden auf. Im Mittel haben sich ca. 121 Patienten pro Jahr vorgestellt.
Mädchen und Frauen sind mit ca. 88% (n=1063) am häufigsten, das männliche Geschlecht ist entsprechend mit ca. 12% (n=143) geringer vertreten (14). Die Altersgruppe von 8 bis 18 Jahren weist die meisten Verletzungen auf (Abb. 1, n=509, 42%).

Verletzungsmuster
Mit abnehmender Häufigkeit traten beim Sturz vom Pferd Verletzungen von Becken und Hüfte (n=88), Rücken, BWS oder LWS (n=85), Kopf (n=76), Hand (n=73), Unterarm (n=57), Schulter (n=53), Thorax (n=46), Hals/HWS (n=45), Knie (n=30), Sprunggelenk (n=28), Ellenbogen (n=27), Clavicula (n=22), Oberarm (n=21) sowie weitere kleinere Verletzungen (n<15) auf (Abb. 2 und 3). Beim Pferdetritt ist der Fuß (n=124) des Pferdesportausübenden die am meisten gefährdete Körperregion. Nach Häufigkeit folgen Kopf (n=33), Unterschenkel (n=28), Knie (n=18), Oberschenkel (n=17) und Hand (n=17). Weitere Verletzungen durch einen Pferdetritt zeigen sich selten spezifisch (n<15). Infolge vom Pferdebiss erlitten die Verunfallten vorwiegend Verletzungen der Hand (n=41). Durch Handhabung mit Zaumzeug bzw. Zügel traten ebenfalls vorwiegend Verletzungen an der Hand (n=58) auf. Die restlichen Unfallmechanismen führten zu keiner spezifischen Verletzungslokalisation bzw. Verletzungsmuster (n<15).
Insgesamt ereignete sich der Sturz vom Pferd am häufigsten (n=694), es folgt der Pferdetritt (n=285), Verletzungen durch das Zaumzeug (n=70), Pferdebisse (n=46) und weitere kleinere Unfallmechanismen (Abb. 2 und 3). Die Assoziation zwischen Unfallmechanismen und Verletzungslokalisation ist in Abbildung 4 dargestellt.
Vier große Verletzungsregionen am Körper können herausgefiltert werden: Die Hand (n=248) , der Fuß (n=166), der Kopf (n=159) und die Wirbelsäule (n=157). Der zu operierende Anteil im Gesamtkollektiv lag bei 6,9% (n=83). Davon wurde in 43% der Fälle (n=40) die Hand und in 12% (n=11) der Unterarm operativ versorgt. Es folgen Sprunggelenk mit 10% (n=10) und Unterschenkel mit 9% (n=9). Es wurden 167 Patienten mit Mehrfachverletzungen erhoben. Von diesen wiesen 129 Patienten 2-fache, 34 Patienten 3-fache, 3 Patienten 4-fache und 1 Patient 5-fache Verletzungen auf. Insgesamt ergeben sich so 377 Einzelverletzungen. Jeder Satz von Verletzungslokalisationen stellt somit für einen Patienten einen Symptomkomplex dar. Mit Hilfe des Verfahrens der Clusteranalyse konnten von den erhobenen 377 Verletzungen 370 in 7 Cluster assoziiert werden (Abb. 5, Cluster 1-7). Ein Cluster definiert aufgrund des Abstandsmaßes s eine Gruppe von Symptomkomplexen. Dieses Cluster kann hinsichtlich der Verteilung der Verletzungslokalisationen und ihrer Anzahl variieren. Dies wird in Abbildung 5 für die sieben ermittelten Cluster anhand von Häufigkeitsverteilungen beschrieben. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, dass in einem Cluster die statistische Wertigkeit der Assoziation abhängig ist von der Anzahl der erfassten Symptomkomplexe.

Cluster 1 zeigt eine Verteilung aus n=21 Verletzungen, dabei liegt die Verletzungslokalisation Ellenbogen in Bezug zu Oberarm und Unterarm sowie Unterschenkel am häufigsten vor. Cluster 2 zeigt eine Verteilung aus n=25 Verletzungen, dabei tritt die Verletzungslokalisation Unterarm vermehrt alleine auf. Cluster 3 weist eine Verteilung aus n=37 Verletzungen auf, dabei tritt die Verletzungslokalisation Knie am häufigsten in Bezug zu den Lokalisationen Oberschenkel und Unterschenkel auf. Anhand der Verteilung des Clusters 4 (n=129) und Clusters 5 (n=26) ist erkennbar, dass die Verletzungslokalisation Kopf häufig gemeinsam mit Hals/HWS auftritt und die Verletzungslokalisation Schulter am häufigsten gemeinsam mit Hals/HWS und Thorax assoziiert ist. Das Ergebnis von Cluster 6 (n=113) zeigt, dass vorrangig eine Verletzung von Rücken/BWS/LWS in Assoziation mit Becken/Hüfte oder Thorax auftritt. Cluster 7 (n=19) zeigt die Assoziation zwischen Hand und Schulter. Aus Abbildung 5 ist erkennbar, dass die Assoziation in der Kombination Kopf und Hals/HWS sowie Rücken/BWS/LWS und Becken/Hüfte am deutlichsten ist. Die in Abbildung 5 (Alle Lokalisationen) gezeigte Häufigkeitsverteilung von allen mit der Clusteranalyse untersuchten n=377 Einzelverletzungen, die in Kombination mit anderen Verletzungen auftraten, kann zur statistischen Bewertung der Assoziationen innerhalb eines Clusters herangezogen werden. Nur die Cluster 4 und 6 weisen größere Fallzahlen auf, deren Assoziation daher statistisch stärker zu bewerten ist. Die anderen Cluster können aufgrund der geringen Fallzahlen nicht als stabile stochastische Assoziation aufgefasst werden.

DISCUSSION

Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich Häufigkeit und Kombination von Verletzungen als typische Ursache-Wirkungs-Kette im Reitsport charakterisieren lassen. Aus der am BG Klinikum Hamburg erhobenen Datenbasis wurde der quantitative Zusammenhang zwischen Unfallursache und Unfallfolge analysiert.
In Hamburg wird die Zahl der Mitglieder der Deutschen Reiterlichen Vereinigung FN mit 4851, in Schleswig-Holstein mit 42539 für das Jahr 2011 angegeben. In der vorliegenden Studie wurden 1206 Pferdesportverunfallte mit 1419 Verletzungen über einen Untersuchungszeitraum von 10 Jahren analysiert. In den Jahren 2000 bis 2009 stellten sich Reitsportverunfallte im Mittel 121 pro Jahr vor. In den Jahren 2003 bis 2009 wurden im Mittel 7567 Mitglieder der FN aus Hamburg und im Mittel 52536 Mitglieder aus Hamburg und Schleswig-Holstein registriert. Im BG Klinikum Hamburg wurden im selben Zeitraum im Mittel pro Jahr im selben Zeitraum 114 Pferdesportverunfallte versorgt (14). Da nicht alle Pferdesport ausübenden Mitglieder der FN sind und das Einzugsgebiet auch Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachen umfasst, ist der Anteil der im BUKH behandelten Reitsportverunfallten relativ zu betrachten und kann nur eine mögliche Tendenz für spätere, kontrollierte Studien aufzeigen.
Wie Erhebungen in der Literatur angeben, so überwiegen auch in diesem Unfallkollektiv weibliche Pferdesportverunfallte (4, 11, 15, 16, 19, 20, 22, 23, 24, 25, 26). Mit Ausnahme des Pferdesports fügen sich Jungen bezogen auf alle Sportarten öfter Verletzungen zu (1). Im Mittel wurden ca. 106 weibliche Verunfallte und ca. 14 männliche Verunfallte pro Jahr behandelt. Es zeigt sich hier ein Geschlechterverhältnis weiblich zu männlich von 7:1 im Vergleich zu den Angaben in der Literatur mit 4:1 (24, 25). Da der Anteil der weiblichen Pferdesportler höher ist als der männliche, stellen sich dementsprechend auch öfter weibliche Verunfallte in der Klinik vor.
Gehäuft verunfallen jüngere Pferdesportler (Abb. 1). Etwa die Hälfte der Pferdesportverunfallten (46%) ist jünger als 19 Jahre. In der Literatur wird diesbezüglich ein Anteil von etwa 39% angegeben (31). Der Anteil der unter 16-Jährigen liegt in dieser Studie bei ca. 36,7%, in der Literatur wird er mit etwa 34% angegeben (16). In der Literatur wird ein Häufigkeitsgipfel bei den Jüngeren zwischen 9 und 16 Jahren angegeben (16, 24, 25, 26).
Drei Altersgruppen konnten mathematisch identifiziert werden, die mit unterschiedlicher Häufigkeit eine Pferdesportverletzung erleiden (14). Die Altersgruppe 8 bis 18 Jahre weist die meisten Verletzungen auf (Abb. 1, n=509, 42%). Ein Pferdesportunfall eines männlichen Pferdesportausübenden tritt vermehrt (27%) in der Altersgruppe der 41- bis 60-Jährigen auf, bei gleichbleibendem Geschlechtsverhältnis. Gründe dafür könnten größere Risikobereitschaft, langsamere Reaktionsfähigkeit und verminderte Elastizität der Knochen, sowie erhöhter Alkoholeinfluss in dieser Altersgruppe sein (12, 30). Ein Pferdesportunfall einer weiblichen Pferdesportausübenden tritt vermehrt in der Altersgruppe 7 bis 14 auf (31%).

Verletzungsmuster
Einfachverletzungen entstanden bei 87% der Verunfallten. Insgesamt wurden bei 167 Patienten Mehrfachverletzungen gefunden (13%). Dabei sind zweifache (10,1%), dreifache (2,3%) und vierfache (0,3%) Verletzungen dokumentiert. Bei 71,4-85,1% der verunfallten Reiter ist in der Literatur eine Körperregion betroffen, bei 10,3 bis 19% entstehen kombinierte Verletzungen an 2 Körperregionen, und die gleichzeitige Verletzung von mehr als 2 Körperregionen liegt bei 4,6 bis 8,8% (13, 16). Die Behauptung, es seien keine Gesetzmäßigkeiten bei Kombinationsverletzungen erkennbar, konnte dies in dieser Studie nicht bestätigt werden (11).
Um Verletzungsmuster bei Pferdesportunfällen erkennen zu können, ist eine Analyse des Unfallmechanismus und der daraus resultierenden Verletzungslokalisationen von Bedeutung.
Beim Sturz vom Pferd wird in der Literatur die Verletzungslokalisation der oberen Extremitäten (41,8%) öfter als der Kopf (29,3%) angegeben; bei Stürzen zusammen mit dem Pferd treten häufiger Verletzungen des Kopfes (53,6%) als der oberen Extremität (21,4%) auf (16). In dieser Studie zeigt sich beim Sturz vom Pferd ebenfalls, dass die oberen Extremitäten (42%) häufiger betroffen sind als der Kopf (14%). Bei Stürzen zusammen mit dem Pferd ist eher der Kopf (13%) als die oberen Extremitäten (7%) betroffen, jedoch sind die Anteile geringer als in der Literatur beschrieben. Beim Sturz vom Pferd zeigen sich insbesondere mehrfache, traumatische Verletzungen am ganzen Körper des Verunfallten, vornehmlich Rücken mit Becken und Hüfte sowie Kopf und Hand. Tritte durch das Pferd führen vermehrt zu Verletzungen der Füße. Beim Pferdebiss und bei der Verletzung durch Handhabung mit dem Zaumzeug wird hauptsächlich die Hand als spezifische Verletzungslokalisation festgestellt. Insgesamt treten Verletzungen der Hand und des Sprunggelenks am häufigsten auf und weisen den Anteil mit erhöhter operativer Versorgung auf. Darüber hinaus zeigt sich, dass Fuß, Kopf und Wirbelsäule verstärkt Verletzungen aufweisen.
Diskutiert man die Verteilungen, die eine höhere Zahl an Mehrfachverletzungen repräsentieren (Abb. 5, Cluster 4 und 6), dann zeigt sich als zusätzliches Ergebnis dieser Untersuchung häufiger eine Assoziation Kopf gemeinsam mit Hals/HWS und eine Assoziation von Rücken/BWS/LWS mit Becken/Hüfte und Thorax. Dies ergibt sich aus der engen anatomischen Lagebeziehung. In der Literatur werden Wirbelsäulenverletzungen mit Kopfverletzungen assoziiert (17). Im Umkehrschluss ergibt sich aus Abbildung 5, dass auch unwahrscheinliche gemeinsame Verletzungslokalisationen auftreten können. Beispielsweise ist es unwahrscheinlicher, dass bei Verletzungslokalisationen Kopf und Hals/HWS zusätzlich Clavicula, Ellenbogen oder Unterarm betroffen sind (Abb. 5, Cluster 4). Es lässt sich nicht von der Verletzungslokalisation auf den Unfallmechanismus schließen. Es zeigt ausschließlich die Assoziation der spezifischen Einzelverletzungen.
Einschränkend muss festgestellt werden, dass die in Abbildung 5 dargestellten Ergebnisse nur auf einer geringen Fallzahl beruhen. Die hier gewonnenen Ergebnisse zeigen nur Tendenzen auf, da lediglich ein Kollektiv eines Krankenhauses betrachtet wird. Dies kann möglicherweise die durchschnittliche Schwere als auch die Entwicklung der Verletzungshäufigkeit nicht richtig wiedergeben.
Die verwendete Methode der Clusteranalyse bietet die Möglichkeit, Mehrfachverletzungen im Pferdesport in späteren Studien systematischer zu beschreiben. Ebenfalls kann die Untersuchung von Unfallmechanismen für die gezielte Entwicklung von Präventionsmaßnahmen verwendet werden. Verbesserungen von Schutzmaßnahmen durch Verwendung von Handschuhen mit Schienung bis zum Ellenbogen und Polsterung könnten einen Großteil der Verletzungen durch Biss und Zaumzeug verringern. Zur verbesserten Prävention bei Stürzen sollte der Schutz des Kopf-/Hals-Übergangs sowie Rücken/BWS/LWS mit Becken und Thorax verstärkt etabliert werden. Bezüglich der Häufigkeit des Pferdetritts auf den Fuß könnte vermehrt Aufklärung unter den Pferdesportausübenden erfolgen, da protektives Schuhwerk vielfach vorhanden ist. Austreten des Pferdes ins Gesicht ist ein besonderes Risiko. Die Verwendung von Reiterhelmen zum Schutz des Kopfes als allgemein verbreitete Schutzmaßnahme könnte durch einen Gesichtsschutz während der Pflege des Pferdes erweitert werden.

Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente Honorare oder Unterstützung durch Firmen:
Keine

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Dr. med. Lars E. Fleischer
Bethesda Krankenhaus Bergedorf
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Abteilung für Chirurgie
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