Schadet Marathonlaufen dem Gastrointestinalen System?
Potentially Detrimental Effects of Marathon on Gastrointestinal System
ZUSAMMENFASSUNG
Belastungsinduzierte gastrointestinale Beschwerden sind seit geraumer Zeit vor allem von Langstreckenläufern bekannt. Trotz ihrer recht hohen Inzidenz und ihrer großen Bedeutung in der medizinischen Praxis gehört der Gastointestinaltrakt nach wie vor zu den Randgebieten der sportmedizinischen Forschung. Gerade Läufer leiden häufig an Symptomen wie Übelkeit und Erbrechen, einer Refluxsymptomatik oder der sogenannten Läuferdiarrhoe mit teilweise mikro- oder sogar makroskopischen Blutungen. Bei einem großen Teil der Athleten ist ihr Auftreten so stark ausgeprägt, dass sie als trainingsbeeinträchtigend und zum Teil als leistungslimitierend beschrieben werden. Die Einflussfaktoren auf ihre Entstehung sind sehr vielschichtig und reichen von Alter und Geschlecht über Qualität und Quantität der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme bis hin zu Trainingsintensität und -umfang. Die pathophysiologischen Mechanismen, die hinter der Entstehung dieser Beschwerden stehen, sind bis dato nicht vollständig geklärt. In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt der Forschung vor allem auf Faktoren, wie neurohormonellen Veränderungen, Alterationen der Magen-Darm-Motilität sowie möglichen mechanischen Komponenten. Neuere Daten zeigen, daß es vermutlich der belastungsinduzierte Durchblutungsshift mit konsekutiver Minderperfusion des enteralen Gefäßsystems ist, der zur Erhöhung der gastrointestinalen Permeabilität mit mehr oder weniger ausgeprägtem Gewebeschaden führt. Schließlich werden in der vorliegenden Arbeit noch Handlungsempfehlungen aus medizinischer, trainingswissenschaftlicher und ernährungsphysiologischer Sicht thematisiert, die auf die Prävention und Therapie belastungsinduzierter gastrointestinaler Beschwerden zielen.
Schlüsselwörter: Ausdauersport, gastrointestinale Beschwerden, Ischämie-Reperfusion, Langstreckenläufer, Marathon.
SUMMARY
Exercise-induced gastrointestinal disorders have been recognized for some time to affect especially long distance runners. Despite their high incidence and great significance in clinical sport medicine, the gastrointestinal tract still remains on the periphery of research in this area of medicine. Runners, in particular, frequently suffer from symptoms such as nausea and vomiting, reflux syndrome, or socalled runner’s diarrhea, with microscopic or even macroscopic bleeding. Multiple factors are involved in these disorders, ranging from age and gender, quality and quantity of nourishment and intake of liquids, to training intensity and scope.The pathophysiological mechanisms underlying the origin of these disorders have not yet been fully elucidated. In past years, the primary focus of research has been on factors such as neurohormonal changes, alterations in gastrointestinal motility, and potential mechanical components. More recent data postulate that the exercise-induced circulatory shift with consecutive hypoperfusion of the enteral vasculature leads to increased gastrointestinal permeability with more or less pronounced tissue damage. Finally, treatment recommendations from a medical, exercise science and nutritional perspective are discussed in this study, aimed at prevention and treatment of exercise-induced induced gastrointestinal disorders.
Key words: Physical exercise; gastrointestinal complaints; ischemia-reperfusion, long distance runners; marathon.
EINLEITUNG
Die sportmedizinische Forschung hat dem Gastrointestinaltrakt bislang nur sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Ein aktueller Suchlauf bei Pubmed ergibt für die Kombination Sport und Gastrointestinaltrakt nur 1271 Treffer, bei der Kombination Sport und Intestinum sogar nur 304 Treffer (Abb. 1). Diese Zahlen sind weit entfernt von den bislang im Fokus stehenden Organen wie Herz, Skelettmuskulatur, Lunge oder Gefäßsystem. Dies ist umso unverständlicher angesichts der Bedeutung gastrointestinaler Beschwerden in der sportmedizinischen Praxis bzw. Sportpraxis (23). Fragebogen basierte Untersuchungen bei sportlichen Großereignissen, wie sie u.a. von Riddoch und Trinik beim Belfast City Marathon 1986 durchgeführt wurden, berichten von einer Inzidenz von bis zu 50% bei Ausdauerathleten, die während oder nach der Sportausübung über mehr oder weniger intensive gastrointestinale Probleme klagen wie z.B. Übelkeit/Erbrechen, Refluxsymptomatik, Diarrhöen etc (18, 31, 34, 37). Bei bis zu einem Drittel der Athleten sind die Probleme derart gravierend, dass die Sportler über eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit berichten (9, 3). Und schließlich findet sich bei 5- 6% der Athleten eine gastrointestinaltrakt-spezifische Medikation wie z.B. Antacida, Antidiarrhoika etc. (26). In der vorliegenden Übersichtsarbeit soll daher der Einfluss sportlicher Belastungen auf den Gastrointestinaltrakt unter den Aspekten Symptomatik, Einflussfaktoren, Klinik, Diagnostik, Pathophysiologie und therapeutische Möglichkeiten dargestellt werden. Es ist nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit, die vielfach bekannten präventiven bzw. therapeutischen Effekte sportlicher Aktivität bei gastrointestinalen Erkrankungen, wie z.B. der Divertikulose, dem Kolonkarzinom, etc., darzustellen.
SYMPTOMATIK UND EINFLUSSFAKTOREN
Die Inzidenz gastrointestinaler Beschwerdesymptomatik zeigt einen Bezug zur Sportart in der Weise, dass beim Laufsport bevorzugt der untere Gastrointestinaltrakt betroffen ist (3). Eine Untersuchung von Peters et al aus dem Jahre 1999 zeigt, dass diese Beschwerden mit 71% häufiger auftreten als Beschwerden des oberen Gastrointestinaltragts mit 36%. Bei Radfahrern hingegen treten mit 67% häufiger epigastrisch Symptome auf. Über eine Symptomatik der unteren Darmabschnitte klagen 64% der Radsportler.Die führenden Symptome bei Langstreckenläufern sind Bauchkrämpfe, Stuhldrang bis hin zur Diarrhoe, die im schlimmsten Fall hämorrhagisch sein kann. Die Symptomatik des oberen Gastrointestinaltrakts umfasst in abnehmender Häufigkeit Appetitlosigkeit, Übelkeit, Sodbrennen und Erbrechen (35).
Einige Untersuchungen berichten, dass Frauen häufiger betroffen sind als Männer (3, 31). Einschränkend muss allerdings gesagt werden, dass in diesen Studien die Anzahl der befragten Frauen gegenüber der befragten Männer deutlich niedriger ausfiel. Verschiedene interne und externe Faktoren wurden identifiziert, die in der Lage sind, die gastrointestinale Symptomatik zu modulieren (Abb. 2). Ein wichtiger Punkt ist die Belastungsintensität bzw. –dauer. Die gastrointestinale Symptomatik zeigt eine positive Korrelation zu hohen und langanhaltenden Belastungsintensitäten. Weitere aggravierende Faktoren sind der Zeitpunkt, die Zusammensetzung und die Menge der vor der Belastung aufgenommenen Nahrung (3). Hochkalorische Nahrung sowie hohe Fett- oder Proteinanteile in der Nahrung sollten zumindest in den letzten 2 Stunden vor Belastungsbeginn vermieden werden (Abb. 3). Auch Sportgetränke scheinen gegenüber der reinen Wasseraufnahme die GI-Symptomatik zu verstärken (21). Umgekehrt gibt es jedoch Hinweise, dass eine individuell angepasste und optimierte Flüssigkeitszufuhr vor und während des Wettkampfs negativ mit der gastrointestinalen Symptomatik korreliert (20). Gleiches gilt für die Faktoren „Alter des Athleten“ sowie dessen „Trainingsstatus“. Offensichtlich erfolgt im Rahmen des Trainingsprozesses auch eine Adaptation im gastrointestinalen System bzw. seiner Perfusion (s.u.), welche die Auswirkungen der physischen Belastungen mildert. Schließlich sollte aber auch nicht übersehen werden, dass etwa 5% der Athleten eine entzündungshemmende Medikation z.B. aufgrund orthopädischer Beschwerden einnimmt, die per se zu entsprechenden Schäden am gastrointestinalen Epithel führen kann (24).
KLINISCHE BEFUNDE UND DIAGNOSTIK
Die ausgehend von der belastungsassoziierten Symptomatik klinisch am besten charakterisierten Befunde sind der gastroösophageale Reflux sowie die Diarrhoe ohne/mit Hämorrhagien. Der gastroösophageale Reflux hängt dabei im Wesentlichen mit drei Faktoren zusammen - der gastralen Säuresekretion, der Funktionalität des unteren Ösophagussphinkters sowie der Magenmotilität. Über deren Bezug zur sportlichen Aktivität gibt es nur wenige Untersuchungen. So zeigen ältere Arbeiten, dass die basale als auch die maximal stimulierbare Säuresekretion nach akuten, erschöpfenden Belastungen niedriger ausfällt. Allerdings gibt es Hinweise, dass dieser Befund unterschiedlich ist bei Gesunden und Patienten mit Ulcus ventriculi oder duodeni (5, 14, 40). Studien, die sich mit dem Einfluss der sportlichen Aktivität auf die Peristaltik des Ösophagus beschäftigen, kommen zu sehr heterogenen Resultaten. Eine methodisch sehr gut umgesetzte Arbeit von Nieuwenhoven et al. konnte zeigen, dass nach einer Ergometerbelastung entsprechend einer Intensität von 80% der VO2max die Geschwindigkeit der Peristaltik im Ösophagus erhöht ist bei einer gleichzeitigen Abnahme des Tonus im unteren Ösophagussphinkter (19). In Zusammenhang mit einer eingeschränkten Motilität des Magens sind hierdurch die Voraussetzungen für einen gastroösophagealen Reflux gegeben. Die Magenentleerungsgeschwindigkeit zeigt eine bivalente Abhängigkeit von der Belastungsintensität. Während es bei moderaten Belastungen sogar zu einer Verbesserung der Magenmotilität kommen kann, kommt es ab einer Intensität entsprechend 70- 75% der VO2max zu einer zunehmenden Einschränkung der Magenentleerung. Aggraviert wird diese Situation noch bei Belastungen in der Hitze oder unter sonstigen Dehydrationszuständen. Natürlich hat auch die Zusammensetzung der Sportgetränke einen Einfluss auf die Magenentleerung. Solange die Zuckerkonzentration des Getränks unter 10% liegt, scheint der gastrale Transit nicht beeinträchtigt (6, 25). Die belastungsinduzierte Refluxsymptomatik scheint verstärkt postprandial und bei den Sportlern aufzutreten, die ohnehin bereits in Ruhe über eine Symptomatik klagen. Insofern ist bei regelmäßigen Beschwerden eine klinische Diagnostik mit Gastroskopie inklusive Helicobacterpylori-Diagnostik, 24h-pH-Metrie sowie ggfls. auch eine Ösophagusmanometrie zu empfehlen.
Die klinische Definition einer Diarrhoe beruht auf der veränderten, flüssigen Stuhlkonsistenz, einer gehäuften Stuhlfrequenz (>3/Tag) sowie einem erhöhten Stuhlgewicht (>250gr/Tag). Der Übergang zum Auftreten von Hämorrhagien ist einerseits abhängig vom pathophysiologischen Mechanismus, andererseits aber auch häufig fließend über okkulte Blutungen hin zu Makroblutungen.
Zur Diarrhoe führt ein Missverhältnis der drei Prozesse Motilität, Absorption und Sekretion. Es gibt Hinweise, dass unter Belastung die Motilität der einzelnen Darmabschnitte unterschiedlich beeinflusst wird. Im Dünndarm wurde bereits ab leichten Belastungen (VO2max zwischen 40- 50%) eine Verlängerung der Transitzeit aufgrund einer Reduktion der Frequenz des „Migrating-Motor-Komplexes“ festgestellt (26) Andererseits wurde in einigen Studien von einer Reduktion der Colontransitzeit berichtet. Da diese den größeren Einfluss auf die orofäkale Transitzeit hat, ist diese in Summe häufig unter Belastung verkürzt. Je länger die Belastung dauert, desto ausgeprägter erscheint die Störung der gastrointestinalen Integrität. Ein häufig nachgewiesener Indikator ist der Anstieg von Lipopolysacchariden im Serum, wobei deren Ausmaß allerdings häufig nicht mit der klinischen Symptomatik der Athleten übereinstimmte (11). Außerdem finden sich bei Marathonläufen schwankende Angaben von haemocult-positiven Stuhlproben um die 20%, die sich bei Ultramarathonläufen sogar um die 80% bewegen können (1, 15). Bei schweren Befunden finden sich in der Koloskopie gastrointestinale Hämorrhagien, die dem Bild einer ischämischen Kolitis makroskopisch und auch histologisch gleichen. Ödematös aufgequollene Darmwände mit unregelmäßigem Epithelrelief lassen sich darüberhinaus auch im Doppelkontrastverfahren bei der Magen-Darm-Passage beziehungsweise auch im CT nachweisen (12).
Um Nahrungsmittelunverträglichkeiten, wie eine Laktoseintoleranz oder eine Fructosemalabsorption als Ursache für die Beschwerden auszuschließen sollte eine ärztliche Abklärung empfohlen. Dies kann in Form von H2-Atemtests mittels einer oralen Belastung mit 50g Lactose bzw. 25g Fructose durchgeführt werden. Ebenfalls als Auslöser in Betracht kommen kann eine bakterielle Fehlebesiedlung des Dünndarms, die auch mittels H2-Atemtest diagnostiziert werden kann. Natürlich sollte differentialdiagnostisch insbesondere bei Auslandsreisen an eine enterotoxin- sowie viral-induzierte Diarrhoe bzw. Nahrungsmittelunverträglichkeiten gedacht werden.
PATHOPHYSIOLOGISCHE MECHANISMEN
Einige Faktoren, die kausal für die belastungsassoziierte, gastrointestinale Beschwerdesymptomatik verantwortlich gemacht werden, wurden bereits angesprochen, da sie auch in der klinischen Diagnostik erfaßt werden. Dies betrifft zum Beispiel die Veränderungen der Motilität des Gastrointestinaltrakts. Außerdem werden die belastungsinduzierte Freisetzung neuroendokriner Gewebshormone wie VIP, Sekretin, PP und Gastrin als Auslöser der pathophysiologischen Kaskade diskutiert. (22, 36, 8). Diskutiert werden in der Literatur auch simple mechanische Komponenten wie die für das Laufen typischen Vertikalbeschleunigungen. Als Beleg wird das Auftreten einer erhöhten Inzidenz intestinaler Blutungen beim Laufsport gegenüber dem Radfahren angeführt (8). Schließlich wurden auch nutritive Ursache, wie die vermehrte Supplementation von Vitamin C oder Magnesium, vorgeschlagen, obwohl für diese Vermutung bislang die Belege fehlen (8). Der vermutlich bedeutendste pathogenetische Faktor ist jedoch die Veränderung des gastrointestinalen Blutflusses (Abb. 4).Mit Beginn der Belastung kommt es unter Sympathikusaktivierung zu einer Steigerung des Herzminutenvolumens und der Perfusion der kontraktilen Gewebe. Ebenso wird aus Gründen der verbesserten Thermoregulation die Durchblutung der Haut signifikant erhöht (8). Im Gegenzug wird die Perfusion des Gastrointestinaltrakts bedingt auch durch den verringerten Parasympathikotonus reduziert mit einer Einschränkung des gastrointestinalen Blutflusses bis zu 20% des Ruhewertes (30, 32, 3). Diese Befunde sind noch deutlich ausgeprägter bei einem schlechten Hydratationsstatus oder einer Belastung unter heißen Umgebungsbedingungen (27).
Durch diese Perfusionsumverteilung werden im enteralen Gewebe drei wichtige pathophysiologische Faktoren in Gang gesetzt bzw. verstärkt: Hypoxie, oxidativer Stress und Hyperthermie. Lokale und regionale Hypoxie führt zu einer ATP-Depletion mit Folgen für den Zellstoffwechsel und die Zellfunktion. Hierzu gehört zunächst die Aufhebung der intestinalen Integrität durch Eröffnung der Schlußleisten („Tight-junctions“) (39). Dies sowie der Epithelzelluntergang (s.u.) führt zu einer Zunahme der intestinalen Permeabilität für Makromolekühle (>150kDa) über die parazelluläre Route.
Außerdem führt die veränderte energetische Situation zu einer Einschränkung der aktiven Transportprozesse über die Membran der Enterozyten sowie zu einer Dysregulation der intrazellulären Calciumspiegel. Letzteres kann zur Aktivierung intrazellulärer Proteasen führen bis hin zur Zellnekrose (16). Alternativ fanden wir aber auch die Induktion apoptotischer Prozesse im gastrointestinalen Epithel nach Belastung (Mooren, unveröffentlichte Beobachtung). Diese Schädigung des intestinalen Epithels kann auch durch die Zunahme der Konzentration freier Radikale erfolgen. Es ist sehr gut belegt, dass eine Ischämie und vor allem die nachfolgende Ischämie-ReperfusionReaktion zu einem deutlichen Anstieg reaktiver Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen führt (33, 8). Schließlich konnte sowohl in vitro als auch in vivo gezeigt werden, dass Hyperthermie zu einem Membranschaden und Eröffnung der Tight-junctions führt (17). Damit sind alle pathophysiologischen Faktoren in der Lage, die intestinale Permeabilität stufenweise über eine Eröffnung der Tight-junction, den Einzelzelluntergang bis hin zu strukturell-erosiven, hämorrhagischen Gewebeschäden zu induzieren. Hierbei darf nicht vergessen werden, dass bereits ab der Eröffnung der Tight-junctions eine erhöhte Permeabilität besteht, die über den Einstrom von Endotoxinen eine lokale als auch systemische Immunsystem-Aktivierung bewirkt. Dadurch wird lokal zusätzlich durch inflammatorische Modulatoren wie Tumor-Nekrose-Faktor-α oder Interleukin-1 eine inflammatorische Kaskade ausgelöst, die zumindest initial weitere Schäden an der intestinalen Barriere setzen kann. Die systemische Immunreaktion steht darüberhinaus im Verdacht an der Entstehung des belastungsinduzierten Hitzekollaps beteiligt zu sein (13). Inwieweit durch diesen möglichen Zusammenhang der gastrointestinalen Symptomatik während der Belastung eine Warn- bzw- Indikatorfunktion zukommt muss noch geklärt werden.
THERAPEUTISCHE MASSNAHMEN UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
Hat sich bei einem Sportler die Diagnose belastungsinduzierter, gastrointestinaler Beschwerden bestätigt, sollten Empfehlungen auf verschiedenen Handlungsfeldern ausgesprochen werden.Aus trainingsmethodischer Sicht empfiehlt es sich zunächst, im Trainingsplan die Intensität der Einheiten zu reduzieren. Gelingt es hierdurch, die Symptomatik zu mildern oder zu beseitigen, sollten im weiteren Trainingsaufbau die Trainingsintensitäten und -umfänge nur allmählich gesteigert werden, um eine entsprechende Anpassung zu gewährleisten. Ist der Athlet hierzu jedoch nicht bereit, weil er z.B. seine Wettkampfziele in Gefahr sieht, kann alternativ eine Variation der Belastungsart erwogen werden. Dieses sogenannte „Cross-Training“ (z.B. vom Laufen zum Radfahren) kann hilfreich sein, weiterhin relevante Trainingsstimuli zu setzen. Andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, dass der ambitionierte Langstreckenläufer natürlich auch seine Wettkampfziele durch dieses Vorgehen in Gefahr sehen kann.
Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht stehen zwei Faktoren im Vordergrund – Qualität/Quantität der aufgenommenen Nahrungsmittel sowie der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme (Tabelle 1). Die Aufnahme hochkalorischer, kohlenhydratbetonter Lebensmittel, die eine hohen Nährstoffdichte aufweisen, zwischen den Wettkampf- und Trainingsphasen wird empfohlen, um die absorptive Kapazität des Darms und die Kohlenhydratspeicher zu maximieren und um neben der Aufnahme der Makronährstoffe auch die der Mikronährstoffe sicher zu stellen. Dabei gelten für Ausdauerbelastungen von 1 bis 3h, wie sie während einer Marathonvorbereitung stattfinden, unter normaler Trainingsgegebenheiten die folgenden Nährstoffempfehlungen. Die Zufuhr von Kohlenhydrate sollte sich täglich auf 7 bis 12g pro kg Körpergewicht (4) und die Zufuhr an Eiweiß auf 1,2 bis 1,6g pro kg Körpergewicht und Tag belaufen (38). Die Aufnahme von Fetten sollte so gewählt sein, dass der Anteil der durch Fett aufgenommenen Energie mindesten 25% der Gesamtenergie ausmacht.
Unmittelbar vor und während eines Wettkampfes ist von Lebensmitteln mit hoher Nährstoffdichte aber abzusehen. Zum einen wird die gastrointestinale Symptomatik gefördert und zum anderen ist die Kohlenhydrataufnahme während der Belastung limitiert. Eine von Jeukendrup (2000) empfohlene Kohlenhydratzufuhr von 30- 60g Kohlenhydrate/Stunde auf Glucosebasis (Saccharose, Glucose, Maltodextrin) stellt mit 60g pro Stunde die oberer Grenze der intestinalen Transportkapazität dar (10). Eine Überversorgung ist daher sinnlos. Auch faserreiche Nahrungsmittel können aufgrund ihrer quellenden Eigenschaften zu deutlichen Problemen führen.
Der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme ist ein wichtiger Faktor für das Auftreten von belastungsinduzierten Beschwerden. Die Nahrungsaufnahme sollte nicht unmittelbar vor dem Wettkampf stattfinden (d.h. in etwa ab 90- 120min vor dem Start), allerdings ist es nicht möglich direkte Empfehlungen auszusprechen, denn es bestehen individuell sehr große Unterschiede. Die Verträglichkeit von Milchprodukten mit einem hohen Laktosegehalt ist häufig in Stresssituation vermindert und kann unter Belastung zu gastrointestinalen Beschwerden führen. Besser verträglich sind laktosearme oder laktosefreie Produkte.
Vor dem Wettkampf ist auf einen euhydrierten Zustand zu achten. Zwei bis drei Stunden vor dem Start sollten hierfür in Abhängigkeit der thermischen und individuellen Gegebenheiten noch 400- 600ml Flüssigkeit aufgenommen werden (29). Um auch während des Wettkampfs den Flüssigkeitshaushalt möglichst ausgeglichen zu halten (Abweichung um weniger als 2% des Körpergewicht) sind anzustreben) muss die Flüssigkeitsaufnahme dem Flüssigkeitsverlust angepasst werden (7). Für ausdauernde Wettkämpfe sollten von Beginn an in 15 bis 20min Intervallen 150 bis 350ml je nach individuellem Bedarf zugeführt werden. Für Wettkämpfe, die länger als 1 Stunde andauern werden Getränke mit einer Kohlenhydratkonzentration von 4- 8% und einer Natriumkonzentration von 500- 1100mg/L empfohlen. Hierbei ist zu beachten, dass der Natriumgehalt in den verschiedenen Mineralwassern sehr stark variieren kann. Ein sehr ausgeprägter Schweißverlust, die Aufnahme von zu wenig Natrium und/oder ein übermäßiges Trinken kann zu einer Hyponatriumämie führen. Besonders gefährdet sind hierbei Frauen bzw. sehr leichte Athleten und langsame Läufer. Ein weiterer Risikofaktor für die Hyponatriumämie sind kühle Umgebungstemperaturen. Um sie zu vermeiden sollte bereits im Training ein Trinkschema entwickelt werden und die Temperatur am Wettkampftag bedacht werden (29, 3).
Die Flüssigkeitsauswahl kann einen entscheidenden Einfluss auf die Symptome der belastungsinduzierten Beschwerden haben. Die Verträglichkeit von Saftschorle ist dabei individuell sehr verschieden. Die in ihnen enthaltene Fruchtsäure kann unter anderem an der Entwicklung einer Refluxsymptomatik und an einer verzögerten Magenentleerung beteiligt sein. Koffeinhaltige Getränk sollten auf Grund ihrer diuretischen Wirkung vermieden werden (26). Der Einsatz der im Ausdauersport häufig vorkommenden kohlenhydratreichen Iso-Getränke muss im Zusammenhang mit belastungsinduzierten Beschwerden kritisch betrachtet werden. Die Zusammensetzung der verschiedenen in dieser Sparte angebotenen Produkte ist sehr unterschiedlich. Auf Grund der osmotischen Wirksamkeit der Inhaltsstoffe kann es hier zu intestinalen Probleme kommen. Häufig sind Ausdauersportereignisse durch bestimmte Hersteller gesponsert und werden bei der Veranstaltung an den Verpflegungsstationen von diesen ausgestattet. In der Vorbereitung auf einen bestimmten Wettkampf empfiehlt es sich für Athleten, bei denen belastungsinduzierten Beschwerden häufig auftreten sich vorab über diese Produkte zu informieren und diese gegebenenfalls im Vorbereitungstraining bereits zu testen.
Da der Einfluss von Nahrungsmitteln für das Auftreten von belastungsinduzierten gastrointestinalen Beschwerden individuell sehr unterschiedlich ist, können keine allgemeingültigen Empfehlungen ausgesprochen werden. Ausgehend von den genannten für Ausdauersportlern geltenden Empfehlungen der American Dietetic Association, Dietitians of Canada, and the American College of Sports Medicine muss die individuelle Verträglichkeit ermittelt werden. Unverträglichkeiten von bestimmten Nahrungsmitteln sollte mit den genannten Möglichkeiten abgeklärt werden und eine individueller Kostplan in Zusammenarbeit mit einer auf Sportler spezialisierten Ernährungsfachkraft erarbeitet werden.
Im Übrigen gelten für Prävention und Therapie insbesondere der Refluxkrankheit und der Diarrhoen die gleichen Hinweise wie beim Nichtsportler. Alle Nahrungsmittel, die den Tonus des unteren Ösophagussphinkters vermindern können, wie z.B. Schokolade, Pfefferminz, Zwiebeln, fettige Speisen, Alkohol, Nikotin, Kaffee und Zitrusprodukte, sollten nur zurückhaltend aufgenommen werden. Nahrungsaufnahme bis zu 4h vor dem Schlafengehen führen häufig zu einer nächtlichen Refluxsymptomatik und sollten daher vermieden werden. Beim Schlafen sollte der Oberkörper leicht erhöht liegen. Therapeutisch werden H2-Antihistaminika und seit einigen Jahren, insbesondere bei Refluxösophagitis, Protonenpumpenblocker eingesetzt. Bei der unkomplizierten Diarrhoe steht die Flüssigkeitssubstitution im Vordergrund. Die Gabe eines Motilitätshemmers ggfls. auch vor einer größeren Belastung kann erwogen werden. Beim Vollbefund der ischämischen Kolitis ist eine stationäre Aufnahme mit intravenöser Rehydratation sowie nach Befund auch eine Antibiose ratsam. Operative Eingriffe zur Sanierung nekrotischer Darmbezirke wurden bislang bei Athleten in der Literatur nach Wissen der Autoren nicht beschrieben.
AUSBLICK
Die Ausgangsfrage der vorliegenden Übersichtsarbeit lautete „Schadet Marathonlaufen dem Gastrointestinalen System?“ Diese Frage kann nach den dargestellten Evidenzen zunächst einmal bejaht werden. Sie muss aber im Zusammenhang der grundsätzlichen Ambivalenz des Sports gesehen werden – Sport ist gesund, aber Sport stellt auch ein Risiko dar. Dies gilt für das gastrointestinale System genauso wie für jedes andere Organsystem. Allerdings muss deutlich betont werden, dass die schwerwiegenden Zwischenfälle, wie z.B. eine hämorrhagische Kolitis, doch sehr selten auftreten. Nichts desto trotz zeigt die hohe Zahl der Athleten mit moderater Symptomatik, dass der Gastrointestinaltrakt offensichtlich ein sensitiver Indikator sein kann für 1. das Verhältnis der aktuellen Leistung zur Leistungsfähigkeit bzw. Belastbarkeit und 2. die sportlichen Rahmenbedingungen, wie z.B. den Hydratationsstatus. Diese Rolle des enteralen Systems als Marker der Überlastung verdient sicherlich weitere Aufmerksamkeit. Und völlig unbeantwortet bleibt die Frage, welche Rolle die belastungsinduzierten Alterationen im Gastrointestinaltrakt für die Regenerationsphase des Sportlers besitzen. Insofern wäre es wünschenswert, wenn der Gastrointestinaltrakt hinsichtlich seiner Belastungsreaktionen und seiner Adaptationsfähigkeit mehr ins Visier der sportmedizinischen Forschung rücken würde.
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Prof. Dr. Frank Ch. Mooren
Abteilung für Sportmedizin
Justus-Liebig-Universität Gießen
Kugelberg 62
35394 Gießen
E-Mail: frank-christoph.mooren@sport.uni-giessen.de