Schadet Marathonlaufen dem Stütz- und Bewegungsapparat?
Is Marathon Running Detrimental to the Musculoskeletal System?
ZUSAMMENFASSUNG
Marathon- und Langstreckenläufe sind populär und werden aufgrund belegter, positiver Effekte auf die Lebensqualität und das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen zunehmend propagiert. Als Folge einer Zunahme an Läufern steigt die absolute Zahl an Patienten mit belastungsabhängigen Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates ebenfalls an. Es wird von einer Inzidenz von bis zu 70% ausgegangen. In der Ätiologie laufspezifischer Beschwerden wird zwischen internen und externen Einflüssen differenziert, wobei eine multifaktorielle Genese angenommen wird. Als gesichert gilt ein Zusammenhang zwischen Beschwerden und dem Laufumfang (>60km/Wo), dem Trainingsalter und zurückliegenden laufspezifischen Pathologien. Eine Kausalität zwischen Laufbelastungen und einer akuten Schädigung bzw. der Entwicklung einer symptomatischen Knie- oder Hüftgelenksarthrose konnte bisher nicht abschließend belegt werden. Die überwiegende Mehrzahl der Beschwerdebilder betrifft die Achillessehne, die Knieregion, die untere LWS, die Plantaraponeurose oder die vordere Schienbeinkante. Der Schweregrad ist meist gering. Therapeutisch und präventiv werden unterschiedliche, meist konservative Konzepte verfolgt, die i.d.R. zu einer restitutio ad integrum führen. Auf Basis der derzeitigen Datenlage kann davon ausgegangen werden, dass Laufbelastungen einem Stütz- und Bewegungsapparat ohne Vorerkrankungen nicht nachhaltig schaden. Voraussetzung ist allerdings eine sukzessive, angepasste Steigerung des Laufumfangs, eine begleitende Kräftigung und ein sensomotorisches Training.
Schlüsselwörter: Laufsport, Verletzung, Überlastungsreaktion, Tendinopathie, Arthrose.
SUMMARY
Marathon running is still popular mostly due to positive effects on life style and cardiovascular health. However, due to the increasing number of active runners, running injuries and overuse of the musculoskeletal system have to be taken into account. Regarding predictive variables for an incidence of up to 70% of runners suffering from running related injuries, recent data differentiate between internal and external factors whereas a multifactorial background is assumed. There is evidence that a mileage of more than 40miles/week, insufficient running experience and former running injuries increase the risk for subsequent injuries. Most of the pathologies are located at the Achilles tendon, the knee area, the lower back, the plantaraponeurosis and the shin. Severeness of the injuries is mostly low. There is no evidence for acute damage after a marathon run as well as no final evidence for the development of hip or knee osteoarthritis. Prevention and therapy leads to restitutio ad integrum in the majority of cases. Based on recent investigations we can summarize that running is not detrimental to a healthy musculoskeletal system. A slow and adjusted increase in weekly running mileage as well as an additional strength and sensory motor training is required to avoid overuse injuries.
Key words: Running, injury, overuse, tendinopathy, osteoarthritis
EINLEITUNG UND HINTERGRUND
Laufsport erfreut sich nach wie vor einer uneingeschränkten Popularität (4). Aktuelle Daten zeigen eine Zunahme des Anteils von Laufsportlern an der Gesamtbevölkerung auf rund 15% bis 25% (4, 20). Darüber hinaus kann eine Zunahme der weiblichen Läuferinnen auf mittlerweile rund 40% der Laufsportler verzeichnet werden (20). Dem Marathonlauf kommt dabei ein erhöhtes Interesse zu, was letztlich auch durch die Vielzahl der Marathonveranstaltungen in Deutschland belegt werden kann. Betrachtet man die Anzahl derjenigen Läufer und Läuferinnen, die einen Marathonlauf in Rahmen einer offiziellen Veranstaltung abgeschlossen haben, zeigt sich für die Jahre 2003- 2008 eine nahezu konstante Zahl um 130.000 Athleten pro Jahr (www.marathon.de).
Die absolute Anzahl an Beschwerden des Stütz- und Bewegungsapparates hat zwar zugenommen, jedoch sind das relative Verletzungsrisiko und der Schweregrad im Vergleich zu anderen Sportarten gering. Meist handelt es sich um Überlastungsbeschwerden mit geringem bis mittlerem Beschwerdegrad, allerdings bei häufig längerer Dauer (6, 16, 17, 24). Akute Verletzungen treten sehr selten auf. Nguyen et al. untersuchten die Notwendigkeit der Inanspruchnahme medizinischer Hilfe während eines Marathonlaufs an insgesamt 4.837 Läuferinnen und Läufern (18). Sie konnten zeigen, dass medizinische Hilfe in rund 2/3 der Fälle am Ende des Rennens erforderlich ist und dies mehrheitlich bei Erstabsolventen. In der Summe ergaben sich 251 Behandlungsfälle, die meist (34%) muskuloskelettale Beschwerden betrafen. 26% der Athleten erhielten eine Medikation z.B. aufgrund von Kopfschmerzen, 19% wurden aufgrund von Schwindel und Dehydratation, 11% aufgrund von Hautverletzungen behandelt (18). Alonso et al. analysierten die Beschwerde- und Verletzungsrate während der IAAF Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2007 in Osaka (1). Erfasst wurden Verletzungen und Beschwerden aller Disziplinen. Auffällig war, dass bei einer Beschwerdehäufigkeit von insgesamt 192 Fällen an 1660 Athleten aus 49 Nationen (97/1000 akkreditierten Athleten) neben dem Zehnkampf v.a. die längeren Laufdisziplinen (10000m-Lauf der Frauen, 3000m-Hindernislauf der Frauen, Marathon der Männer) betroffen waren (1). 80% der Fälle betrafen die untere Extremität und wurden meist als Überlastungsfolge (overuse injury) dokumentiert (1).
Die Frage nach möglichen (ggf. dauerhaften) Schädigungen des Stütz- und Bewegungsapparats durch hochumfängliche Laufbelastungen wird seit geraumer Zeit diskutiert. Häufig wird dabei - unter der Annahme repetitiver Mikrotraumata für Knorpel, Knochen, Sehnen und Bänder - angeführt, dass die erhöhte, wiederholte Last über die Toleranzgrenze der Strukturen hinaus geht. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Risiken für mögliche, degenerative Gelenkschädigungen sowie irreversible Sehnenpathologien zu diskutieren. Darüber hinaus ist zu differenzieren, ob der Marathonlauf per se ein erhöhtes Schädigungspotenzial birgt oder ob laufspezifische Pathologien auf dem Boden einer bereits vorliegenden Schädigung entstehen. Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings einerseits die mittlerweile gut nachgewiesene hohe Adaptation aller Gewebestrukturen durch körperliche Aktivität und andererseits der in der Regel unkomplizierte Verlauf und Schweregrad laufspezifischer Beschwerden. Schließlich muss berücksichtigt werden, dass die Mehrzahl der Fälle einer konservativen Therapie bis zur restitutio ad integrum zugänglich ist.
EPIDEMIOLOGIE UND RISIKOFAKTOREN HÄUFIGER KRANKHEITSBILDER IM LAUFSPORT
Sowohl für die prognostische Beurteilung möglicher (dauerhafter) Beschwerden und deren Verläufe, als auch für eine effiziente Therapie und Prävention spielt die Kenntnis beschwerdeauslösender Faktoren eine zentrale Rolle. Allerdings ist die Datenlage diesbezüglich derzeit lückenhaft. Somit basiert die überwiegende Anzahl an Erklärungsansätzen auf Empirie und weniger auf kontrollierten Daten im Längsschnitt. Zum Großteil liegt dies nicht an fehlenden oder nicht nachweisbaren Effekten, sondern häufig an einer Einschränkung der Untersuchungsqualität, zumindest nach den derzeitig gültigen Kriterien der evidenz-based medicine.
Laufspezifische Beschwerden können an multiplen Lokalisationen der unteren Extremität und des lumbosakralen Übergangs auftreten. In der Regel handelt es sich dabei um Überlastungsreaktionen. Häufig sind Tendinopathien, unspezifische, untere Rückenbeschwerden, patello-femorale Beschwerden, periostale Stressreaktionen sowie eine Reihe seltener auftretender Krankheitsbilder (vgl. Tabelle 1; 6, 16, 24). Wenngleich der Schweregrad der Pathologien gering ist, müssen rund 30- 75% aller Läufer im Verlauf ihrer Karriere (meist) mit Überlastungsbeschwerden rechnen (3). Verschiedene Autoren befassten sich in der Vergangenheit mit der Analyse möglicher beschwerdeprädisponierender Faktoren und differenzierten hierbei zwischen intrinsischen (den Läufer betreffenden) und extrinsischen (die Laufumgebung betreffenden) Faktoren (2, 3, 6, 24). Als gesichert für ein erhöhtes Beschwerderisiko gelten das Vorhandensein einer Vorverletzung, ein geringes Trainingsalter und ein hoher Laufumfang über rund 60 Trainingskilometer pro Woche. Van Middelkoop et al. evaluierten vor bzw. im Laufe des Rotterdam-Marathons die Häufigkeit von Beschwerden während des Laufes. Von insgesamt 1500 Befragten antworteten 694, wovon 165 Beschwerden angaben. Insgesamt 17 dieser Läufer mit Beschwerden (10,3%) beendeten schließlich den Marathon nicht (25). 3 Monate nach dem Wettkampf beklagten lediglich noch 42 Patienten Beschwerden bei Belastung, 27 hatten eine ärztliche Behandlung in Anspruch genommen. Bezüglich einer Therapie gaben 40 Athleten an physiotherapeutisch behandelt worden zu sein (insgesamt 218 Behandlungen). In der Summe ergab sich somit ein weiterer Beleg für den geringen Beschwerdegrad und einen unkomplizierten Verlauf bei geringen sozialen und klinischen Konsequenzen (25).
Van Gent et al. publizierten 2007 eine Übersicht zu Inzidenzen und Determinanten laufspezifischer Beschwerden (24). Nach Sichtung von insgesamt 1113 Titeln bzw. Abstracts wurden 172 relevante Artikel extrahiert, wovon schließlich 17 (13 prospektive und 4 retrospektive Kohortenstudien) mit insgesamt 12850 Läufern in den Überblick eingeschlossen wurden. Die Wettkampfstrecke der eingeschlossenen Läufer war überwiegend der Marathonlauf. Es ergab sich eine Inzidenz laufspezifischer Beschwerden je nach Autor und Methode zwischen 19,4 und 79,3% (Oberschenkel 3,4- 38,1%, Knie 7,2- 50%, Unterschenkel 9- 23,2%, Fuß und Zehen 5,7- 39,3%). Die Angaben zur Notwendigkeit einer Medizinischen Therapie der Beschwerden variierten zwischen 6,2 und 17,9% (24). Uneinheitlich zeigten sich die Ergebnisse bezüglich der Analyse beschwerdeauslösender Faktoren, die von den Autoren in die Bereiche „systemisch“, „Training“, „Gesundheit“ und „Lebensstil“ eingeteilt wurden. Steigendes Alter sowie anthropometrische Daten lassen kein einheitliches Bild einer evidenzbasierten Beurteilung zu; eine in der Biomechanik häufig diskutierte Ausrichtung der Skelettachsen (so genanntes Alignment) wird als nicht relevant eingestuft. Ebenso haben Untergrund, Tageszeit, Streckenprofil und Laufgeschwindigkeit offensichtlich keinen Einfluss auf das Risiko von Laufbeschwerden. Als evident werden dagegen ein hoher Laufumfang (>60km/Woche bei Männern) und bereits vorhandene Beschwerden in der Vorgeschichte eingestuft. Lebensstilfaktoren wie Alkoholgenuss, Rauchen und die parallele Ausübung anderer Sportarten sind von eher untergeordneter Bedeutung (24).
Laufanfängern bzw. Läufern mit geringer Lauferfahrung wird ein höheres Beschwerderisiko beigemessen (4). Buist et al. untersuchten 532 Laufanfänger im Alter zwischen 18 und 65 Jahren, die sich mit einem 13-wöchigen Trainingsprogramm auf einen 4-Meilen-Lauf vorbereiteten. Das Trainingsprogramm der Läufer bestand aus wöchentlich 3 Einheiten kombiniertem Lauf- und Gehtraining (selbst gewähltes Tempo, Strecke der Wahl). Die Ergebnisse ergaben 33 Beschwerdefälle pro 100 Trainingsstunden (20,6/100 Läufer). Für Laufanfänger fand sich v.a. ein Zusammenhang zu Vorverletzungen, bei Männern zum BMI und zuvor ausgeübter Sportart. Interessant ist zudem, dass die Vorerfahrung in Sportarten mit axialer Belastung des Stütz- und Bewegungsapparats als Prädiktor für eine reduzierte Beschwerderate nachgewiesen werden konnte.
Fredericsson beschreibt in seiner Übersicht aus dem Jahre 2007, dass davon auszugehen ist, dass 2/3 aller Läufer Beschwerden entwickeln können, die zu einer Reduktion der Laufbelastung führen. Marathonläufer sind davon besonders betroffen; ältere, erfahrene Läufer sind deutlich weniger verletzt (6). Verglichen mit anderen Sportarten ist die Verletzungs- und Beschwerderate im Laufsport dennoch sehr gering und zeichnet sich zudem durch einen geringen Schweregrad der Pathologien aus. Als prädisponierende Faktoren diskutieren die Autoren ebenso eine positive Vorgeschichte bezüglich laufspezifischer Beschwerden und eine zu schnelle Steigerung des Laufumfangs (>40 Meilen/Woche; relatives Risiko 2,88).
Hesar et al. untersuchten den Einfluss ganganalytischer Faktoren auf mögliche Beschwerden der unteren Extremität an 131 Gesunden während einer Trainingsperiode von 10 Wochen mit 3 Trainingseinheiten pro Woche (8). Erfasst wurden laufspezifische Überlastungsbeschwerden bei 27 Probanden. Auf Basis plantarer Druckverteilungsmessungen werteten die Autoren eine geringere Pronation des Rückfußes während des Aufkommens und einen lateral ausgerichteten Abrollvorgang als Risikofaktoren für Überlastungsbeschwerden. Azevedo et al. fanden an 21 Läufern mit einer Tendinopathie der Achillessehne ein reduziertes Bewegungsausmaß des Kniegelenkes und eine reduzierte Aktivität des M. tibialis anterior (vor Bodenkontakt) bzw. der Mm. rectus femoris und gluteus medius (nach Bodenkontakt). Die Autoren folgern, dass Läufer mit einer Tendinopathie der Achillessehne eine veränderte Kniekinematik und eine reduzierte muskuläre Aktivität aufweisen (2). Rehabilitationsprogramme und mögliche Konzepte der Schuh- und Einlagenversorgung sollten dies berücksichtigen.
Eine bedeutsame Pathologie im Laufsport ist das sogenannte mediale Tibiakantensyndrom. Hubbard et al. untersuchten mögliche Risikofaktoren für das Auftreten dieser Pathologie an 146 Athleten während einer Laufsaison (9). Insgesamt entwickelten 29 Athleten während des Beobachtungszeitraums Beschwerden im Bereich der medialen Tibiakante. In der retrospektiven Betrachtung der Fälle zeigte sich schließlich eine Häufung bei Athleten mit einem Trainingsalter unter 5 Jahren und bereits zurückliegenden Stressfrakturen oder medialem Tibiakantensyndrom. Raissi et al. untersuchten den Einfluss der Beinachse auf ein mögliches Auftreten medialer Schienbeinkantenbeschwerden (19). Sie fanden die Beschwerden bei rund 20% der Athleten über einen Beobachtungszeitraum von 17 Wochen, sahen allerdings keinen Zusammenhang zu den erfassten Variablen der Beinachse.
AKUTE BELASTUNGSREAKTIONEN UND DEGENERATIVE GELENKVERÄNDERUNGEN
Für die Diskussion einer möglichen Schädigung des Stütz- und Bewegungsapparats durch Marathonläufe ist es notwendig sowohl die aktuelle Belastung direkt nach dem Lauf zu erfassen, als auch längerfristige Veränderungen insbesondere des Gelenkknorpels zu analysieren. Die aktuelle Belastung durch einen Marathonlauf wurde insbesondere für das Kniegelenk untersucht (22, 23). Durch MRT-Aufnahmen vor dem Lauf konnten (im Vergleich zu einer Kontrollgruppe) die bereits bestehenden Pathologien erfasst und deren Progredienz durch Kontrollaufnahmen nach dem Lauf dokumentiert werden.
Hagemann et al. evaluierten in ihrer MRT-Studie mögliche Kniepathologien nach einem Ultramarathon und diskutierten die Frage, ob die Belastung vorbestehende Pathologien exazerbieren ließ (7). Eingeschlossen wurden 10 randomisiert ausgewählte Athleten, die einen Marathon an 5 aufeinanderfolgenden Jahren absolvierten. MRT-Aufnahmen des Kniegelenkes wurden 48h vor, 48h nach und einen Monat nach dem Marathon durchgeführt. In allen gescannten Kniegelenken konnte vor dem Rennen eine vermehrte Flüssigkeitsansammlung nachgewiesen werden, welche sich bei 5 der Probanden nach dem Rennen erhöhte. Auffällig war darüber hinaus eine Erhöhung der Signalintensität der Patella- und Quadricepssehne bei 6 Läufern. Die überwiegende Mehrzahl der Befunde war einen Monat nach dem Marathon rückläufig oder nicht mehr vorhanden. Vorbekannte Beschwerden wurden durch den Lauf nicht beeinflusst. Es ergab sich kein Hinweis für Knochen- oder Knorpelläsionen. Zu vergleichbaren Ergebnissen kamen SchuellerWeidekamm et al. in ihrer Untersuchung an 22 nicht-professionellen Marathonläufern (22). Ebenfalls anhand vor und nach dem Lauf durchgeführter MRT-Aufnahmen konnten sie zeigen, dass der Marathon keine ernsthaften Schädigungen von Knorpel, Knochen, Sehnen und Bändern auslöst (22). Evident war lediglich eine leichte Zunahme der intraartikulären Flüssigkeit des Kniegelenkes. Stahl und Mitarbeiter verglichen Knie-MRTs von Marathonläufern vor und nach einem Wettkampf mit einer Kontrollgruppe bestehend aus körperlich aktiven Probanden (23). Da die Läufer im Vergleich zu den Kontrollpersonen eine gering höhere Rate an Knorpelabnormalitäten aufwiesen, wurde den Athleten ein gering höherer jedoch nicht statistisch signifikanter MRI-Score für Kniegelenkpathologien zugewiesen. Der Marathonlauf per se führte nicht zu einer Veränderung der bildgebenden Befunde.
Häufig kontrovers diskutiert wird die Frage nach einem erhöhten Arthroserisiko durch Laufbelastungen (11, 12, 13, 21, 26) (Tab. 2). Verschiedene Arbeiten konnten hierzu allerdings zeigen, dass Laufbelastungen per se ein nur geringes Risiko für die Entwicklung einer Hüft- oder Kniegelenksarthrose bergen, sofern keine Vorverletzungen an den betroffenen Gelenken bestehen (5). Kettunen et al. untersuchte eine hohe Zahl an ehemaligen Athleten mit einem Wettkampfniveau auf internationaler Ebene bezüglich einer späteren Entwicklung einer Knie- und/oder Hüftgelenksarthrose (10). Sie fanden mit zunehmendem Alter ein höheres Risiko bei einem BMI >25, Vorverletzungen und einer zusätzlichen, hohen körperlichen Berufsbelastung (10). Im Vergleich mit anderen Sportarten ergab sich für den Langstreckenlauf sowohl bezüglich Knie- als auch Hüftgelenksbeschwerden eine odds ratio unter 1.0. Kujala et al. führten eine Nachuntersuchung ehemaliger Eliteathleten (2448 männliche Athleten, die Finnland in den Jahren 1920- 1965 an Olympischen Spielen, Welt- oder Europameisterschaft oder anderen internationalen Wettkämpfen vertraten) durch und analysierten die Anzahl an Probanden, die aufgrund einer Arthrose in einem Krankenhaus behandelt wurden (12). Die Ergebnisse zeigen, dass im Vergleich zu einer Kontrollgruppe – betrachtet über alle Sportarten – etwa 3x so viele ehemalige Athleten aufgrund einer Arthrose (v.a. Hüft- und Kniegelenksarthrose) behandelt wurden. Der Vergleich der Sportarten ergab allerdings, dass Laufsport eine deutlich geringere Behandlungsrate aufwies und insbesondere posttraumatische Arthrosen zu berücksichtigen waren (12).
SCHLUSSFOLGERUNGEN
Auf Basis derzeitiger Publikationen ist nicht davon auszugehen, dass Marathonbelastungen ein gesundes muskuloskelettales System nachhaltig schädigen. Nachgewiesen werden konnte bisher, dass durch die Belastung von einem begrenzt zunehmenden intraartikulären Flüssigkeitsgehalt und einer höheren Sehnenbelastung auszugehen ist. Beide Befunde sind jedoch bereits nach kurzer Zeit rückläufig; ob eine nachhaltige Adaptation an Laufbelastungen ohne Flüssigkeitsansammlung und Sehnenbelastung möglich ist, bleibt offen und ist durch weitere Längsschnittuntersuchungen zu klären. Unter Einbeziehung bekannter Prädiktoren ist einer positiven Vorgeschichte bezüglich laufspezifischer Beschwerden bzw. Vorschädigungen dagegen eine höhere Bedeutung beizumessen. Somit kommt der Sekundärprävention (z.B. durch regelmäßiges Krafttraining und sensomotorisches Training) bei bekannten Laufbeschwerden ein hoher Stellenwert zu. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die Frage nach möglichen degenerativen Gelenkveränderungen durch Marathonlaufen zu diskutieren. Kann bei Gesunden davon ausgegangen werden, dass kein erhöhtes Risiko besteht (demgegenüber aber eine Reihe von präventiven orthopädischen und kardiovaskulären Effekten nachgewiesen ist), kann auf dem Boden einer Vorschädigung in Kombination mit einem hohen Laufumfang (>60 Trainingskilometer/Woche) im Einzelfall ein erhöhtes relatives Risiko nachweisbar sein (Tab. 3).
Im Vergleich verschiedener Studien ist die oft unterschiedliche Definition laufspezifischer Beschwerden (Ausmaß, Lokalisation) zu beachten. Unterschiedliche Angaben für die Inzidenz sind meist dadurch bedingt, dass verschiedene Klassifikationen und Definitionen für eine Laufsportverletzung verwandt werden. Darüber hinaus werden die Untersuchungen meist in verschiedenen Studiendesigns (z.B. prospektiv, retrospektiv) an unterschiedlichen Populationen durchgeführt (z.B. Freizeitläufer, Spitzensportler, Laufanfänger) und auf unterschiedliche Bezugsgrößen (Trainingsbelastung, Beobachtungszeitraum und follow-up) bezogen. Eine abschließende Bewertung scheint demnach derzeit schwierig (Tab. 3).
Auf Basis der aktuell verfügbaren Daten ist zumindest davon auszugehen, dass die positiven Effekte von Laufsport im Allgemeinen und dem Marathonlauf im Speziellen, bei weitem das Risiko einer Schädigung des Stütz- und Bewegungsapparates überwiegen.
Angaben zu finanziellen Interessen und Beziehungen, wie Patente, Honorare oder Unterstützung durch Firmen: Keine.
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Prof. Dr. Frank Mayer
Hochschulambulanz der Universität Potsdam
Zentrum für Freizeit-, Gesundheits- und Leistungssport
Am Neuen Palais 10
14469 Potsdam
E-Mail: fmayer@uni-potsdam.de