Die maximale Herzfrequenz
Maximum Heart Rate
ZUSAMMENFASSUNG
Die maximale Herzfrequenz (HFmax) dient in der sportmedinischen und kardiologischen Praxis als Ausbelastungskriterium. Die gängigste Formel für die Berechnung ist HFmax = 220 – Lebensalter für die Laufbandergometrie und 200 – Lebensalter für die Fahrradergometrie. Die hohe interindividuelle Variabilität und zu einem geringeren Teil der Einfluss von Medikamenten (insbesondere Betablocker) limitieren die Aussagekraft der HFmax als Ausbelastungskriterium. Das Überschreiten der HFmax bei der Ergometrie allein ist kein Abbruchkriterium.
EINLEITUNG
Die Herzfrequenz unter körperlicher Belastung, die sich mittels Herzfrequenzmesser („Pulsuhr“) oder idealerweise mittels EKG-Ableitung leicht bestimmen lässt, steigt in der Regel linear mit der erbrachten Leistung und kann nahe der Maximalleistung abflachen. Die HFmax findet als Ausbelastungskriterium Anwendung, wobei interindividuell eine nicht unerhebliche Streuung besteht. Diese Streuung wird in der Literatur mit einer Standardabweichung von 10–15 Schlägen/min angegeben (5, 7). Die HFmax ist in erster Linie abhängig vom Alter, in geringerem Ausmaß auch vom Trainingszustand und Geschlecht (2). Die Art der Belastung (z. B. Rudern, Laufen, Radfahren) bzw. die Größe der hierbei eingesetzten Muskelmasse hat Einfluss auf die kardiale Ausbelastung und damit ebenfalls auf die HFmax (3).
FAUSTFORMELN FÜR HF MAX
Die am häufigsten benutzte Formel, die einfach anzuwenden ist und allgemein akzeptiert wird, lautet HFmax = 220 - Lebensalter. Diese Formel tendiert dazu, die HFmax bei Personen oberhalb des 4. Lebensjahrzehnts zu unterschätzen (7). Genauer, aber in der Anwendung komplizierter, sind Formeln wie HFmax= 207 - (Alter x 0,7) (5). Obwohl Frauen eine etwas niedrigere HFmax aufweisen als Männer, werden die jeweiligen Formeln meist ohne Korrekturfaktor für beide Geschlechter angewendet. Es existieren aber frauenspezifische Faustformeln wie HFmax = 206 - (Alter x 0,88) (2). Hochtrainierte Ausdauersportler können eine etwas geringere HFmax aufweisen als Untrainierte, ohne dass beim Vergleich größerer Gruppen statistisch signifikante Unterschiede bestehen, während die Körperdimensionen ohne Einfluss zu sein scheinen (4).
Die maximal erreichbaren Herzfrequenzen sind mit der Ruheherzfrequenz assoziiert: Während die Ruheherzfrequenz nach dem 30. Lebensjahr mit fortschreitendem Alter nur sehr leicht absinkt, nimmt die HFmax nach dem 20. Lebensjahr um etwa 6- 8 Schläge alle 10 Lebensjahre ab. Dieser Effekt ist unabhängig vom Trainingszustand (2, 5). Eine Abnahme der intrinsischen Herzfrequenz (= HF nach kompletter Blockade aller vegetativen Stimuli) sowie der Betarezeptorendichte und -stimulierbarkeit mit einem daraus resultierenden verminderten chronotropen Ansprechen auf sympathikotone Stimulation sind die wahrscheinlichsten Ursachen für dieses Phänomen (1).
HF MAX UNTER VERSCHIEDENEN BELASTUNGSARTEN
Das Erreichen der HFmax ist von der Art der Belastung abhängig und wird in der Regel nur beim Laufen und Rudern erzielt. Etwa 10% niedrigere Herzfrequenzen erreicht man beim Radfahren in aufrecht sitzender Position. Im Vergleich zum Laufen oder Rudern wird beim Radfahren weniger Muskulatur eingesetzt, so dass die lokale Muskelermüdung meist vor der kardiopulmonalen Ausbelastung erfolgt. Lediglich hochtrainierte Radsportler können aufgrund der für sie sportspezifischen Belastung ähnlich hohe Herzfrequenzen auf dem Fahrrad im Vergleich zum Laufen erreichen. Bei der in Deutschland weit verbreiteten Fahrradergometrie verwendet man aufgrund der einfachen Handhabung die Faustformel HFmax= 200 – Lebensalter, wobei insbesondere bei älteren Patienten dieser Wert eher den frühesten Zeitpunkt der Ausbelastung kennzeichnen dürfte (3). In der Krankenversorgung werden Fahrradergometrien gelegentlich in halb sitzender oder liegender Position durchgeführt. Hierbei liegen die maximal erreichbaren Herzfrequenzen um etwa 5- 10% niedriger als in der aufrechten Position (3).
Beim Schwimmen werden die geringsten Herzfrequenz- maxima erreicht. Wesentliche Ursachen sind die horizontale Körperposition und der Immersionseffekt. Daraus resultiert ein verbesserter venöser Blutrückfluss und somit eine bessere diastolische Herzfüllung, die über den Frank-Starling-Mechanismus höhere Schlagvolumina generiert. Außerdem kommt es beim Eintauchen in das Wasser zu einem vagal vermittelten Tauchreflex, ein aus der Entwicklungsgeschichte stammender Sparreflex. Auch Leistungsschwimmer erzielen bei einer ausbelastenden Leistungsdiagnostik im Wasser etwas geringere maximale Herzfrequenzen als im Rahmen einer Fahrradergometrie. Trotzdem ist es zu leistungsdiagnostischen Zwecken sinnvoll, bei Sportlern sportartspezifische Ergometrieformen zu wählen, selbst wenn hierbei nicht das Erreichen der höchstmöglichen Herzfrequenzen gelingen sollte.
Analog zur maximal erreichten Sauerstoffaufnahme (VO2max versus VO2peak) könnte bezüglich HFmax zwischen der absoluten, also „wahren“ HFmax und einer bei einer spezifischen Belastung erreichten maximalen Herzfrequenz (HFpeak) unterschieden werden. HFpeak wäre identisch mit HFmax, wenn eine dynamische Belastung unter Einsatz einer größtmöglichen Muskelmasse und mit maximaler Anstrengung durchgeführt werden würde. Ansonsten würde die HFpeak niedriger liegen. Diese Differenzierung erscheint sinnvoll, ist aber bislang nicht etabliert.
PRAKTISCHE ANWENDUNG IN DER GESUNDHEITS- UND LEISTUNGSDIAGNOSTIK
Die HFmax ist im klinischen Alltag oft das einzig verfügbare Ausbelastungskriterium. Es sind deutliche individuelle Abweichungen von der kalkulierten HFmax möglich. Des Weiteren muss berücksichtigt werden, dass das Erreichen der HFmax motivationsabhängig ist. Personen, die eine überdurchschnittlich hohe HFmax aufweisen und im klinischen Sprachgebrauch „Hochpulser“ genannt werden, können bereits bei submaximaler Belastung Herzfrequenzen aufweisen, die der formelberechneten HFmax entspricht. In diesen Fällen und wenn die HFmax mit einer größtmöglichen Sicherheit bestimmt werden soll, stehen ergänzend metabolische Ausbelastungskriterien mittels Spiroergometrie (Respiratorischer Quotient zum Zeitpunkt der maximalen Belastung; Plateaubildung [„Levelling off “] der Sauerstoffaufnahme) oder eine Laktatbestimmung (Maximalwert in den ersten Nachbelastungsminuten) zur Verfügung. Die Bestimmung dieser Parameter erfordert allerdings einen deutlich höheren technischen Aufwand und damit verbundene Kosten, so dass diese Verfahren nicht der täglichen Routine zur Verfügung stehen. Doch selbst wenn wie empfohlen die HFmax bzw. „HFpeak“ sportartspezifisch und bei guter Motivation des Sportlers ermittelt wird, bleibt im Einzelfall für die Ableitung von Trainingsempfehlungen stets eine bedeutsame Unsicherheit bestehen (6).
In der ergometrischen Diagnostik ist eine symptomlimitierte Ausbelastung anzustreben; das Erreichen der errechneten maximalen Herzfrequenz sollte weder bei Leistungstests noch bei Gesundheitsuntersuchungen ein Abbruchkriterium sein, wenn keine Beschwerden bestehen sowie EKG und Blutdruck normal sind (3). Mit dem Grad der kardiozirkulatorischen Ausbelastung, respektive der Höhe der erreichten Herzfrequenz, wird die diagnostische Sensitivität bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Bei Gesundheitsuntersuchungen wird man in der Regel pragmatisch vorgehen. Da Laufband- oder Ruderergometrien selten zur Verfügung stehen, gewisse koordinative Leistungen voraussetzen, die EKG-Ableitung während Belastung oft artefaktüberlagert ist und diese Geräte darüber hinaus teurer in der Anschaffung sind, ist die Fahrradergometrie die in Europa am weitesten verbreitete Ergometrieform.
Ausbelastende Ergometrien können bei Ausdauersportlern Hinweise auf das Vorliegen der oft schwierig zu stellenden Diagnose eines sogenannten Übertrainings oder Überlastungs-Syndroms liefern. Die „wahre“ HFmax kann in diesen Fällen typischerweise nicht mehr erreicht werden, während die Laktatschwellen oft noch unverändert sind (8).
Verschiedene Erkrankungen können Einfluss auf Ruhe-und Belastungsherzfrequenz nehmen, beispielsweise ein kranker Sinusknoten (Sick-Sinus-Syndrom) oder Schilddrüsenfunktionsstörungen. Außerdem muss die Wirkung von brady- oder tachykardisierenden Medikamenten berücksichtigt werden. Während Digitalis und negativ chronotrope Kalziumantagonisten (Verapamil, Diltiazem) vorrangig die Ruheherzfrequenz beeinflussen, senken Betarezeptorenblocker darüber hinaus die Herzfrequenz unter Belastung einschließlich HFmax. Eine mittelhohe Dosis eines kardioselektiven Betablockers senkt die Ruheherzfrequenz und die HFmax um ca. 10 bzw. 30 Schläge pro Minute bei aber deutlich interindividueller Streuung. Der f-Ionenkanalblocker Ivabradin in üblicher Dosis senkt unter weitestgehend unveränderter Herzfrequenzreserve die Ruhe- und maximale Herzfrequenz um ca. 10-15 Schläge pro Minute. Natrium- und kaliumkanalblockierende Antiarrhythmika ( früher Klasse I und III nach Vaughan/Williams) verlangsamen die Ruhe- und Belastungsherzfrequenz. Medikamente mit relevanter tachykardisierender Wirkung werden sehr viel seltener eingenommen und besitzen in therapeutischer Dosis bezüglich der HFmax im klinischen Alltag eine zu vernachlässigende Bedeutung.
FAZIT
Die HFmax ist ein leicht zugängliches Ausbelastungskriterium und in erster Linie abhängig vom Lebensalter. Die höchste HFmax wird bei dynamischen Belastungen mit Einsatz einer großen Muskelmasse wie Laufen oder Rudern erreicht. Die hohe interindividuelle Variabilität limitiert die Aussagekraft, was auch bei der Ableitung von Trainingsempfehlungen auf der Basis von Prozentwerten der HFmax berücksichtigt werden muss. Im Bedarfsfall stehen ergänzende metabolische Ausbelastungskriterien (Spiroergometrie, Laktat) zur Verfügung. Eine Unterscheidung zwischen der absoluten, also „wahren“ HFmax und einer bei einer spezifischen Belastung erreichten maximalen Herzfrequenz (HFpeak) erscheint sinnvoll, ist aber bislang nicht etabliert.
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LITERATUR
- Decreased maximal heart rate with aging is related to reduced β-adrenergic responsiveness but is largely explained by a reduction in intrinsic heart rate. J Appl Physiol 105 (2008) 24 - 29.
- Heart rate response to exercise stress testing in asymptomatic women. Circulation 122 (2010) 130 - 137.
- Ergometrie-Empfehlungen für die ärztliche Praxis. Dtsch Z Sportmed 38 (1987) 244 - 322.
- The effect of age and athletic training on the maximal heart rate during muscular exercise. Am Heart J 76 (1968) 370 - 376.
- Heart rate prescriptions from performance and anthropometrical characters. Med Sci Sports Exerc 34 (2002) 881 - 887.
- Exercise at given percentages of VO2max: hetero- geneous metabolic responses between individuals. J Sci Med Sport 13 (2010) 74 - 79.
- Age-predicted maximal heart- rate revisited. J Am Coll Cardiol 37 (2001) 153 - 156.
- Diagnosis of overtraining: what tools do we have? Sports Med 32 (2002) 95 - 102.
Dr. med. Ulf Such
Universität des Saarlandes
Institut für Sport- und Präventivmedizin
66041 Saarbrücken
E- Mail: u.such@mx.uni-saarland.de