Sportmedizin im Wandel – Wandel durch Sportmedizin
Sports Medicine in Change - Change through Sports Medicine
2012 wird DAS sportmedizinische Ereignis gefeiert: 100 Jahre Deutsche Sportmedizin. Die Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Rehabilitation (DGSP) ist damit weltweit die älteste sportmedizinische Vereinigung, zugleich eine der ältesten medizinischen Fachgesellschaften in Deutschland (1, 2, 6).
Rückblick
Im ersten Heft diesen Jahres wurden bereits Aspekte der Geschichte der Deutschen Sportmedizin dargestellt (1). Die Sportphysiologie und Sportmedizin ist naturgemäß schon älter als die Gesellschaft selber (2, 6). Schon griechische Ärzte haben den Wert der körperlichen Aktivität hervorgehoben. Später wurde das Konzept dann im deutschen Sprachbereich von vielen Ärzte, unter anderem Paracelsus, Friedrich Hoffmann (2), Christoph Wilhelm Hufeland (7) und Carl Friedrich Lutheritz (8) übernommen. Physiologen wie Antoine Laurent Lavoiser (9) oder Nathan Zuntz (3) initiierten sportphysiologische Verfahren, die später in Deutschland, Skandinavien und England weiterentwickelt wurden.Gegründet wurde, wie Prof. Dr. K.-H. Arndt ausführte, die Gesellschaft 1912 in Oberhof als „Deutsches Reichskomitee zur wissenschaftlichen Erforschung des Sportes und der Leibesübungen“ (1, 6). Später wurde daraus der „Deutsche Ärztebund zur Förderung der Leibesübungen“. 1933 wurde dieser in den „Nationalsozialistischen Ärztebund“ eingegliedert. Nach dem II. Weltkrieg wurden zunächst Landesverbände gegründet in Anlehnung an die jeweiligen Ärztekammern. Aus diesem ging dann der Dachverband „Deutscher Sportärztebund“ hervorging, später umbenannt in „Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention“ (1, 6).
Die DGSP hat sich bis heute als Dachverband von 18 regionalen Verbänden gehalten. Unter den deutschen medizinischen Fachgesellschaften ist sie noch eine der wenigen mit dieser Struktur.
Aspekte aus dem Gründungsjahr
Die Bedeutung der Herzfunktion und der Gefahren für das Herz im Sport, die Rolle der „körperlichen Ertüchtigung der Frau im Sport“ (Frl. PD Dr. Rahel Hirsch) waren Themen des Gründungskongresses in Oberhof (1912). Ein Beispiel:„Die Frau, die ihren Körper kräftig und gesund gestaltet, wird sich und ihre Familie länger gesund und frisch erhalten.“[…]„Die Erledigung der häuslichen Besorgungen als eine hygienisch zweckmässige Bewegung anzusehen, ist unrichtig."[….]„Die gesunde Frau kann ebenso Sport treiben wie der gesunde Mann“(4).
Ebenso wurden bereits zur damaligen Zeit von den Sportärzten erste Warnungen vor Doping im Sport ausgesprochen (2).
Die weitere Entwicklung der Sportmedizin verlief stürmisch. 1928 wurde die FIMS gegründet, die „Internationale Vereinigung für Sportmedizin“. Eine große internationale Bedeutung erlangte E. Jokl (5), zunächst in Breslau. Dann emigrierte er nach Südafrika und wurde später Lehrstuhlinhaber in Lexington, USA. Seine Publikationen zu "Synkope im Sport" und zu "Alter und Sport" sind auch heute noch von hoher Aktualität.
Die Entwicklung
Nach dem zweiten Weltkrieg dauerte es einige Zeit, bis die sportmedizinische Institute und Forschungseinrichtungen wieder arbeitsfähig wurden.Der Wandel der Sportmedizin war mitunter ein Auf und Ab. Zahlreiche Institute bestanden in Ost und West. Bereits vor der Wende wurden im Westen einige Institute geschlossen bzw. Lehrstühle nicht wieder neu besetzt. In den neuen Bundesländern wurden nach der Wende weitere Lehrstühle und Institute geschlossen, obwohl sie in keinem Zusammenhang mit Dopingaktivitäten standen. Die Anwendung von verbotenen Substanzen durch einige wenige Sportärzte haben den Ruf der Sportmedizin auch im Westen geschadet. Wohingegen der Einsatz von Doping durch Ärzte außerhalb der Sportmedizin sowie durch Betreuer und Trainer wenig Beachtung fand.
Unbeschadet dieser negativen Schlagzeilen haben sportmedizinische Einrichtungen bedeutende Forschungsergebnisse erzielen können. Die Praxis, Lehre und leistungsmedizinische Betreuung konnte etabliert und auf einem hohen Niveau weiterentwickelt werden (2, 6).
Beispielhaft für wichtige wissenschaftliche Ergebnisse ist die Rolle der Rehabilitation in der Medizin. Sie wäre ohne sportmedizinische Studien nicht denkbar (z.B. Herzsportgruppen). Zur Prävention zahlreicher Krankheiten ist körperliche Aktivität unabdingbar (2, 6, 11). Orthopädie und Traumatologie sind Vorreiter für frühzeitige Mobilisation, Physiotherapie und Nachbehandlung.
Die „klinische Sportmedizin“ hat große Bedeutung erlangt: Bewegung als Therapie. Kaum ein medizinisches Fachgebiet kommt heute ohne Training, Bewegung und körperliche Aktivität aus. Eigene sportmedizinische Arbeitsgruppen haben sich beispielsweise in Kardiologie, Neurologie, Psychiatrie oder Ophthalmologie gebildet.
Besonders eindrucksvoll sind zwei „Kehrtwendungen“ in der Medizin: Patienten mit Herzinsuffizienz, wie auch mit schwerer chronisch obstruktiver Atemwegserkrankung, wurden früher geschont, teilweise mit langen Bettruhezeiten. Und heute? Diese Patienten werden auftrainiert und profitieren davon. Bewegung verbessert die kardiale und pulmonale Funktion, ausgehend von einer positiven Beeinflussung der Sarkopenie. Mancher operativer Eingriff nach komplexen Knieverletzungen wäre ohne den sportmedizinischen Hintergrund der Operateure kaum entwickelt worden. Die orthopädische Rehabilitation wäre ohne Sportmedizin und Betreuung der Spitzensportler kaum denkbar. Einrichtungen wie Medicos auf Schalke belegen dies und sind wegweisend.
Ein Beispiel für Wandel durch Sportmedizin
Ausblick
Die Zukunft der Sportmedizin beinhaltet aber auch Probleme. Die Zahl der Mitglieder in den Landesverbänden ist rückläufig, ebenso wie bei den Fortbildungslehrgängen. Herzsportgruppen suchen dringend Ärzte und der Abbau sportmedizinisch wissenschaftlicher Einrichtungen macht große Probleme (10).Bei den Mitgliederversammlungen in den Landesverbänden liegt die Teilnahme meist zwischen 0,5- 1% der Mitglieder. Hier ist mehr aktive Mitarbeit notwendig. Im Rahmen der Fortbildung werden Ärzte mit Fachwissen für Fitnessstudios oder die Sportkardiologie gesucht. Die Zusammenarbeit zwischen orthopädischtraumatologischen und internistisch ausgerichteten Sportärzten in Form von sportmedizinischen Zentren ist empfehlenswert. Die weitere Kooperation von Ärzten der verschiedenen Fachrichtungen, z.B. Neurologie, Gynäkologie, Pneumologie, Onkologie oder Psychiatrie mit den Sportärzten ist ein wichtiger Schritt in die Zukunft.
Positive Aspekte und Perspektiven
Weitere positive Aspekte zeichnen sich ab. Möglicherweise wird auf europäischer Ebene der Facharzt für Sportmedizin eingeführt. Das Kursbuch Sportmedizin der Bundesärztekammer für die Zusatzbezeichnung ist abgeschlossen (11) und das Rezept für Bewegung eröffnet den Ärzten neue Möglichkeiten. Ebenso gibt es Kurse zur Gesundheitsvorsorge und Prävention der Bundesärztekammer mit einem hohen Anteil an sportmedizinischen Inhalten. Die Prävention im betrieblichen Gesundheitswesen erhält einen zunehmend höheren Stellenwert. Die Gesunderhaltung durch regelmäßige körperliche Aktivität und gesunden Lebensstil ist bei längeren Lebensarbeitszeiten dringend erforderlich.
Sportmedizinische Aktivitäten zu Bewegung in Kindergarten, Schule und bei Berufsanfängern ist aus der Sicht der Prävention dringlich. Die Epidemie von Übergewicht und Adipositas erfordern Maßnahmen, auch seitens der Sportmedizin.
Ein gleiches Interesse gilt den älteren Menschen. Senioren brauchen Training, Übung und Bewegung, womit sie in der Lage sein werden, die Pflegenotwendigkeit heraus zu zögern. Regelmäßige körperliche Aktivität ist derzeit die einzig wirksame Therapie bei beginnender Demenz und Morbus Alzheimer. Vor allem ermöglicht ihnen die regelmäßige Bewegung eine längere Selbständigkeit und Autonomie. Angesichts des demographischen Wandels ist dies von eminenter Bedeutung. Dies bedeutet, dass zunehmend mehr Übungsleiter und Trainer in die Senioreneinrichtungen notwendig sind.
Diese Beispiele zeigen, dass die ersten hundert Jahre erst der Anfang waren. In den kommenden (hundert) Jahren wird die sportärztliche Kompetenz weiterhin verstärkt benötigt werden, wahrscheinlich dringender denn je. Daher laden wir Sie herzlich zum Jubiläumskongress ein.
LITERATUR
- Tradition verpflichtet - 100 Jahre organisierte Sportmedizin. Dtsch Z Sportmed 63 (2012) 3.
- DGSP - 100 Jahre Deutsche Sportmedizin. Druckhaus Verlag Gera, 2012.
- Nathan Zuntz - His life and work in the fields of high altitude physiology and aviation medicine. Academic Press, Burlington, 2009.
- Körperliche Ertüchtigung der Frau 1. Sportärztekongress, Oberhof. Abstract. Münch med Wschr 59 (1912) 2700.
- Five Monographs. Lexington, Kentucky, 1981.
- Geschichte der Sportmedizin, Druckhaus Verlag Gera, 2008.
- Die Kunst das menschliche Leben zu verlängern. Akademische Buchhandlung, Jena, 1798.
- Lebenserhaltungskunst oder Vollständiges System der Diätetik für alle Stände. Eine Anleitung wie man in allen Verhältnissen des Lebens ein hohes Alter erreichen und selbst bei Krankheitsanlagen das Lebensziel möglichst zu verlängern in Stand gesetzt werde. Verlag Goedsche, Meißen, 1828.
- Die experimentelle Methode der ersten Gasstoffwechseluntersuchungen am ruhenden und quantifiziert belasteten Menschen. Academia, Sankt Augustin, 1992.
- Quo vadis, DGSP. Dtsch Z Sportmed 62 (2011) 113 - 115.
- Kursbuch Sportmedizin. Dtsch Ärzteverlag, Köln, im Druck.