Von der Gründerzeit der Sportmedizin in Deutschland bis 1911
Years of the Founding of Sports Medicine in Germany
Turnen und Gymnastik etablierten sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Deutschland als nationale Leibesübungen. Mit der aus England kommenden Sportbewegung sollte es in den folgenden Jahrzehnten heftige Kontroversen seitens der Turnerschaft und anderer nationalistischer Kreise geben. In die vielfachen Streitigkeiten um Form und Durchführung der Leibeserziehung („Lorinserscher Schulstreit“, „Turnsperre“, „Barrenstreit“) mischten sich auch namhafte deutsche Mediziner wie Emil Du Bois-Reymond und Rudolf Virchow ein. Mit dem sich gleichzeitig vollziehenden, endgültigen Übergang der Medizin von ihrer empirisch-naturphilosophischen Orientierung zur angewandten Naturwissenschaft stellten sich nun die Erfordernisse einer Bewertbarkeit der Wirkungen körperlicher Beanspruchung. Genaue Beobachtungen und Messungen von Johannes Müller fanden sich bereits im „Handbuch der Physiologie“ von 1834. Das war der Beginn einer wissenschaftlichen Physiologie, die von seinen Schülern Theodor Schwann, Rudolf Virchow, Hermann von Helmholtz und Emil Du Bois-Reymond fortgeführt wurde.
Herzpatienten körperlich trainiert
Der Internist M. J. Oertel hatte 1875 die so genannte „Terrainkur“ eingeführt. Er gab bestimmte Gehstrecken vor und ermittelte in Abhängigkeit von der jeweiligen Beanspruchung den entsprechenden Kalorienverbrauch. In Abhängigkeit vom jeweiligen kardiologischen Befund konnte danach das entsprechende Gehtraining festgelegt und durchgeführt werden. Es war der erste Versuch, Patienten mit unterschiedlichen Herzerkrankungen körperlich zu trainieren.Wegweisende Publikationen hinsichtlich einer sich etablierenden Sportmedizin um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kamen die von Ferdinand August Schmidt („Die Leibesübungen nach ihrem körperlichen Übungswert" von 1893, „Unser Körper-Handbuch der Anatomie" und „Physiologie und Hygiene der Leibesübungen" von 1899 bis 1930 in 8 Auflagen erschienen). Ferdinand Hueppe nahm in seinem „Handbuch der Hygiene" (1899) die Körperübungen als besonderes Kapitel auf. 1911 erschien darüber hinaus sein Werk „Hygiene der Körperübungen". Ein Jahr zuvor 1910 hatte der Physiologe Siegfried Weissbein das zweibändige Buch „Hygiene des Sports" herausgegeben, in dem 32 ausgewiesene Autoren alle relevanten medizinischen Aspekte von Leibesübungen und Sport darlegten. 1889 publizierte Georg Kolb in „Der Einfluss maximaler Muskelarbeit" Beiträge zur Physiologie des Sports.
Arbeit und Leistung werden messbar
Dem Erfordernis der Messbarkeit und reproduzierbarer Beurteilung von körperlicher Arbeit nachkommend, kam es zur Entwicklung entsprechender Apparaturen. Ein Drehkurbelergometer mit Arbeit im Stehen entwickelte 1883 der Marburger Arzt Carl Speck. Vier Jahre später stellte der Wiener Arzt H. Gaertner auf dieser Basis ein mechanisch gebremstes Ergometer vor. Dieses Gerät wurde "Ergostat" genannt und später mehrfach hergestellt.Das erste Laufband der Welt entwickelte 1889 Nathan Zuntz. Als Professor für Physiologie an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin hatte er es zunächst für Untersuchungen mit Pferden bestimmt. In der Folgezeit wurden weitere Ergometer von ihm und seinen Mitarbeitern für Messungen am Menschen hergestellt. Weiterhin wurden Belastungsversuche von Zuntz im Auftrag des Kaiserlichen Kriegsministeriums durchgeführt, wie beispielsweise 1894 die „Berliner Gepäckmarsch-Studie“.
Bahnbrechend waren die experimentellen Versuche von F. Külbs, die er von 1904 bis 1906 in Kiel durchführte. Dabei wurden Hunde aus dem gleichen Wurf regelmäßigem Laufbandtraining unterschiedlicher Intensität unterzogen. Bei der späteren Sektion der Tiere fand er deutlich vergrößerte Herzen, ebenso Vergrößerungen von Nieren, Leber und anderer Organe vor.
1909 wurden an allen deutschen Universitäten die Akademischen Ausschüsse für Leibesübungen gegründet, dessen Ziele eine körperliche Ertüchtigung der akademischen Jugend waren. Arthur Mallwitz als Vorsitzender des 1910 gegründeten Akademischen Sportbundes forderte, unter Hinweis auf amerikanische Universitäten, in Deutschland nur gesunde, sportlich aktive Personen zum Studium oder zur Abschlussprüfung zuzulassen.
„Die Förderung der Körperertüchtigung entsprach diesem Zeitgeist und den sozialdarwinistischen und rassistischen Bestrebungen eines erstarkenden Deutschlands: die imperialistischen und nationalistischen Züge des jungen Staates fanden sich wieder in der Auslese der Besten. Die medizinische Forschung unterstützte diese Bestrebungen nach Kräften“ (3).
LITERATUR
- 100 Jahre deutsche Sportmedizin. DGSP (Hrsg.), Druckhaus Verlag Gera, 2012.
- Geschichte der deutschen Sportmedizin. Druckhaus Verlag Gera, 2008.
- Der Sport ist der praktische Arzt am Krankenlager des deutschen Volkes. Mabuse Verlag, Frankfurt/Main, 2005.