Onkologie und Sport
EDITORIAL

Konzertiertes Vorgehen in der Bewegungstherapie für Krebspatienten ist vonnöten!

Concerted Efforts in Exercise Therapy for Onkological Patients are necessary

Die aktuelle demographische Entwicklung geht mit einem Anstieg der typischen chronischen Alterserkrankungen einher. Sie sind gekennzeichnet durch eine multifaktorielle Pathogenese, wozu auch eine Lebensweisee mit erhöhten Risiken gehört. Zudem ist mit einer vollständigen Heilung in der Regel nicht mehr zu rechnen. Durch die verbesserten Diagnose- und Therapiemöglichkeiten, wurde so auch dem „Krebs“ zumindest der Charakter einer absolut tödlichen Krankheit genommen. Krebs wurde damit zu einer chronischen Erkrankung. Inzwischen überleben in Deutschland ca. 50- 60% aller Tumorpatienten die ersten 5-10 Jahre nach ihrer Erstdiagnose. Angaben über längere Zeitabschnitte liegen nicht vor. International gesehen stehen wir weltweit mit einem „Überlebensquotient“ (Inzidenz/Mortalität) für alle Krebserkrankungen zusammen jedoch lediglich auf Platz 8, bei Brustkrebs auf Platz 12 und bei Prostata-Ca auf Platz 6.
Insgesamt sind ca. 10% der erwachsenen Bevölkerung mit den Folgen einer Krebserkrankung direkt konfrontiert. Es wird in 2014 mit ca. 500000 Neuerkrankungen pro Jahr gerechnet. 25% aller Todesfälle sind, nach den Herzkreislauferkrankungen (ca. 42%), durch „Krebs“ bedingt. Bei Kindern bis zum 15. Lebensjahr ist „Krebs“ nach „Unfällen“ ebenfalls die Todesursache Nr. 2. Hier wurden in den letzten 30 Jahren jedoch, dank der konsequenten Registrierung und Überwachung durch das deutsche Kinderkrebsregister in Mainz, die größten therapeutischen Fortschritte erreicht. Das Zentrum wacht, auf freiwilliger Basis, über die Einhaltung von „Therapieoptimierungsstudien“, so dass Überlebensraten von über 80% für einen Zeitraum von 10-15 Jahren berichtet werden. Getrübt werden diese Erfolge von inzwischen ansteigenden Raten an Folgeerkrankungen im jungen Erwachsenenalter, so dass sich in der Zwischenzeit eine Arbeitsgruppe zur Erfassung von Spätfolgen in Erlangen gegründet hat („Late Effects Surveillance System=LESS).
Es gibt jedoch große Unterschiede bei den Überlebensraten. Sie sind abhängig von Genetik, Alter, Geschlecht, Lokalisation und dem Tumorstadium bei Diagnose sowie einer Vielzahl weiterer Faktoren. Daher ist es auch logisch und verständlich, dass sich die Forschung immer mehr auf eine „personalisierte“ Therapie ausrichtet. Dieses gilt im Übrigen auch für die Bewegungstherapie bei Tumorpatienten, bei der es gegenwärtig ebenso um die Ermittlung einer möglichst genauen persönlichen Belastungsdosierung und individuellen Trainingssteuerung geht.
Nachdem wir bereits vor 33 Jahren an der Deutschen Sporthochschule Köln und beim Landessportbund NRW die ersten Krebsnachsorge-Sportgruppen – vermutlich weltweit – gegründet haben, ist die Akzeptanz hierfür zunächst nur sehr langsam gewachsen. Derzeit existieren in Deutschland ca. 1640 solcher Gruppen. Umso erfreulicher ist das momentan wachsende Interesse sowohl bei Onkologen unterschiedlicher Provenienz, aber auch bei sportmedizinisch interessierten Fach- und Allgemeinärzten. Dahinter mag die Erkenntnis stecken, dass gerade bei Tumorpatienten mit ihrer immer längeren Lebenserwartung nur ein ganzheitliches und gemeinsames Vorgehen zum Erhalt, bzw. Verbesserung der Lebensqualität für die verbliebene Lebenszeit führen kann. Eine Vernetzung aller Therapiebereiche insbesondere aber auch mit der Laienebene (z.B. Sportverein, Selbsthilfe, etc.) ist deshalb unabdingbar.
Ohne an dieser Stelle auf Details und einzelne Studien eingehen zu wollen (s. hierzu die Beiträge von Steindorf et al. und Scharhag-Rosenberger et al. in diesem Heft), kann festgestellt werden, dass inzwischen für alle Bereiche, von der Prävention über die Kuration und Palliation, bis hin zu sterbenskranken Patienten in der Finalphase, überaus positive Ergebnisse über die Wirkung von Bewegung vorliegen. Sie wirkt z.B. operations-, chemo- oder auch strahlentherapeutisch bedingten Einschränkungen entgegen, kann die körperliche Leistungsfähigkeit langsam wieder aufbauen und mobilisiert nicht zuletzt die eigenen Abwehrkräfte. Durch geeignete Entspannungsverfahren können mögliche seelische Belastungen ausgeglichen werden. Bewegung im Gruppenrahmen unter Gleichbetroffenen kann der besseren Verarbeitung der Erkrankung dienen und erleichtert schließlich wieder die Teilhabe in und an der Gesellschaft.
Bewegung soll dabei nicht als „Wundermittel“ hochstilisiert werden. Aber welche andere therapeutische Maßnahme nimmt gleichermaßen Einfluss auf die Lebensqualität auf ihrer physischen, psychischen und sozialen Ebene? Das war unsere Grundüberlegung vor 30 Jahren. Inzwischen liegt hierzu international eine Vielzahl wissenschaftlich belastbarer Untersuchungen vor, wobei ich ausdrücklich auf die Situation in Deutschland mit seinem sehr aktiven Vereinsleben hinweisen möchte. Das gibt es in keinem anderen Land der Welt! Damit verbunden ist auch die Chance, Langzeitstudien zu entsprechenden Fragestellungen insbesondere der Nachhaltigkeit anzustoßen. Hier besteht eine einmalige Gelegenheit, die weltweit ein Alleinstellungsmerkmal ausmachen könnte.
Drei Hauptrichtungen gilt es nach wie vor nachzugehen.
1.Wirkt Bewegung kanzeroprotektiv, d.h. kann ich mich durch Bewegung vor Krebs oder einem Rezidiv schützen?
2.Kann Bewegung direkt auf das Tumorgeschehen einwirken? Verlängerung der Überlebenszeit? Welche Wirkmechanismen spielen eine Rolle?
3.Welchen Anteil hat Bewegung auf die (gesundheitsbezogene) Lebensqualität von Krebspatienten?
Zu allen drei Fragen existiert zwar bereits eine Reihe von Untersuchungen. Sie gilt es jedoch noch um entsprechende Detailfragen zu komplettieren. Exemplarisch sei auf die o.g. Fragen zu DosisWirkungsbeziehungen von Bewegung hingewiesen.
Die Rahmenbedingen für entsprechende Untersuchungen sind gegeben. Nun gilt es noch mehr als bisher in „tiefere“ wissenschaftliche Bereich vorzustoßen, um den Wirkmechanismen von Bewegung auf die Psyche insbesondere aber auch auf das Tumorgeschehen direkt herauszufinden. Dazu wünsche ich mir – trotz einer verständlichen Konkurrenzsituation der einzelnen Institutionen – ein faires wettbewerbliches Vorgehen der Akteure aus Berlin, Frankfurt, Hamburg, Heidelberg, Köln, München und Münster, um lediglich die momentan Aktivsten in diesem Bereich zu nennen. Ein gemeinsames partnerschaftlich abgestimmtes Vorgehen wird schneller zu Erfolg und damit auch Akzeptanz bei Forschungsförderern und anderen notwendigen Geldgebern führen. Letztendlich müssen neue Erkenntnisse jedoch auch bei den Betroffenen ankommen!
In diesem Sinne, Ihr