Gibt es Standards in der sportorthopädischen Betreuung?
Can we use standards in the orthopedic treatment of athletes?
Seit vielen Jahren ist es in der Deutschen Zeitschrift für Sportmedizin üblich, Standards in der Diagnostik und Therapie von Verletzungen und Überlastungsschäden zu publizieren. Sie dienen in erster Linie dazu, dem Sportler/-innen betreuenden Sportmediziner Hilfsmittel an die Hand zu geben, um zunächst einmal den Bewegungsapparat untersuchen zu können und im Anschluss unter Zuhilfenahme von bildgebenden Methoden eine möglichst exakte Diagnose zustellen. Insbesondere die klinische Untersuchung sollte standardisiert ablaufen, um möglichst alle beteiligten Strukturen erfassen und beurteilen zu können.
Die klinische Untersuchung der Gelenke umfasst normalerweise neben der exakten Lokalisierung der vom Athleten angegebenen Schmerzen die Beurteilung des Bewegungsausmaßes und der Stabilität des betroffenen Gelenkes unter Berücksichtigung der Achsverhältnisse, Einschränkungen benachbarter Gelenke und funktioneller Aspekte. Mit zunehmender Erfahrung eignet sich jeder Untersucher im Laufe der Zeit einen persönlichen Untersuchungsablauf an unter Verwendung verschiedener Testverfahren. Auch die in diesem und den folgenden Heften im Rahmen der „orthopädischen Standards“ dargestellten klinischen Tests sind als Vorschlag zu verstehen und können natürlich auch individuell angepasst und durch weitere Testverfahren ergänzt werden. Die Prinzipien, nach denen die klinische Untersuchung erfolgt, kann somit sehr gut standardisiert werden.
Problematischer wird es schon mit dem Einsatz bildgebender Verfahren. Die zunehmende Vermittlung medizinischer Details in der Laienpresse bei Verletzungen von Spitzensportlern führt unweigerlich dazu, dass auch die Anspruchshaltung des Freizeitsportlers an eine schnelle und umfassende Diagnostik beim behandelnden Sportmediziner eingefordert wird.
Die unmittelbar erfolgende bildgebende Darstellung von Schmerzzuständen mit Hilfe der Kernspintomographie bei Profisportlern führt zwar zu einer frühzeitigen Information und vielfach auch Beruhigung des Athleten und seines sportlichen und medizinischen Umfeldes, ist aber in vielen Fällen in seiner Dringlichkeit medizinisch nicht indiziert. Selbstverständlich bleibt die Indikation zur Einleitung diagnostischer Verfahren in den Händen des sportmedizinischen Betreuers. Ein Trend zur bildgebenden „Überdiagnostik“ leichter struktureller oder funktioneller Beschwerden ist im Bereich des Leistungssportes deutlich zu erkennen. Die Auswahl des bildgebenden Verfahrens, das zur Beurteilung einer Struktur des Bewegungsapparates eingesetzt werden soll, und selbstverständlich auch die Durchführung lassen sich gut standardisieren, der Zeitpunkt des Einsatzes der Verfahren lässt sich nur grob in Standards festlegen.
Kann der Sportler überhaupt standardisiert behandelt werden? Auch wenn es grundsätzlich standardisierte Prinzipien in der Behandlung von Verletzungen und Überlastungsschäden des Bewegungsapparates gibt und diese sich auch in den „orthopädischen Standards“ als Empfehlung wiederspiegeln, so zeigt die Realität doch, dass die Behandlung individuell erfolgen muss. Eine Abweichung oder Ergänzung zu Standards in der Therapie erfolgt umso mehr, je intensiver eine sportliche Aktivität erfolgt. Gehört es noch zu den Standards, einem Athleten im Endkampf bei internationalen Meisterschaften lokal injiziert ein Lokalanästhetikum zu verabreichen, um den Saisonhöhepunkt, auf den über viele Monate unter Verzicht auf viele persönliche Freiheiten und mit hohem Zeitaufwand hingearbeitet wurde, möglichst schmerzfrei die maximale Leistung abzurufen? Gerade im Spitzensport, in dem Grenzbelastungen auf den Bewegungsapparat zukommen, befinden wir uns als Sportmediziner ebenfalls in einem Grenzbereich.
Welche Therapie ist in welcher Situation zu verantworten? Der prinzipielle Gedanke, eine Verletzung oder eine Verschlimmerung einer vorbestehenden Verletzung zu vermeiden, muss im Vordergrund unserer therapeutischen Überlegungen stehen. Das langfristige Ausheilungsergebnis und die Konsequenzen für den Athleten auch nach Beendigung seiner sportlichen Karriere müssen das zentrale Ziel unserer empfohlenen Therapiemaßnahmen sein. Das betrifft auch Indikationen zu operativem Vorgehen. Kann ein Meniskusschaden beim jugendlichen Leistungsfußballspieler nur deshalb nicht refixiert werden, sondern partiell reseziert werden, damit er nach 3-4 Wochen wieder spielfähig ist und nicht erst nach 3-4 Monaten? Das langfristige Ausheilungsergebnis und die Prognose hat im Vordergrund zu stehen, auch wenn bei Refixationen in bis zu 25 % der Fälle ein inkomplettes Einheilen bekannt ist.
Eine der wesentlichen Inhalte unserer sportmedizinischen Behandlung ist in der ausführlichen Beratung der Athleten und ihres Umfeldes zu sehen, und das auch je nach Situation über die Leistungssportphase hinaus. Hier können therapeutische Standards gut als Argumentationshilfe dienen.