Bewegt Euch!
Get Moving!
Schaut man sich die dominanten sportmedizinischen Themen in der heutigen Presse an, dann sind das vor allem Dopingprobleme und Sportverletzung, welche die Schlagzeilen füllen und zu öffentlichen Diskussionen führen. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass Sport schädlich ist. Wir brauchen deutlich mehr positives öffentliches Interesse, den Sport als Routine in den Alltag zu bringen!
Dass Sport als Therapie von chronischen Krankheiten sehr effektiv ist, ist evident und im Grunde in der Bevölkerung vor allem für die metabolischen, kardiovaskulären, pulmonalen und muskuloskeletalen Erkrankungen bekannt (8). Weniger bekannt ist die Wirkung von Sport als Therapie für psychiatrische, neurologische und sogar Krebserkrankungen (8).
Die Depression ist zum Beispiel eine sehr häufige psychiatrische Erkrankung, welche weltweit zu weitreichender Morbidität und Mortalität führt. Depressive Patienten leiden unter Müdigkeit und dem Gefühl, vom Leben überfordert zu werden. Dies kann zur körperlichen Inaktivität führen, was wiederum die körperliche Fitness verringert und die Müdigkeit verstärkt. Gewöhnlich wird die Depression mit Antidepressiva und Psychotherapie behandelt. Zunehmend nimmt auch hier die Bewegungstherapie eine wichtige Rolle ein. Eine rezente Metaanalyse zeigte moderate Vorteile der Bewegungstherapie gegenüber einer reinen medikamentösen oder Psychotherapie. Auch wenn die Bewegungstherapie die anderen Therapieformen nicht ersetzen kann, zeigten kombinierte Therapieformen, welche die Bewegung mit einschlossen, signifikant bessere Ergebnisse und eine niedrigere Rückfallquote (5).
Trotz dieser positiven Wirkung der Bewegung auf Körper und Geist sieht die reelle Sportpraxis in der Bevölkerung anders aus. Inaktivität und die damit verbundenen chronischen nicht übertragbaren Krankheiten (Non-communicable Diseases – NCDs), die sogenannten „Lifestyle-Krankheiten“, nehmen zu (2).
Während in den Entwicklungsländern Malnutrition, Infektionen sowie neonatale Ursachen weiterhin als Hauptursache für einen frühzeitigen Tod im Vordergrund stehen, sind es in den Industrieländern vor allem diese NCDs mit den chronischen kardiovaskulären, metabolischen, psychischen und Krebserkrankungen, die zunehmend für Morbidität und Mortalität verantwortlich sind (7).
Sicher ist die wachsende Lebenserwartung bei uns eine Ursache, aber daran können wir nichts ändern, denn die Jugend können wir nicht zurück zaubern. Ändern und beeinflussen können wir hingegen unsere Lebensgewohnheiten, wie unausgewogene Ernährung, Alkohol- und Nikotinkonsum sowie Inaktivität, welche als maßgebliche Risikofaktoren für NCDs erkannt wurden (9).
Während z. B. Alkohol- und Nikotinkonsum mit erschwerten Werbe-, Verkaufsauflagen und Versicherungsnachteilen gesellschaftspolitisch beeinflusst werden, sind Strategien Sport und Bewegung in den Alltag von jedermann zu implementieren zu wenig in politische, versicherungstechnische oder soziale Aktivitäten eingebettet (10). Dabei ist die Inaktivität einer der zehn wichtigsten Risikofaktoren für einen vorzeitigen Tod weltweit.
Ding und Kollegen kamen in einer Studie zur Kostenanalyse zu dem Ergebnis, dass die körperliche Inaktivität der Menschen die Gesundheitssysteme weltweit 53,8 Milliarden INT-Dollar im Jahr 2013 gekostet haben (2). Diese Kostenanalyse war zudem laut Experten sehr konservativ und liegt sehr wahrscheinlich deutlich darüber. Wenn die medizinischen, politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildner es nicht gemeinsam schaffen, die Gesellschaft zur regelmäßigen sportlichen Aktivität zu animieren, werden unsere Patienten von morgen vor allem „Lifestyle-Patienten“ sein.
Dabei gibt es effektive Strategien, die Gesellschaft zum Sport zu animieren. Laut einer Zusammenfassung von Goroberts im Lancet 2016 ist die Bereitstellung eines ausgereiften und umfassenden Verkehrssystems für Fahrräder maßgeblich für deren Gebrauch. Während in den Niederlanden oder Dänemark ein suffizientes Verkehrssystem für Fahrräder aufgebaut wurde, mangelt es daran in der restlichen Welt. So werden laut dieser Schätzung in Amsterdam 34% und Kopenhagen 33% der Wegstrecken mittels Fahrrad zurückgelegt, und demgegenüber nur 13% in Berlin oder gar nur 3% in London oder Paris (4).
In Schulen, Universitäten und an den Arbeitsplätzen werden zu wenig Pausen für körperliche Aktivität implementiert. Auch dies kann gesetzlich gesteuert werden. Kobel und Kollegen konnten zeigen, dass eine Implementierung von Aktivität in Pausen und definierte Zeit für Schulsport in den Schultag eines Grundschulkindes dazu führen, dass die von „Centers of Disease Control and Prevention“ geforderten täglichen Zeiten für körperliche Aktivität eines Schulkindes gesteigert und eingehalten werden können (1, 6).
Auch für diejenigen, welche – wie ich – viele Stunden am Schreibtisch verbringen müssen, gibt es eine beruhigende Erkenntnis: Die erhöhte Mortalität, welche mit längerem täglichen Sitzen signifikant verbunden ist, kann durch körperliche Aktivität ausgeglichen werden (3). Diese Meta-Analyse hat über eine Millionen Personen eingeschlossen, welche über einen Zeitraum von 2-18 Jahren nachkontrolliert wurden. 84 609 Personen (8,4%) verstarben in diesem Zeitraum. Personen in der Beobachtungsgruppe, welche weniger als 4h pro Tag gesessen hatten und weniger als 16 Stunden metabolische Äquivalenzaktivität (MET) pro Woche hatten, wiesen eine 12-59% höhere Mortalität auf als die aktivste Gruppe, welche ebenfalls weniger als 4h pro Tag gesessen hatten, aber mehr als 35,5h MET Aktivität pro Woche aufgewiesen hatten. Auf der anderen Seite konnten Personen, welche sogar mehr als 8h pro Tag gesessen hatten, – was bei einer Bürotätigkeit gut vorkommen kann –, ihre Sterblichkeit durch eine Aktivität von ebenfalls 35,5h MET pro Woche normalisieren (3).
In diesem Sinne möchte ich die Leser animieren den Sport als Routine in den Tagesablauf von sich selbst und unseren Patienten zu integrieren und damit ein Beispiel zu geben und ein Selbstverständnis von Bewegung im Alltag zu schaffen.
In dieser Ausgabe zeigt der interessante Literaturreview einmal mehr die positiven Auswirkungen des Sports auf das Immunsystem bei Brustkrebspatienten. Dies zeigt, dass selbst bei Tumorerkrankungen, welche ebenfalls zu den NCDs gehören, der Sport ein Therapiebestandteil sein sollte.
Literatur
- School health guidelines to promote healthy eating and physical activity. MMWR Morb Mortal Wkly Rep. 2011; 60: 1-71.
- The economic burden of physical inactivity: a global analysis of major non-communicable diseases. Lancet. 2016; 388: 1311-1324.
- Does physical activity attenuate, or even eliminate, the detrimental association of sitting time with mortality? A harmonised meta-analysis of data from more than 1 million men and women. Lancet. 2016; 388: 1302-1310.
- Development of bicycle infrastructure for health and sustainability. Lancet. 2016; 388: 1278.
- Physical exercise intervention in depressive disorders: meta-analysis and systematic review. Scand J Med Sci Sports. 2014; 24: 259-272.
- Physical activity of German children during different segments of the school day. Z Gesundh Wiss. 2017; 25: 29-35.
- Global and regional mortality from 235 causes of death for 20 age groups in 1990 and 2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. Lancet 2012; 380: 2095-128.
- Exercise as medicine – evidence for prescribing exercise as therapy in 26 different chronic diseases. Scand J Med Sports. 2015; 25: 1-72.
- The relationship between different dimensions of alcohol use and the burden of disease-an update. Addiction. 2017; 20. [Epub ahead of print].
- Scaling up physical activity interventions worldwide: stepping up to larger and smarter approaches to get people moving. Lancet. 2016; 388: 1337-1348.
Chefarzt Stv.
Klinik für Orthopädie und Traumatologie
Universitätsspital Basel
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