Optimierung der muskuloskelettalen Rehabilitation durch Einbezug individueller Faktoren der zellulären Plastizität
Optimization of Musculoskeletal Rehabilitation through Inclusion of Individual Factors of Cellular Plasticity
Verletzungen des Bewegungsapparates stellen eine besondere therapeutische Herausforderung dar. Betroffene Personen unterliegen in Folge der damit einhergehenden mehrwöchigen Einschränkung der Belastbarkeit des Stütz- und Muskelgewebes einer negativen Modellierung des implizierten Muskel- und Sehnengewebes.
Dies führt zu einem Verlust an Kraft und Ausdauer durch eine Dekonditionierung des neuromuskulären Systems. Durch die längerfristige Reduktion der Mobilität, und Arbeitsfähigkeit, sind nicht therapierte Personen zudem dem Risiko ausgesetzt, dass Ihre Gesundheit in schleichender Art und Weise über systemische Einflüsse metaboler und psychologischer Faktoren leidet (1). Basierend auf Erhebungen zu jährlichen Ausgaben von ~1‘900 Euro pro Person stellen Massnahmen zur Erhaltung der muskuloskelettalen Gesundheit ein nicht unbedeutendes medizinökonomisches Substrat dar.
Degeneration des inaktiven Bewegungsapparates
Belastungsgesteuerte Massnahmen innerhalb einer medizinische Trainingstherapie, und eine kontrollierte begleitende körperliche Aktivität, sind die Methode der Wahl für die Reetablierung der funktionellen Verhältnisse nach der primären, eventuell chirurgischen, Versorgung einer muskuloskelettalen Verletzung. Dies begründet sich in der Abhängigkeit des Proteinumsatzes muskuloskelettaler Gewebe von der Einwirkung physiologischer Reize. Das Phänomen manifestiert sich in betontem Masse, in der belastungsregulierten zellulären Plastizität des Skelettmuskels und der damit in Verbindung stehenden Sehne (4). Es kann heute davon ausgegangen werden, dass eine fehlende oder stark reduzierte mechanische und metabole Auslastung die beobachtbare Abnahme der Muskelkraft und -ausdauer in der Phase der Ruhigstellung nach einer muskuloskelettalen Verletzung erklärt (4, 5, 8). Die Datenlage unterstützt, dass eine mechanische Entlastung innerhalb weniger Tage erkennbare molekulare und anatomische Veränderungen der betroffenen Muskulatur auslöst (4). Hierbei sei auf den Verlust zellulärer Strukturen der Myofibrillen, Kapillaren und Mitochondrien verwiesen, welche an der Kraftproduktion und Energiebereitstellung im Skelettmuskel beteiligt sind. Im Fall einer Ruhigstellung über eine Dauer von zwei bis sechs Wochen, ist eine bis zu 30%-ige Abnahme der Muskelmasse messbar. Im Extremfall einer nicht rekonstruierten Sehnenruptur kann dies in eine kritische Degeneration der zellulären Zusammensetzung durch eine irreversible Verfettung und Muskelverkürzung übergehen (5, 8). Man darf davon ausgehen, dass eine angepasste Rehabilitation die Degeneration des muskuloskelettalen Gewebes durch Stimulierung von Wachstums- und Differenzierungsvorgängen verhindert, respektive umkehrt (5).
Physiologische Parameter der Rehabilitation
Die Herausforderung einer erfolgreichen Rehabilitation liegt in der fehlenden Kenntnis zum Zeitkurs der Dekonditionierung nach einer Verletzung, respektive der Dosis-Wirkungsbeziehung und Spezifität einer gewählten Bewegungstherapie. So wird die Rehabilitation heutzutage basierend auf Erfahrungswerten und ungewichteten Empfehlungen zum Volumen und der Intensität, womöglich mit einem heuristischen Ansatz, durchgeführt (2).
Physikalische Kenngrössen der einwirkenden mechanischen und metabolen Reize während einer Muskelkontraktion, wie zum Beispiel die Spannungszeit und Konzentrationsveränderungen von Metaboliten, steuern den Effekt der Bewegungstherapie auf Ebene des Skelettmuskels durch genvermittelte Effekte auf den Proteinumsatz (3, 4). Praxisrelevante Ableitungen zur Grössenordnung muskulärer Anpassungen sind aus der Erhöhung der Syntheserate myofibrillärer Proteine, respektive mitochondrialer Proteine, nach einem Kraft- oder Ausdauertraining ableitbar. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Spezifität der Anpassung sich erst mit wiederholter Reizeinwirkung etabliert. Trotz prinzipieller Kenntnis der Rolle kontraktiler Faktoren für die Erhaltung der Proteinsynthese im immobilisierten Skelettmuskel wird dies nur ungenügend, respektive inkonsequent, in der allgemeinen medizinischen Trainingstherapie nach einer muskuloskelettalen Verletzung berücksichtigt. Beruhend auf Annahmen zur gewählt hoher Intensitäten und Volumina muskulären Kontraktionen während eines Trainings beim ambitionierten Sportler, kann man davon ausgehen, dass beim untrainierten Patienten generell zu konservativ, respektive mit zu tiefer Dosis oder zu spät therapiert wird um den ‚Zerfall‘ der Muskelstruktur nach einer Verletzung aufzuhalten
Konstitutionelle Faktoren
Vorweg eingeführte biologische Parameter stehen in vermutlichem Zusammenhang mit der Variabilität der Re-Konditionierung des muskuloskelettalen Systems innerhalb einer medizinischen Trainingstherapie. Trotz plausibler klinischer und medizinökonomischer Relevanz haben Erklärungsansätze dieser Beobachtung bislang wenig Augenmerk erhalten.
Es verhält sich ja so, dass die Zusammensetzung muskuloskelettaler Gewebe, neben entwicklungsgeschichtlichen Einflüssen, in betontem Masse durch die Interaktion konditioneller und konstitutioneller Faktoren geprägt wird. Konstitutionelle Faktoren nehmen einen entscheidenden Einfluss auf das Outcome einer Trainingsintervention. Humanstudien zeigen auf, dass eine natürliche Variabilität der zellulären und funktionellen Anpassung des Skelettmuskels nach vergleichbaren Trainingsreizen existiert, welche durch den Trainingszustand und durch genetische Faktoren mitbestimmt wird. Natürliche Sequenzvariationen in gewissen Genen (sogenannte Genpolymorphismen) bestimmen den Grad der Verbesserung der aeroben Kapazität durch Ausdauertraining und stehen mit der Ausprägung des Phänotyps von Athleten in Verbindung (7). Arbeiten aus unserer Arbeitsgruppe zeigen auf, dass das I-Allel des Gens für das Angiotensin-konvertierende Enzym (ACE) den mittleren Querschnitt der Muskelfaser, die maximale aerobe Leistung, und die Effektgrösse struktureller Veränderungen der Volumendichte der Mitochondrien und Kapillarlänge im Skelettmuskel nach Ausdauertraining beeinflusst (10, 11). Die Trennschärfe anatomischer Parameter im Skelettmuskel erweist sich hierbei als um eine Grössenordnung höher als jene der systemische Effekte (10, 11).
Analog dazu dürfen myogene Effekte für bestimmte Polymorphismen in den Genen für Actinin-3 (R577X) und Myostatin (K153R) vermutet werden; speziell für den Muskelfaserschaden nach einer hohen Belastung. Andererseits wurde aufgezeigt, dass bestimmte metabole Parameter, wie die Kapillarisierung und der Lipidgehalt bei gewissen Genotypen, in sogenannten ‚Non-respondern‘, muskulär wenig bis gar nicht auf Ausdauertraining reagieren (11). Genetische Unterschiede werden als Faktoren der post-operative Rehabilitation in Betracht gezogen und gen-basierte Algorithmen zur Trainingssteuerung wurden vorgeschlagen; gelten jedoch als zu wenig gesichert (9).
Kompensation eines genetischen Nachteils
Resultate einer ersten Studie zeigen, dass das blutdruckregulierende Angiotensin-System im Skelettmuskel von Trägern des ACE I-Allels anders in untrainierten als ausdauertrainierten Probanden reagiert (10). Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass über Jahre hinweg wiederholtes Ausdauertraining ein ACE-I/D Genotyp basiertes individuelles genetisches ‚Handicap’ über epigenetische Prozesse zu kompensieren vermag. Vermutlich steht dies mit der verbesserten Mikrozirkulation im Skelettmuskel von trainierten Personen unter Belastung, in Folge der erhöhten funktionellen Kapillarisierung, in Zusammenhang (10). Aspekte dieses arbeitsabhängigen Mechanismus äussern sich auch auf systemischer Ebene durch eine unterschiedliche Präferenz für eine Hypertrophie des Skelettmuskels, respektive des Myokards, in Trägern des ACE I-Allels (10).
Schlussfolgerungen
Der Einbezug individueller genetischer und weiterer konstitutioneller Faktoren der Muskelplastizität könnte ein wertvolles Komplement für die Optimierung des Therapieerfolges einer muskulären Rehabilitation sein. Weitere Forschung anhand der Vermessung evidenzbasierter physiologischer und genetischer Merkmale ist indiziert, um den individuellen Zusammenhang zwischen der Art und Dosis eines Bewegungsreizes und seiner Wirkung allgemein zu etablieren und zu validieren. Hierbei soll beachtet werden, dass einzelne biologische Parameter womöglich nur lokal diskriminieren und eine molekulare ‚Behinderung‘ auf der systemischen Ebene kompensiert werden kann.
Literatur
- Waging war on physical inactivity: using modern molecular ammunition against an ancient enemy. J Appl Physiol. 2002; 93: 3-30.
- Strength and Conditioning: Biological Principles and Practical Applications. In: WILEYBLACKWELL. Chichester (UK) 2011.
- Regulation of Protein Synthesis in Skeletal Muscle.Dtsch Z Sportmed. 2012; 63: 75-80.
- Molecular basis of skeletal muscleplasticity-from gene to form and function. Rev Physiol BiochemPharmacol. 2003; 146, 159-216.
- Knee extensors muscle plasticity over a 5-years rehabilitationprocess after open knee surgery. Front Physiol. 2018;9:1343.
- Letter to the editor: Agenetic-based algorithm for personalized resistance training.Biol Sport. 2017; 34: 31-33.
- The human gene map for performance and healthrelatedfitness phenotypes: the 2005 update. Med Sci SportsExerc. 2006; 38: 1863-88.
- Inhibition of calpain delays early muscleatrophy after rotator cuff tendon release in sheep. PhysiolReports 2018; 6: e13833.
- The Metabolic Response of SkeletalMuscle to Endurance Exercise Is Modified by the ACE-I/D GenePolymorphism and Training State. Front Physiol. 2017; 8: 993.
- The angiotensin converting enzyme insertion/deletionpolymorphism alters the response of muscle energy supply linesto exercise. Europ J Appl Physiol. 2013; 113: 1719-29.
- T/T homozygosityof the tenascin-C gene polymorphism rs2104772 negativelyinfluences exercise-induced angiogenesis. PloS one. 2017; 12:e0174864.
Universitätsklinik Balgrist, Labor für
Muskelplastizität, Departement Orthopädie
Universität Zürich, Balgrist Campus
Lengghalde 5, 8008 Zürich, Schweiz
martin.flueck@balgrist.ch